Die Competition-Competition: Wettbewerbspolitische Programme der Parteien zur Europawahl 2019

Die Competition-Competition: Wettbewerbspolitische Programme der Parteien zur Europawahl 2019

Freundinnen und Freunde des Kartellrechts fiebern bei der Europawahl 2019 ja vor allem einer Frage entgegen: Sehen wir Margrethe Vestager als nächste Präsidentin der Europäischen Kommission wieder? Das ist allerdings derart spekulativ, dass wir uns auf sichereres Terrain begeben: Wahlversprechen. Maximilian Konrad hat die Parteiprogramme für diejenigen durchgesehen, denen der Wahl-O-Mat zu wenig Fragen zur Wettbewerbspolitik bereithält.


Brexit, Flüchtlingskrise, Rechtspopulismus, Eurokrise – an europapolitischen Themen herrscht kein Mangel. Aber was ist mit der europäischen Wettbewerbspolitik?

Zeit, einen Blick auf die wettbewerbspolitischen Programme der Parteien zu werfen. Die Parteien halten die eine oder andere wettbewerbspolitische Überraschung, aber auch Enttäuschung bereit.

Wir nähern uns der wettbewerbspolitischen Arena streng neutral nach den deutschen Marktanteilen der Parteien bei der Europawahl 2014 – Manege frei für die Competition-Competition!


CDU/CSU

„Wettbewerb für Europa, europäische Champions für die Welt.“ So ließe sich der wettbewerbspolitische Passus des gemeinsamen CDU/CSU Europawahlprogrammes in einem Satz zusammenfassen.

Nach einem Lob des Wettbewerbs als Grundpfeiler der sozialen Marktwirtschaft, Garant verbesserter Produkte und Erschaffer von Innovationen, erfolgt im letzten Satz des wettbewerbspolitischen Abschnittes ein plötzlicher Turn: Zwar soll der Wettbewerb in Europa gestärkt werden, doch in Schlüsselbereichen müsse das Entstehen von europäischen Weltmarktführern durch eine „bessere Kooperation“ der Unternehmen ermöglicht werden.

Dr. Jekyll und Mr. Hyde? Stand hier die Nationale Industriestrategie Peter Altmaiers Pate? Grüßt aus der Ferne die europäische Ministererlaubnis? Der elephant in the room ist natürlich China, dem mit dem letzten Satz ein „tu quoque“ zugerufen wird. National wird sich im Ministererlaubnisverfahren Miba/Zollern zeigen, wie es Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier mit dem Schutz des Wettbewerbs hält. Wer nun wissen will, wie der Wettbewerb in Europa geschützt werden soll, wenn durch eine „bessere Kooperation“ politisch gewollte marktbeherrschende Positionen entstehen, der muss CDU/CSU wählen.


SPD

Die SPD hält die internationale Solidarität hoch. Sie favorisiert eine „strategische Industriepolitik“, für die das „AIRBUS-Konzept“ Pate steht, das für internationalen Wettbewerb auf dem Flugzeugmarkt gesorgt hat. (Dass ein solches Konzept den Steuerzahler viel Geld kosten kann, erst jüngst wieder mehrere Hundert Millionen Euro für die Entwicklung des A-380, sei hier nur ganz am Rande erwähnt. Übrigens hatte schon 1988 Martin Bangemann, FDP-Wirtschaftsminister und späterer EU-Kommissar für Industriepolitik, die letztlich durch Ministererlaubnis genehmigte Fusion Daimler/MBB mit der Begründung angestoßen, die Airbus-Risiken vom Steuerzahler auf die Privatwirtschaft abzuwälzen.)

Doch zurück in die Gegenwart. Über eine aktive Industriepolitik hinaus, findet sich im SPD-Programm vor allem Kritik am Prinzip Wettbewerb. Zwar sollen Wettbewerb und Demokratie durch die Regulierung der digitalen Plattformgiganten geschützt werden. Vor allem aber kritisiert die SPD, dass „die auf Wettbewerb ausgerichteten ökonomischen Rahmenbedingungen zu tief in die Gesellschaft hineinreichen“. Die öffentlichen Güter Bildung, Gesundheit, öffentlicher Personennahverkehr, Pflege und öffentliche Infrastruktur sollen daher nicht Markt und Wettbewerb überlassen werden.


BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Das wettbewerbspolitische Programm der Grünen steckt voller Überraschungen. Es beginnt mit einem großen Lob des Wettbewerbs: Fairer Wettbewerb sorge für technische und soziale Innovationen und verhindere Monopolgewinne auf Kosten der Verbraucher.

