Conference Debriefing (12): EU Competition Conference 2019, Brüssel, September 2019
Alle zwei Jahre reist unser Kartellrechts-Team mit dem Thalys nach Brüssel, um aktuelle Entwicklungen im Wettbewerbsrecht zu diskutieren. In diesem Jahr hätte der Zeitpunkt der Konferenz nicht besser sein können. Die Veranstaltung fand am Tag nach der Ankündiung statt, dass Margrethe Vestager Wettbewerbskommissarin bleibt. Maren Dittrich und Adrian Deuschle haben ein Conference Debriefing für die Leserschaft von D’Kart!
Konferenzname: EU Competition Conference 2019
Ort: Square Business Center, Brüssel, Belgien
Veranstalter: Die CMS Competition & EU Group und unser Institut für Kartellrecht (IKartR) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Teilnehmer: Rund 200 Kartellrechtler, viele Unternehmensjuristen, Vertreter von Kartellbehörden, Wirtschaftsverbänden – und natürlich von Anwaltskanzleien (nicht nur von CMS) und ein paar Doktoranden der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Also mal wieder eine Konferenz über Digitales, Plattformökonomie und den richtigen Umgang mit GAFA?
Nein, im Gegenteil. “There will be no digital talk today” wie Michael Bauer, Head der Competition & EU Group bei CMS Brüssel, in seiner Begrüßung feststellte. Nicht jeder im Raum war vollständig überzeugt von dieser Weichenstellung.
Wie bitte? No digital talk? Worüber wurde dann gesprochen?
Luxusgüter zum Beispiel. Derzeit prüft die Generaldirektion Wettbewerb die Vertikal- Gruppenfreistellungsverordnung (GVO). Dieser sichere Hafen ist wichtig, um Rechtssicherheit zu gewährleisten und dadurch Compliance-Kosten zu senken. Marieke Scholz von der Generaldirektion Wettbewerb berichtete, dass sie sich mitten in der Evaluation befinden und die Unterstützung durch Unternehmen, Verbraucher und nationale Wettbewerbsbehörden überwältigend war. Es scheint, dass das derzeitige System gut funktioniert. Es müsse aber an neue Entwicklungen, wie die Zunahme der Online-Verkäufe, angepasst werden (sorry, digital talk again!). Eines der Hauptprobleme sei die inkonsistente Anwendung der Vorschriften auf nationaler Ebene. Nicolas Lievens von L’Oreal betonte dies im Hinblick auf die Erhaltung des selektiven Vertriebs. Die berühmte Coty-Entscheidung mit ihrem Fokus auf Luxusgüterlieferanten, die ihren Vertriebspartnern den Verkauf ihrer Waren über eine Internetplattform eines Drittanbieters verbieten können, ist nach wie vor umstritten. Dr. Markus Kürten von Adidas sagte, dass es noch unklar sei, was unter die Definition eines Luxusguts fällt. Benjamin Neyt, Anwalt bei LVMH, empfahl aus dem Publikum heraus schlicht, selbst zu definieren, was Luxus sei.
Weiterhin auf der Agenda: vertikale
Preisbindungpflege. Dr. Luca Schicho von der österreichischen
Wettbewerbsbehörde sprach sich für mehr Klarheit in der GVO aus. Schwarz-weiß Lösungen
seien nicht der richtige Weg, um dieses Problem anzugehen. In Bezug auf Kooperationsmöglichkeiten
mit der Behörde erläuterte Schicho, dass in Fällen vertikaler Preisbindungen die
Kronzeugenregelung in Österreich greifen kann und dass eventuell sogar eine 100
%ige Ermäßigung der Geldbuße gewährt wird. Allerdings gab es bisher weitaus
mehr horizontale als vertikale Kronzeugenanträge. Vorschlag Schicho: „If it happens make sure it
happens in the right jurisdiction“.
Wer war der VIP im Raum?
