Koalitionsvertrag und Kartellverfolgung

Koalitionsvertrag und Kartellverfolgung

Es soll ja um die Inhalte gehen, das hört man dieser Tage immer wieder. Und so widmet sich unser Autor Konrad Ost, Vizepräsident des Bundeskartellamts, einer fachlichen Frage aus dem Koalitionsvertrag. Es geht um das Kapitel „Unternehmenssanktionen“, das das Kartellbußgeldrecht einschneidend ändern könnte.

Rupprecht Podszun hat in diesem Blog die wesentlichen Aussagen des (wahrscheinlichen) Koalitionsvertrages kommentiert, die direkt Bezug auf das Kartellrecht nehmen. Für den Kartellrechtler wenig spektakulär klingt ein Absatz, der unter der Überschrift „Unternehmenssanktionen“ vereinbart wurde:

Zeilen 5912 ff: „Wir wollen sicherstellen, dass Wirtschaftskriminalität wirksam verfolgt und angemessen geahndet wird. Deshalb regeln wir das Sanktionsrecht für Unternehmen neu. Wir werden sicherstellen, dass bei Wirtschaftskriminalität grundsätzlich auch die von Fehlverhalten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern profitierenden Unternehmen stärker sanktioniert werden. Bislang liegt es im Ermessen der zuständigen Behörde, ob auch das betreffende Unternehmen verfolgt wird. Durch die Abkehr vom Opportunitätsprinzip des bislang einschlägigen Ordnungswidrigkeitenrechts sorgen wir für eine bundesweit einheitliche Rechtsanwendung. Durch klare Verfahrensregelungen erhöhen wir zudem die Rechtssicherheit der betroffenen Unternehmen. Zugleich werden wir spezifische Regelungen über Verfahrenseinstellungen schaffen, um der Justizpraxis die notwendige Flexibilität in der Verfolgung einzuräumen.

Wir werden das Sanktionsinstrumentarium erweitern: Die geltende Bußgeldobergrenze von bis zu zehn Millionen Euro ist für kleinere Unternehmen zu hoch und für große Konzerne zu niedrig. Wir werden sicherstellen, dass sich die Höhe der Geldsanktion künftig an der Wirtschaftskraft des Unternehmens orientiert. Bei Unternehmen mit mehr als 100 Millionen Euro Umsatz soll die Höchstgrenze bei zehn Prozent des Umsatzes liegen. Zudem schaffen wir weitere Sanktionsinstrumente. Weiterhin schaffen wir konkrete und nachvollziehbare Zumessungsregeln für Unternehmensgeldsanktionen. Die Sanktionen sollen auf geeignetem Weg öffentlich bekannt gemacht werden.

Um Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen, werden wir gesetzliche Vorgaben für „Internal Investigations“ schaffen, insbesondere mit Blick auf beschlagnahmte Unterlagen und Durchsuchungsmöglichkeiten. Wir werden gesetzliche Anreize zur Aufklärungshilfe durch „Internal Investigations“ und zur anschließenden Offenlegung der hieraus gewonnenen Erkenntnisse setzen.“

Vorbild NRW-Entwurf?

Das hört sich nach einer deutlich abgeschwächten Variante des Projektes „Unternehmensstrafrecht“ an, dessen Einführung nach dem Koalitionsvertrag 2013 zur Prüfung anstand. 2013 hatte der damalige NRW-Justizminister Thomas Kutschaty einen Entwurf vorgestellt, der sich allerdings nicht durchsetzen konnte und auch von der (neuen) NRW-Landesregierung nicht weiterverfolgt wird. Das Bundeskartellamt hatte sich angesichts der zu erwartenden praktischen Schwierigkeiten sehr zurückhaltend zum Unternehmensstrafrecht geäußert (vgl. Mundt Editorial WRP 3/2014).

Gleichzeitig ging die Diskussion um ein Verbandssanktionenrecht weiter, ohne dass seitens des BMJV ein Entwurf zur Diskussion veröffentlicht wurde. Veröffentlicht wurde allerdings von der Forschungsgruppe Verbandsstrafrecht ein „Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes“.

Vorbild Kartellsanktionen?

In welche Richtung geht nun der neue Koalitionsvertrag? In mancherlei Hinsicht scheint das spezielle Kartellsanktionenrecht Pate gestanden zu haben: Ein Sanktionsrahmen von 10 % des Umsatzes soll für große Unternehmen ins allgemeine Sanktionenrecht überführt werden. Sie erlaubt schon bisher in der Praxis der deutschen und europäischen Kartellbehörden eine der Ahndungsempfindlichkeit der Unternehmen angemessene Buße. Man wird davon ausgehen können, dass auch die im Kartellrecht gefundenen Regelungen, um Schlupflöcher für findige Unternehmen zu schließen, den Gesetzgeber inspirieren werden (das Stichwort Wurstlücke hat inzwischen einen eigenen Wikipedia-Eintrag). Gespannt kann man sein, wie die noch allgemein gehaltenen Ankündigungen ausgefüllt werden: neue Sanktionsinstrumente (der NRW-Entwurf hatte hier in besonderen Fällen die Auflösung des Unternehmens vorgesehen), nachvollziehbare Zumessungsregeln und Veröffentlichung der Sanktionsentscheidungen.