Dann kommt die erste Überraschung: Damit die europäische Wettbewerbspolitik den Anforderungen des globalisierten 21. Jahrhunderts gerecht wird, fordern die Grünen ein eigenständiges europäisches Kartellamt, das bei außereuropäischen Fusionen (sic!) den globalen Markt berücksichtigt und sich nicht auf den europäischen Markt beschränkt. DG COMP als eigenständiges Europäisches Kartellamt! (Dass schon jetzt globale Märkte geprüft werden, wo erforderlich – geschenkt).

Zukünftig sollen nach Ansicht der Grünen bei der Fusionskontrolle zudem auch wettbewerbsfremde Faktoren berücksichtigt werden, denn die Fusion Bayer/Monsanto sei nicht nur für den Wettbewerb, sondern auch den Umweltschutz schädlich.

Nächste Überraschung: Der Nachweis des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung sei „in der Regel“ nicht möglich, weshalb Unternehmen zukünftig auch unabhängig von einem nachgewiesenen Marktmissbrauch aufgespalten werden sollen, wenn ihre Marktmacht zu groß ist. Insbesondere das durch die Fusion mit Instagram und Whatsapp entstandene „Facebook-Imperium“ soll per Entflechtung zerschlagen werden, und auch Google, Amazon und Airbnb droht eine strengere Regulierung.

Zuletzt bedeutet fairer Wettbewerb für die Grünen auch, übermäßigen Lohnwettbewerb innerhalb Europas zu verhindern. Eine Kommission soll einen europaweiten Maximalabstand zwischen höchstem und niedrigstem Gehalt innerhalb eines Unternehmens durchsetzen, um so den sozialen Zusammenhalt zu stärken.

Mutige Vorschläge – und das mit Abstand längste und progressivste wettbewerbspolitische Programm. Dem interessierten Leser sei ein Hintergrundpapier des Bundeskartellamts zum Thema Entflechtung empfohlen (und den Grünen noch mehr Beschäftigung mit dem Status quo).


DIE LINKE

Die LINKE befürchtet im Falle einer Ausweitung des Wettbewerbs in der EU eine Stärkung der starken Regionen und eine Schwächung der schwachen Regionen. Für die LINKE ist die gegenwärtige Diskussion über Industriepolitik daher kein Zufall, sondern das Eingeständnis, dass der Markt versagt hat.

Die LINKE fordert daher „eine Industriepolitik von links für eine sozial-ökologische Wende der Wirtschaft“. Neben der Beendigung der Austeritätspolitik und der Stärkung der Binnennachfrage bedeutet das für die LINKE eine Förderung von kleinen Unternehmen und Geschäften in den Dörfern und Innenstädten, um so Arbeitsplätze zu schaffen.

Nun könnte manch einer denken, das seien ja auch Ziele, die klassischerweise durch die Stärkung des Wettbewerbsprinzips erreicht werden sollen. Statt auf Wettbewerb setzt die LINKE jedoch auf eine koordinierte europäische Industriepolitik, die EU-Fördermittel einheitlich vergibt. Die (Zukunfts)Pläne dieser Industriepolitik sollen durch „Vertreter*innen aus Politik, der Gewerkschaften, Unternehmen, Wissenschaft, Umweltverbände und Zivilgesellschaft“ aufgestellt werden. (Immerhin fällt das Wort „Rat“ an dieser Stelle nicht.) Spezifisch linke Industriepolitik bedeutet für die LINKE, dass gezielt in strukurschwache und vom Strukturwandel geprägte Regionen (*hust*Ostdeutschland*hust*) investiert werden soll.

Über politische Alternativlosigkeit kann man sich angesichts solcher Vorschläge jedenfalls nicht beklagen.


AfD

Apropos Alternative. War das nicht der Anspruch der AfD, eine politische Alternative zum „Parteienkartell“ zu sein?

Allerdings: Nichts Neues unter der Sonne in der Wettbewerbspolitik. Wie fast alle anderen Parteien (sorry, SPD) lobt die AfD den Wettbewerb als Garant für technischen Fortschritt und günstige Verbraucherpreise, wobei sie – wenig überraschend – einen Ausverkauf der Wirtschaft an China streng ablehnt. Daneben beklagt die AfD, dass eine ausufernde Bürokratie Innovationen und Investoren vertreibe.

Achja, für den Fall, dass sich grundlegende Reformen der EU als unmöglich erweisen, fordert die AfD die Entflechtung der Europäischen Union und den DEXIT.