Wahrscheinlich trifft diese Bezeichnung am ehesten auf Dr. Andreas Schwab zu, der als Vestagers Partner und Kontrolleur im Europäischen Parlament auftritt. Er war Berichterstatter des Parlaments für die Kartellschadensersatz- und die ECN+-Richtlinien. Schwab sprach über den Deutsch-Französisch-Polnischen Vorschlag zur Modernisierung des europäischen Wettbewerbsrechts. Ihn persönlich hat es überrascht, dass Polen sich an dem Vorschlag beteiligt hat. Zudem redete er über Mehrheiten, das ist wohl seiner Natur als Politiker geschuldet. Für ihn sind industriepolitische Entscheidungen nicht nur juristisch relevant, sondern vor allem politisch, und aus seiner Perspektive scheint es klar zu sein, dass manche der Vorschläge keine Mehrheit erlangen werden können. Er schlug vor, den Vorschlag als Impuls für weitere Diskussionen auf europäischer Ebene zu sehen.
Was haben die Unternehmensvertreter zu den sogenannten Europäischen Champions gesagt?
Alle Redner, inklusive Benedikt Ecker von ThyssenKrupp, waren skeptisch bezüglich politischer Erwägungen in der Fusionskontrolle. Es gibt eben keinen Beweis, dass größere Unternehmen dem Wettbewerb zuträglicher sind. „Even shareholders can’t predict the market, so how can the government?”, sagte Ruben Maximiano (OECD). Da können wir nur zustimmen! Einer der Fälle, der im Merger-Panel diskutiert wurde, war das Fusionsverbot bei Thyssen/Tata. Benedikt Ecker stellte fest, dass eine andere Marktabgrenzung hilfreich gewesen wäre, nicht jedoch Erwägungen der Industriepolitik. Rücksicht müsse auch auf Konjunkturzyklen genommen werden.
Angelique de Brousse (Johnson&Johnson) betonte, dass das europäische Wettbewerbsrecht ihrer Meinung nach bereits flexibel genug sei, um es mit der Konkurrenz aus China und den damit aufkommenden Problemen aufzunehmen. Manche der Aspekte, die als „industrial policies“ diskutiert werden, könne man beim Effizienzeinwand anbringen, was allerdings ebenfalls ein unterentwickeltes Instrument sei. Sie wies darauf hin, dass Umwelt- und Arbeitnehmerschutz auch relevant werden könnten, wenn man die Diskussion für weitere Aspekte öffnet.
Weitere Punkte bezüglich der Fusionskontrolle?
Themen, die Inhouse-Anwälte momentan beschäftigen, sind Verstöße gegen das Vollzugsverbot und Falschinformationen in der Anmeldung. Schließlich haben die Wettbewerbsbehörden hier neue Felder entdeckt und zum Teil enorme Bußgelder erlassen, wie z. B. in Altice. De Brousse erklärte lachend, dass dies ihre Arbeit im Umgang mit dem Management erleichtere, da sie jetzt auf das Bußgeld-Risiko verweisen könne… Mit der Frage konfrontiert, ob die Regelungen vielleicht zu vage sind gemessen an der Höhe der Bußgelder, kündigte Étienne Chantrel, Leiter der Fusionskontrollabteilung der Französischen Autorité de la Concurrence, an, dass seine Behörde diese Woche Richtlinien zu diesem Thema veröffentlichen werde. Mit nur zwei oder drei von 200 bis 250 Fusionsfällen, in denen es zu Bußgeldern aufgrund von Gun-jumping kam, sei es offensichtlich, dass die Unternehmen in der Regel wissen, wie sie sich richtig verhalten. Harald Kahlenberg schlug vor, sich mit den Wettbewerbsbehörden ins Benehmen zu setzen, um die Risiken eines Bußgeldes zu minimieren.
Gab es Pannen? Oder irgendwelche (positiven) Überraschungen?
