Auftakt beim OLG: Das Bierkartell

Auftakt beim OLG: Das Bierkartell

Am Mittwoch, 10:00 Uhr, geht es in Saal BZ 5 an der Cecilienallee 3 in Düsseldorf wieder los: Ein neues, großes Kartellbußgeldverfahren wird vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf verhandelt. Hinter dem Aktenzeichen V-4 Kart 2/16 OWi verbirgt sich das Bierkartell. Der 4. Kartellsenat unter Vorsitz von Manfred Winterscheidt hat 20 Verhandlungstermine bis September festgesetzt. Nicht ausgeschlossen ist allerdings, dass diese Meldung zum Prozessauftakt sich als gänzlich gegenstandslos herausstellt – möglicherweise werden die Einsprüche noch zurückgezogen. Und das hat Gründe, wie Rupprecht Podszun feststellt.

 

Das Bundeskartellamt hatte am 27.12.2013 und am 31.3.2014 Bußgelder gegen Brauereien, deren Verantwortliche und den Brauereiverband NRW in Höhe von 338 Millionen Euro verhängt. Anheuser-Busch InBev blieb als Kronzeuge verschont. Im Fallbericht des Amtes werden einzelne Preiserhöhungen dargestellt, die abgesprochen gewesen seien. Zudem sei man zu der Auffassung gekommen, dass es „unter den Premium-Brauereien ein Grundverständnis in dem Sinne gab, dass allgemeine Preiserhöhungen (d.h. solche, die sich nicht auf bestimmte Marken oder Gebinde beschränken) zumindest zwischen den großen Premium-Brauereien vorab abgesprochen und entsprechend umgesetzt wurden.“

Bitburger, Krombacher, Veltins, Warsteiner und Barre schlossen Settlement-Vereinbarungen mit dem Amt. Das regionale NRW-Geschehen um die Brauereien Erzquell, Cölner und Gaffel ist abgetrennt. Vor dem OLG verteidigen sich nun noch Carlsberg (Marken u.a. Astra und Holsten) und Radeberger (Marken u.a. Jever, Union und Berliner Kindl) sowie einzelne natürliche Personen; diese Parteien kämpfen gegen eine Bußgeldsumme von 222 Mio. Euro.

Das OLG-Verfahren zum Bierkartell steht unter besonderer Beobachtung: Es ist das erste große Verfahren, seit es unüberhörbar knarzt und knackt im Bußgeldrecht.

 

Einspruch einlegen oder nicht?

Das Grundthema ist leicht beschrieben: Unternehmen, die wegen wettbewerbsbeschränkender Absprachen bebußt werden, müssen sich entscheiden, ob sie gegen den Bußgeldbescheid des Amtes vorgehen. Tun sie es nicht, erwächst der Bußgeldbescheid in Rechtskraft, follow-on-Schadensersatzklagen werden möglich. Entscheiden sie sich für den Einspruch, kann das zur Aufhebung der Geldbuße führen. Aber der Rechtsbehelf kostet Zeit und Geld: In aufwändigen Sitzungen wird unter persönlicher Anwesenheit der Betroffenen und ihrer Anwältinnen und Anwälte (die dafür ggf. Woche für Woche aus der ganzen Republik einfliegen) nach § 77 OWiG Beweis aufgenommen und verhandelt. Dass solche Gerichtsverfahren aus vielen verschiedenen Gründen nicht immer hypereffizient sind, ist ebenfalls bekannt.

Ein kleines, aber vielleicht charakteristisches Detail: Die Richterinnen und Richter machen in der Regel ihre eigenen Notizen während des langen Verfahrens. Das führt zum einen dazu, dass sie sich nicht richtig auf die Vernehmungen konzentrieren können, weil sie ja mitschreiben müssen. Zum anderen geht aber manches auch verloren, da die Senatsmitglieder keine Profi-Stenographen sind. Die von den Unternehmen mit eigenen Schreibern zum Teil professionell erstellten Protokolle werden nicht Teil der Gerichtsakte, auf sie kann man sich beispielsweise für die Rechtsbeschwerde nicht stützen. Fazit eines Anwalts: „Die gerichtliche Beweisaufnahme nimmt zwar viele Tage in Anspruch, aber die Feinheiten gehen verloren. Am Ende entscheidet dann ein diffuser Gesamteindruck.“

Theoretisch aber bietet, wenn alles gut geht, das OLG-Verfahren die Chance, die Bußgeldsumme erheblich zu reduzieren oder ganz wegzuschlagen.

 

Catch-22 versus Artikel 19 Grundgesetz?