Legalitätsprinzip als Schlüssel?

Wie effektiv und effizient die Verfolgung von Unternehmensdelinquenz ist, hängt neben den Ressourcen der Verfolgungsbehörde und den Sanktionen maßgeblich vom Verfahrensrecht ab. Ob die beklagte, bisweilen sehr uneinheitliche Verfolgungspraxis der verschiedenen Staatsanwaltschaften durch die angekündigte Einschränkung des Opportunitätsprinzips tatsächlich korrigiert wird, mag man unterschiedlich beurteilen und hängt wahrscheinlich von der konkreten rechtlichen Ausgestaltung ab. Die Wahrnehmung einer uneinheitlichen staatsanwaltlichen Verfolgungspraxis gegenüber natürlichen Personen im Bereich Submissionsbetrug spricht eher gegen die These, dass das Legalitätsprinzip der zentrale Schlüssel zur Problemlösung ist. Gleichzeitig muss eine Neuregelung sicherstellen, dass die Verfolgungsbehörden auch in Zukunft bei komplexen Sachverhalten die Verfahren sowohl hinsichtlich der aufgegriffenen Tatkomplexe als auch hinsichtlich der Zahl der verfolgten Unternehmen auf der Basis eines Verfolgungsermessens zurechtschneiden können. Die Erfahrung mit komplexen Kartellverfahren insbesondere im gerichtlichen Stadium zeigt, dass in manchen Fällen erst eine solche Beschränkung Verfahren mit vertretbarem Aufwand als praktisch führbar erscheinen lässt. Der Koalitionsvertrag scheint dem Petitum durch erweiterte Einstellungsmöglichkeiten Rechnung tragen zu wollen.

Modernisierung der Verfahren?

Dass die StPO und das OWiG Vorgaben machen, die bei Verfahren gegen Unternehmen für alle Beteiligten nur Last ohne rechtsstaatlichen Gewinn bedeuten, ist schon oft diskutiert worden. Das Bundeskartellamt hat hier zusammen mit dem Bundeswirtschaftsministerium und den Professoren Thomas Ackermann, Gerhard Dannecker und Klaus F. Gärditz im Expertenkreis Kartellsanktionenrecht intensiv über Defizite der bisherigen verfahrensrechtlichen Rahmenbedingungen debattiert (vgl. Zwischenbericht des Bundeskartellamts).

Der Koalitionsvertrag bietet Ansatzpunkte für eine Entschlackung der Verfahrensordnungen (Rz. 5791 ff.). Die wahrscheinlichen Koalitionspartner kündigen eine Modernisierung der Strafprozessordnung und die Beschleunigung von Strafverfahren an, u.a. über eine Modernisierung des Selbstleseverfahrens. Das dürfte gerade auch in einem Unternehmenssanktionenrecht Bedeutung erlangen. Die Ausführungen zu „Internal Investigations“ sind noch vage, dürften aber vielleicht auch durch die Erfolge der kartellrechtlichen Kronzeugenpraxis inspiriert worden sein.

Auswirkungen auf Kartellverfahren

Alles in allem ein anspruchsvolles und schwieriges Programm. Welche Auswirkungen das Koalitionsprojekt auf die Kartellverfolgung haben wird, hängt im Wesentlichen von der konkreten Ausgestaltung ab. Der oben genannte Kölner Entwurf beschränkt sich ebenso wie die damalige NRW-Initiative zum Unternehmensstrafrecht auf Delikte, die bei natürlichen Personen Straftaten sind. Verstöße gegen Kartellrecht sind im Regelfall Ordnungswidrigkeiten. Und die gelegentlich diskutierte Kriminalisierung der Kartelltaten für natürliche Personen ist – jedenfalls von den Landesjustizministern – erst im vorletzten Jahr ad acta gelegt worden. Dann blieben zwar unmittelbare Auswirkungen auf den Bereich des (in der Kartellrechtspraxis bedeutsamen) Submissionsbetrugs beschränkt. Dass aber das Unternehmensordnungswidrigkeitenrecht von der Einführung eines auf Straftaten fokussierten Unternehmenssanktionenrechts im Übrigen unberührt bliebe, ist nicht zu erwarten.

Generell kann das Kartellrecht viele und wichtige Impulse geben, ist es doch eines der ganz wenigen Rechtsgebiete, in denen die Unternehmenssanktionierung in der Praxis weitgehend als funktionsfähig bewertet wird. Das lag u.a. auch an Sonderregelungen für das Kartellrecht, die mit manchen Traditionen des hergebrachten Sanktionenrechts brachen, sich aber jetzt als vorbildlich darstellen. Aus Sicht der Kartellrechtsdurchsetzung ist natürlich auch darauf zu achten, dass im Rahmen der Neuregelung des gesamten Unternehmenssanktionenrechts nicht als unbeabsichtigter Kollateralschaden die Funktionsfähigkeit des Kartellordnungswidrigkeitenrechts eingeschränkt wird. Es wird eine spannende Diskussion werden…

 

Der Autor Prof. Dr. Konrad Ost ist Honorarprofessor für Kartellrecht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Vizepräsident des Bundeskartellamts – seine Beiträge sind keine Stellungnahmen des Bundeskartellamtes.

 

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