Wettbewerb, Verbraucherschutz und eine Kommission
Im Bundeswirtschaftsministerium erhöht sich die Schlagzahl fürs Kartellrecht: Nach der Vorstellung von ersten Überlegungen zum Missbrauchsrecht in der vergangenen Woche wurde nun eine Kommission eingesetzt, die das Wettbewerbsrecht 4.0 erörtern soll. Und: Es gibt eine neue Studie, zur Rolle des Bundeskartellamts im Verbraucherrecht. Daran ist Rupprecht Podszun nicht ganz unschuldig – er berichtet hier.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat ein ehrgeiziges Ziel: „Wettbewerbsrecht für die digitale Ökonomie fit machen“, so prangt es heute von der Ministeriums-Website, und bekanntlich nehmen solche ehrgeizigen Ziele am besten ihren Ausgangspunkt in der Einsetzung einer Kommission. So geschieht es. Die „Kommission Wettbewerbsrecht 4.0“ wurde heute eingesetzt.
Personalien
Die Kommission hat drei Vorsitzende, warum auch nicht – bei einer Gesamtzahl von neun Mitgliedern und drei Personen mit Rede-, aber ohne Stimmrecht. Sie hat auch neun Fragen erhalten, und eine soll uns in diesem Beitrag noch ein bisschen beschäftigen. Aber zunächst zu der Frage, auf die geneigte Leserinnen und Leser unserer kleinen Kartellrechts-Gala schon warten: Wer ist denn nun in der Kommission? Ein, zwei Überraschungen, aber lauter bekannte, honorige Persönlichkeiten. Den Vorsitz führen Heike Schweitzer, die ja schon an der Studie zum Missbrauchsrecht, die wir hier besprochen haben, beteiligt war, Achim Wambach, der ja auch der Monopolkommission vorsitzt, und Martin Schallbruch. Martin – who? Schallbruch ist der IT-Beauftragte der Bundesregierung. Auf jeden Fall eine spannende Wahl – sein letztes Buch hat den Titel „Schwacher Staat im Netz“, was hoffentlich nicht auf eine zu große Staatsgläubigkeit schließen lässt.
Weitere Mitglieder sind die drei versierten Kartellrechtler Daniela Seeliger von Linklaters, Bernd Langeheine (einst Kommission, jetzt Cleary Gottlieb) und Wolfgang Kirchhoff (einst Freshfields, jetzt BGH). Hinzu kommen Monika Schnitzer, Ökonomieprofessorin aus München, der Informationsrechtler Jens-Peter Schneider, Professor in Freiburg, und Gerhard Wagner von der Humboldt-Uni in Berlin, der ja so eine Art Vater des „more economic approach“ im Zivilrecht ist. Das wird spannend. Aus den Regierungsfraktionen im Bundestag kommen – ohne Stimmrecht – Matthias Heider, Hansjörg Durz und Falko Mohrs hinzu, die später wohl die Vorschläge, die erarbeitet werden, durchs Parlament bringen sollen.
Fragen
Die neun Fragen haben es durchaus in sich, sie laden zum Verfassen von Dissertationen ein – vielleicht aber reicht es ja auch für einige gute Gesetzesänderungsvorschläge. Frage 9 zieht den Kreis vom Kartellrecht zum Lauterkeits-, Verbraucherschutz- und Datenschutzrecht und fragt, wie diese Bereiche miteinander verzahnt werden können. Da hätten wir etwas.
Bundeskartellamt und Verbraucherschutz
Just letzte Woche ist nämlich ein Gutachten veröffentlicht worden, das ich mit den Kollegen Christoph Busch (Uni Osnabrück) und Frauke Henning-Bodewig (MPI für Innovation und Wettbewerb, München) verfasst habe. Das Gutachten ist hier veröffentlicht. Das BMWi hatte uns gebeten, zwei Fragen zu klären: Erstens: Bestehen Defizite in der Durchsetzung des wirtschaftlichen Verbraucherrechts in Deutschland? Zweitens: Könnte das Bundeskartellamt als Verbraucherschutzbehörde Defizite – falls vorhanden – auffangen?
Die Frage wird ja seit einiger Zeit unter Kartellrechtlern heiß diskutiert, nicht zuletzt wegen des Facebook-Falls, den viele lieber im UWG als im GWB ansiedeln würden. Eine Professorentagung des Bundeskartellamts hatte den Grenzbereich schon ausgelotet. Zur Erinnerung für diejenigen, die noch Examen gemacht haben, als Verbraucherrecht noch nicht das große Ding der EU war: Das Zivilrecht ist heute im BGB stark verbraucherrechtlich aufgeladen. Das gilt aber auch für das UWG, jenes Schwesterherz des GWB, das seit ewigen Zeiten 1909 in Deutschland mit einer Generalklausel zum Einfallstor für Fairness-Schutz, manchmal auch für Mittelstandsschutz wurde. Inzwischen ist es nicht mehr nur das B2B-Gesetz, das das „Wie“ der ehrbaren Kaufleute untereinander regelt, sondern ist in großem Maße durch die UGP-Richtlinie überformt. Sie regelt den Verbraucherschutz, sodass das UWG inzwischen zum ordnungspolitischen Herzstück des wirtschaftlichen Verbraucherrechts in Deutschland geworden ist – gemeinsam mit dem AGB-Recht.