Um D’Kart nicht dem Vorwurf des Missbrauchs medialer Marktmacht auszusetzen (Stichwort: Lügenpresse), lassen wir das jetzt einfach mal unkommentiert so stehen. Oder ist die Nichtkommentierung auch eine Form der Diskriminierung?


FDP

Europäische Wettbewerbspolitik: Läuft. Die FDP klopft sich selbst auf die Schulter. Hat sie nicht in den letzten Jahren etliche Wettbewerbskommissare gestellt? Hat sie nicht dafür gesorgt, dass die Wettbewerbspolitik in Europa so gut funktioniert, wie sie funktioniert? Das liberale Europawahlprogramm versäumt es nicht, den Leser deutlich daran zu erinnern.

Respekt, FDP! Und was ist mit den „dornigen Chancen“ der Zukunft, digitalen Plattformen, China und – horribile dictu – Industriepolitik? Immerhin: Die FDP fordert, auch Fusionen unterhalb der geltenden Umsatzsschwellen der Fusionskontrolle zu unterwerfen, wenn durch Netzwerkeffekte besondere Gefahren für den Wettbewerb drohen (ein Fingerzeig auf Facebook/Whatsapp/Instagram).

Aber, wer weiß, vielleicht braucht eine Partei, für die auf europäischer Ebene Margrethe Vestager kandidiert, ja auch schlicht kein ausführlicheres wettbewerbspolitisches Programm.


Freie Wähler, Piraten & Tierschutzpartei

Ein Herz für Underdogs. Solange die kleinen Parteien noch nicht durch die „Lex germania“ aus dem Markt gedrängt worden sind, möchten wir auch auf sie noch einen kurzen Blick werfen.

Dem Programm der Freien Wähler fehlt ein Abschnitt zur Wettbewerbspolitik. Nur mittelbar lassen sich ein paar Aussagen zum Thema Wettbewerb entnehmen: So sind die Freien Wähler für die Förderung des Mittelstandes, also wohl eher gegen die Schaffung europäischer Champions. Sie sprechen sich zudem für einen Verbleib der Wasserversorgung in öffentlicher Hand aus und auch der Taximarkt soll vor neuen Fahrdienstmodellen geschützt werden.

Die Piraten haben ein gemeinsames Programm aller europäischen Piratenparteien aufgestellt (wow, wahrer europäischer Geist!). Leider ist das Programm aber recht kurz und enthält kaum wettbewerbspolitische Aussagen. Die Piraten kritisieren urheberrechtliche und patentrechtliche Monopole. Außerdem wollen sie im Energiesektor für Transparenz und Wettbewerb sorgen.

Trotz eines umfangreichen Europawahlprogrammes lässt auch die Tierschutzpartei nahezu jegliche Aussagen zur Wettbewerbspolitik vermissen. Die Kartellgesetze gegen Finanzkonzerne und Monopole sollen ausgebaut werden, wie bleibt aber offen. Bei Fusionsentscheidungen sollen zukünftig auch soziale und ökologische Aspekte berücksichtigt werden.

Sagen wir so: Angesichts dieser Programme wäre für eine Kleinstpartei zur Wettbewerbsförderung noch Platz. Und die Kleinen können sich derweil mit der cartel party theory vertraut machen.


Fazit

Nach Durchsicht der Parteiprogramme bleibt an neuen Ideen zur Wettbewerbspolitik nicht viel. Angesichts der zentralen Rolle des Wettbewerbs für den gemeinsamen Binnenmarkt und der Vielzahl aktueller Herausforderungen bleibt man verblüfft zurück. Möglicherweise ist die scheinbare Ideenlosigkeit aber auch nur ein Bekenntnis der Parteien zum Vertrauen in die erfolgreiche Arbeit der DG Comp. Allerdings ist die Hochkonjunktur des Begriffs „Industriepolitik“ auch ein Hinweis auf einen Vertrauensverlust in die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Prinzips „Wettbewerb“. Erleben wir den Beginn eines neuen Systemwettbewerbs mit China? Und wird das Europäische Kartellamt bald Google, Amazon und Facebook entflechten? Am 26. Mai haben Sie die Wahl!

Dr. Maximilian Konrad, MSc (LSE) ist angestellter Rechtsanwalt in einer auf die zivilrechtliche Revision spezialisierten Kanzlei in Karlsruhe. Erfahrungen mit dem Verhältnis von Wettbewerb und Politik hat er im Rahmen seiner Dissertation zum Thema „Das Gemeinwohl, die öffentliche Meinung und die fusionsrechtliche Ministererlaubnis“ (Duncker & Humblot, Herbst 2019) gesammelt.

Transparenzhinweis: Der Autor ist Mitglied der FDP.

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