Wir haben keine Pannen beobachtet. Allerdings gab es beim Panel über missbräuchliches Verhalten zwei denkwürdige Momente außerhalb der Tagesordnung: Erstens musste Karen Schutyser von Coca-Cola leider in letzter Minute ihre Teilnahme an der Konferenz absagen. Michelle Gibbons von AIM sprang ein – das ist Brüsseler Professionalität. Und zweitens hatte der Mann neben ihr, AB InBevs Ben Graham, Geburtstag. Er bekam von uns kein Ständchen, aber immerhin einen Geburtstagskuchen!
Also, ein Panel mit dem ehemaligen EuGH-Richter Cruz Vilaça hat doch bestimmt über Intel gesprochen? Schließlich war er Berichterstatter in dem Fall…
Lentamente! Die Diskussion begann mit einigen kritischen Bemerkungen bezüglich der Marktmacht von Einkaufsverbünden und Einzelhandelsverbänden. Aktuell arbeitet die Kommission am Thema. Anscheinend ist sich die Behörde der potentiellen Marktmacht bewusst, die Einzelhändler durch das Delisting von einzelnen Produkten aus ihrem Sortiment ausüben können, was auch noch einmal von Gibbons und Graham bestärkt wurde. Philippe Chauve (Generaldirektion Wettbewerb) warf dann die Frage in den Raum, ob starke Einzelhändler auf lange Sicht den Verbrauchern schaden könnten. Seiner Ansicht nach, ist es schwierig eine solche Schädigung anzunehmen, wenn ein Produkt in einem Laden aus dem Sortiment verschwindet, aber im Nachbarladen noch erhältlich ist.
Dagegen explodierte argumentierte
Jan Werner (Metro Group) vehement (!) aus dem Publikum, dass das Delisting eine
notwendige Praxis sei um den Preiserhöhungen der Lieferanten etwas
entgegenzusetzen, und er verharmloste relativierte die Macht, die durch
dieses Instrument (angeblich) ausgeübt werden könne. Tatsächlich sei es seiner
Ansicht nach unmöglich für einen Einzelhändler z. B. Coca Cola aus dem
Sortiment zu nehmen. Insbesondere, wenn man den Lebensmittelmarkt betrachte,
auf dem es nur einige wenige Lieferanten mit hohen Marktanteilen gebe, seien
die die Machtverhältnisse, so Werner, völlig anders zu bewerten. Jan Werners
„Frage“ war wahrscheinlich das emotionale Highlight des Tages! (Sorry, Ben, der
Geburtstag war natürlich auch sehr emotional.)
Und was ist nun mit Intel?
Der zweite Teil der Debatte konzentrierte sich auf den Intel Fall. Prof. José Luís Cruz Vilaça, der den Fall am EuGH verhandelt hatte, deutete an, dass manchmal Urteile ein Eigenleben entwickeln (wie Björn Herbers von CMS es anschließend formulierte). Tatsächlich bezieht sich nach Ansicht des ehemaligen Richters Art. 102 AEUV nicht so sehr auf Konkurrenten und ihr Verhalten (wie es der as-efficient-competitor-Test annimmt, der jedoch nur ein ökonometrischer Test sei), als vielmehr auf die Effektivität des Wettbewerbs als Ganzes. Wahrscheinlich hätte sich der ein oder andere im Publikum eine präzisere Interpretationsanleitung des Autors gewünscht…
Das letzte Panel handelte von Kartellschadensersatz. Gab es neue Erkenntnisse?