Private vs public
Die Durchsetzung von AGB-Kontrolle und UWG-Anforderungen liegt in Deutschland (und das ist eine Seltenheit in Europa) fast ausschließlich bei privaten Akteuren: Mitbewerbern, Verbraucherzentralen, Wirtschaftsverbänden, Kammern (§ 8 Abs. 3 UWG). Nur in einzelnen wenigen Bereichen, z.B. beim „Cold Calling“, gibt es Bußgelder oder gar Strafen (§§ 16-20 UWG). So drängt sich die Frage auf: Reicht denn das System von Abmahnungen und Unterlassungsverfügungen heutzutage noch, um die Vorschriften durchzusetzen? Druck kommt aus der EU: Die kürzlich neugefasste CPC-Verordnung, die die Kooperation der Mitgliedsstaaten bei grenzüberschreitenden Verstößen gegen bestimmte Richtlinien regelt (z.B. die UGP-Richtlinie), ruft eigentlich nach einer Durchsetzungsbehörde in allen Mitgliedsstaaten. Sie sieht vor, dass demnächst auch „Sanktionen wie Bußgelder“ und Netzsperren verhängt werden können sollen. Sollte eine Anfrage aus einem anderen Mitgliedsstaat kommen, wird man bei solchen Anforderungen kaum darauf verweisen können, dass der Verbraucherzentrale Bundesverband ja vor einem Landgericht auf Unterlassung klagen kann.
Durchsetzungsdefizite…
Was wir in der Studie gemacht haben: Wir haben versucht, uns systematisch der Frage zu nähern, in welchen Bereichen Durchsetzungsdefizite bestehen. Erste Erkenntnis: Das private enforcement im UWG funktioniert schnell und effizient. Aber es erfasst wohl nicht alle Fälle und die Sanktionen bleiben dürftig. Bei Ermittlungsschwierigkeiten für Private, die gerade bei digitalen Geschäftsmodellen eher zunehmen dürften, ist der Klageanreiz gering. Schadensersatz und Gewinnabschöpfung gibt es so gut wie nicht, auch die Folgenbeseitigung lahmt. Man kann also durchaus punktuellen Ergänzungsbedarf erkennen.
…und eine mögliche Behörde?
Wer soll’s dann machen? Der Auftrag für uns Gutachter war, das Bundeskartellamt als mögliche UWG- und AGB-Durchsetzungsbehörde anzuschauen. Damit knüpft man an die 9. GWB-Novelle an, seither arbeitet im Kartellamt ja bereits eine Beschlussabteilung unter Leitung von Carsten Becker an verbraucherrechtlichen Sektoruntersuchungen. Wir haben im zweiten Teil des Gutachtens daher ausbuchstabiert, wie eine Beauftragung des BKartA mit Verbraucherrecht aussehen könnte. Da gibt es durchaus Fallstricke: es wird nicht damit getan sein, den Befugnisapparat des GWB eins zu eins aufs UWG auszudehnen. Dafür sind Verstöße gegen UWG und AGB-Recht doch ganz anders gelagert als kartellrechtliche Verstöße.
Von einer Empfehlung haben wir ausdrücklich abgesehen. Es ist eben eine politische Frage, welches Verbraucherschutzniveau man anstrebt, welche Belastung man Unternehmen aufbürden will, und wer dafür zuständig sein soll.
Ich persönlich habe in der monatelangen Beschäftigung mit der Thematik durchaus einiges gelernt, aber wenn ich das hier ausbreite, habe ich habe Sorge, dass der Kartellrechtsblog zu einem Verbraucherrechtsblog mutiert. Oder wachsen diese Themen ohnehin zusammen, wie in Frage 9 für die Wettbewerbskommission angedeutet? Lesen Sie doch zum Auftakt mal die Executive Summary hier. Nur so viel: Früher hatte ich auch ein ganz ungutes Gefühl, wenn ich den Begriff Verbraucherschutz (wir sagen lieber neutral: Verbraucherrecht) hörte. Gleichzeitig habe ich aber auch viel nachgedacht über das Zitat des großen West-Erklärers Niall Ferguson, der die Verbraucherorientierung für eine der großen Errungenschaften der westlichen Zivilisation hält (und das braucht wohl auch ein gewisses Maß an Verbraucherschutz). Und so würde ich sagen: Wenn es eine Verbraucherrechtsbehörde in Deutschland geben soll, sei es aus europarechtlichem Druck oder aus politischer Überzeugung, dann fände ich es gut, diese Aufgabe beim Bundeskartellamt anzusiedeln. Aber das können Sie natürlich ganz anders sehen. Mit der Wettbewerbskommission hat das Bundeswirtschaftsministerium ja vor allem den Startschuss gegeben, diese und viele andere Fragen zu diskutieren. GWB10: Los geht’s!