Es kann aber auch ganz anders kommen. Zur Erinnerung: Beim OLG wird der Fall komplett neu aufgerollt, es findet nicht bloß eine Überprüfung der Kartellamtsentscheidung statt. Da das OLG – anders als das Bundeskartellamt (siehe Ziff. 10 der Bußgeldleitlinien) – bei der Bußgeldberechnung nicht primär den tatbezogenen Umsatz als Bezugspunkt der Bußgeldberechnung zugrunde legt, kann die Bußgeldhöhe bei Mehr-Produkt-Unternehmen und Großkonzernen erheblich in die Höhe schießen. Rossmann hat das im Kaffeekartell erfahren, als das Bußgeld von 5,5 Mio. Euro beim Amt auf 30 Mio. Euro nach dem OLG-Spruch eskalierte – im Wesentlichen aufgrund der Berechnung. Thorsten Mäger hat dies in der aktuellen WuW als eine Regeländerung mitten im Spiel bezeichnet: „Die Lösung kann nicht sein“, so Mäger, „dass die Kartellbeamten das Bußgeld „freihändig“ mit Blick auf die 10 %-Obergrenze zu bestimmen haben. Umgekehrt wird das OLG Düsseldorf das Berechnungsschema der Bußgeldleitlinien nicht zugrunde legen können.“ Mäger schlägt eine Gesetzesreform vor, bei der an die Kriterien der Bußgeldleitlinien des Amtes angeknüpft wird.

V-4 Kart 2/16 OWi ist noch drin: Screenshot von den OLG-Sitzungsterminen, Stand: 11.6.2018, 19:15 Uhr.

Kann ein/e Berater/in dieses Prozessrisiko der Mandantin noch verkaufen? Das Management wird dann konfrontiert mit der Entscheidung: „Wir gehen zum OLG, es kann auch sein, dass wir dort Recht kriegen, aber wenn irgendetwas übrig bleibt vom Tatvorwurf, fällt die Geldbuße vielleicht viel höher aus als jetzt.“ Zumindest für Unternehmen, die keine Ein-Produkt-Unternehmen sind, heißt das: Das Beschreiten des Rechtswegs wird aus ökonomischen Gründen so unattraktiv, dass  die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 S. 1 Grundgesetz faktisch leer läuft.

„Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.“

Für die Unternehmen ist es ein Catch-22: Settlen sie schnell oder lassen sie den Bußgeldbescheid in Rechtskraft erwachsen, zahlen sie ein Bußgeld und sind Schadensersatzansprüchen ausgesetzt. Legen sie Einspruch ein, müssen sie sich in einen äußerst mühsamen Prozess begeben, dessen Ende nicht nur nicht zwingend eine Verbesserung erbringt, sondern sogar zu einer erheblichen Erhöhung des Bußgelds führen kann.

 

Verfahrene Verfahren?

Übertriebenes Mitleid mit Unternehmen, die sich rechtswidrig verhalten haben, ist zwar nicht von Nöten – aber ob sie sich rechtswidrig verhalten haben und, wenn ja, ob die Buße in angemessenem Verhältnis zur Tat steht, das ist ja gerade erst zu klären. Bei allem Respekt vor der Arbeit des Bundeskartellamts: Es kann selbst dort vorkommen, dass Fehler passieren. Die Überprüfung des Handelns einer Behörde, die ermittelt und entscheidet, ist im Rechtsstaat essentiell.

Das OLG hatte zuletzt dieser Überzeugung Nahrung gegeben: Im Wurstkartell (wegen der „Wurstlücke“ ohnehin das Aufregerverfahren schlechthin) blieb das Unternehmen Heidemark nach der Beweisaufnahme beim OLG bußgeldfrei.

In die Defensive geriet das Bundeskartellamt darüber hinaus wegen der Aktenführung. Die Vorgeschichte der Durchsuchung samt Kronzeugenantrag („Akte Null“) war offenbar nicht dokumentiert, möglicherweise wurden dem Amtsgericht beim Antrag auf den Durchsuchungsbeschluss nicht alle Informationen offengelegt. Dieses Malheur sollte zwar nicht überbewertet werden, aber es wirft eben ein Schlaglicht darauf, dass checks and balances auch dem Amt gut tun. Im eigenen Interesse: Vom Zusammenspiel mit der Justiz hängt nicht nur die Wirksamkeit des einzelnen Bußgeldbescheids ab, sondern auch die Akzeptanz bei den Stakeholdern.

Manche Anwälte berichten, dass immer wieder Fragen der Verfahrensführung bei Bußgeldverfahren gerügt wurden, ohne dass dies bisher beim OLG – von der Ausnahme in der Wurst-Angelegenheit abgesehen – oder beim Amt viel in Bewegung gesetzt hätte. Immerhin hatte das Amt allerdings einige Fälle in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Verhandlung vor dem 6. Kartellsenat geschlossen. Das seit drei Jahren beim Amt geführte Verfahren wegen Metall-Verpackungen wurde an die Kommission nach Brüssel abgegeben. Die Pressemitteilung deutet an, dass dabei die Wurstlücke eine Rolle gespielt hat (die eine Bebußung nach altem Recht in Deutschland erschwert, in Brüssel aber keine Rolle spielt.)

Noch nicht einmal gestreift ist damit die substantielle Frage, welche Vorfälle wie gravierend sind und welcher Sanktion sie bedürfen. Was ist eigentlich ein schlimmes Kartell, wo wird es auf der Bußgeldfaktorenskala einsortiert? „Optimal deterrence“ ist immer wieder ein Thema in der Wissenschaft, vor allem seit Schadensersatzforderungen im Raum stehen und Kronzeugen ihr schillerndes Spiel des Verrats spielen. Dabei wird regelmäßig auch die Kriminalisierung der Kartellbildung ins Spiel gebracht, etwa 2015 von der Monopolkommission. Das würde aber erst recht voraussetzen, dass man sich über den Unrechtsgehalt und die Differenzierung verschiedener Taten Gedanken macht.

 

Nächste Chance auf Erleuchtung?

Ob die Anwälte mit ihrer noch sehr sanft vorgebrachten Kritik richtig liegen, lässt sich kaum einschätzen: Einerseits ist die Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze natürlich ein absolutes Muss, einschließlich der Verfahrensrechte der Betroffenen. Andererseits lässt sich durch das Hochschrauben der Anforderungen ans Verfahren wahrscheinlich jede Ermittlung torpedieren. Mindestens würden die Verfahren noch länger, teurer, bürokratischer. Insofern kann auch das Strafverfahren (im Vergleich zum OWiG-Verfahren) nicht wirklich ein Vorbild sein. Das Kartellrecht gilt im Bereich der Unternehmenssanktionierung ja gerade als besonders effizient und erfolgreich, ohne dass von einer systematischen Aushebelung von Verfahrensrechten die Rede sein kann.

Wenn aber die gerichtliche Kontrolle des Bundeskartellamts durch das Oberlandesgericht entfällt, ist Alarm geboten. Die Verlockung zum Deal einerseits und die Furcht vor verböserten Geldbußen andererseits halten Unternehmen vom Rechtsweg fern. Sofortmaßnahme 1: Das Auseinanderdriften von OLG und Amt bei der Bußgeldberechnung muss gestoppt werden. Beide Seiten haben verständliche Auffassungen, notfalls muss das der Gesetzgeber mit der Einfügung eines Satzes zum tatbezogenen Umsatz im Gesetz richten. Was der richtige Ansatz ist, lässt sich lange diskutieren, es bedarf aber vor allem einer Entscheidung.

Sofortmaßnahme 2: Gibt es nicht. Das Unbehagen mit den Verfahren sowohl beim OLG als auch beim Amt ist nicht Sache einer großen Grundsatzentscheidung und bedarf vorerst keiner gesetzgeberischen Intervention. Vielmehr steht die Klärung komplizierter Einzelfragen an. Im Suchprozess der Justiz sind millimeterweise Maßstäbe zu verrücken, um Effizienz und Rechtsstaatlichkeit der Verfahren immer wieder, von Fall zu Fall, neu auszutarieren. Natürlich, ceterum censeo, sollte in die Modernisierung der Justiz investiert werden.

Indem Staatsanwaltschaft und OLG ein neues, eigenes Verfahren samt eigener Beweisaufnahme durchführen, wird über die Verfahrensführung des BKartA nur mittelbar entschieden. Bei Entscheidungen der EU-Kommission ist das wegen Art. 31 VO 1/2003 bekanntlich anders: Hier überprüft auch die erste Instanz, also das EuG, im Prinzip nur das Vorgehen der Behörde. Auch das ist keine Musterlösung.

Es ist vertrackt. Wenn man sich zurücklehnt und betrachtet, was passiert, sieht man: So nicht. Aber wie es richtig ginge? Mit dem Bierkartell – so denn nicht noch die Betroffenen ihre Einsprüche zurücknehmen – erhält der 4. Kartellsenat die Chance, Maßstäbe zu setzen. Vorhang auf! Wir schauen zu und wünschen allen Beteiligten den Erfolg, den sie verdienen.

4 Gedanken zu „Auftakt beim OLG: Das Bierkartell

  1. Prof. Podszun legt den Finger in die Wunde und Thorsten Mäger hat völlig Recht mit seiner Kritik am Systemwechsel bei der Bußgeldobergrenze. Für Unternehmen, die nicht mittelgroße Ein-Produkt-Unternehmen sind und bereits im Verfahren vor dem Bundeskartellamt mit einem hohen Prozentsatz des Bußgeldrahmens überproportionoal „schlecht“ weggekommen sind, ist der Gang vor das OLG Düsseldorf vermintes Terrain. Als wenn es eines weiteren Beweises bedurft hätte, kommt heute die Meldung, dass Radeberger seinen Einspruch just einen Tag vor der Hauptverhandlung zurückgezogen hat.

  2. Man kann es auch anderherum sehen: Das Bundeskartellamt setzt seine Bußgelder gezielt niedrig an, um einen Anreiz zu schaffen, nicht dagegen zu klagen.

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