Das war ein sehr unterhaltsames Finale! Das Panel evaluierte den Stand der Dinge nach der Kartellschadensersatzrichtlinie und Dr. Tilman Makatsch (Deutsche Bahn) verglich die Situation mit derjenigen des Goldrauschs in Amerika – die meisten Goldgräber wurden zwar nicht reich, aber die Verkäufer der Goldschürfer-Ausrüstung schon… Hintergründiges Lachen im Publikum. Es gibt immer noch große Unterschiede in den einzelnen Mitgliedsstaaten, die für Kläger viel zu wünschen übrig lassen. Zum Beispiel sagte Makatsch, britische Gerichtsverfahren seien sehr teuer, aber qualitativ hochwertig. Die US-Gerichte würden massiv Vergleiche forcieren. Er lobte die deutschen Gerichte für ihren Drang, die richtige Lösung für einen Fall zu suchen – der Preis sei, dass deutsche Prozesse nie enden würden. In einem Verfahren im Aufzugs- und Fahrtreppenkartell, in welchem die Deutsche Bahn (und andere) auf Schadensersatz geklagt haben, ist es neun Jahre nach Klageerhebung am LG Berlin bislang nicht einmal zu einer mündlichen Verhandlung gekommen. Das Panel bezweifelte, dass der Offenlegungsanspruch aus der Richtlinie von großem Nutzen sein werde. Insbesondere in Deutschland seien die Gerichte (bis jetzt) noch nicht an solche Formen der Beweisaufnahme gewöhnt.
Ein Panel zu Kartellschadensersatz diskutierte doch sicherlich auch über das Skanska Urteil.
Selbstverständlich, insbesondere wenn unser Professor Christian Kersting auf dem Panel sitzt! Er fasste das Urteil des EuGH kurz zusammen und betonte seine Bedeutung (hier finden Sie seinen neusten englischsprachigen Blog-Eintrag dazu). Diese bahnbrechende Entscheidung bestätigt das Konzept der Konzernhaftung in Kartellschadensersatzfällen, inklusive der Haftung von Eltern- und wohl auch Schwesterunternehmen. Interessanterweise hat der EuGH diese Haftung direkt aus Art. 101 AEUV abgeleitet. Es stellt sich daher sehr grundsätzlich die Frage, welches Recht auf den Kartellschadensersatzanspruch Anwendung findet. Während die Generalanwältin Kokott und wohl auch Generalanwalt Wahl der Auffassung sind, dass materiell-rechtliche Fragen dem europäischen Primärrecht und prozessuale Fragen dem nationalen Recht unterliegen, plädierte Christian Kersting für eine deutlich größere Rolle des – natürlich durch die Kartellschadensersatzrichtlinie und den Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz geprägten – nationalen Rechts. Das Panel war sich einig, dass dieses Urteil uns alle noch eine Weile beschäftigen wird.
Viel Stoff zu verdauen. Gab es denn auch etwas zu essen?
Ja, und zwar ein exquisites Vier-Gänge-Menü im KWINT Restaurant. Leider haben wir keine Fotos davon gemacht. Wir waren zu hungrig. Eins der Gesprächsthemen beim Essen war, dass Rupprecht Podszun nun auch im 21. Jahrhundert, aka auf Twitter, angekommen ist. Willkommen!
Oje. Dieses Thema reicht wohl kaum für ein Vier-Gänge-Menü.
Nein, aber Donald Trump schon. Henne Schuwer, ehemaliger Botschafter des Königreichs der Niederlande in den Vereinigten Staaten von Amerika, der sich gerade in seinen wohlverdienten Ruhestand verabschiedet hat, erzählte Insidergeschichten aus seinem Diplomatenleben in D.C. unter den Präsidenten Obama und Trump.
Hoffentlich hat Trump nicht den Appetit der Zuhörer auf Macarons verdorben. Was steht denn auf dem kartellrechtlichen Speiseplan in den nächsten Wochen?
Der nächste große Termin ist unser drittes Doktorandenseminar in Düsseldorf im September! Zumindest wir beide und der Rest der Doktoranden werden sich dort wieder treffen, zusammen mit Andreas Schwab, Wouter Wils, Raphael L’Hoest, Julia Holtz und der Düsseldorfer Kartellrechtsanwaltschaft. Am Tag danach wird unser Institut das Forum Unternehmensrecht ausrichten. Diesmal geht es um den Referentenentwurf der 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Zwei absolute Höhepunkte im Kartellrechtskalender, die Sie auf keinen Fall verpassen sollten. D’Kart wird Sie auf dem Laufenden halten!
Do say: “If you don’t talk digital, you’re dead.” (Nicolas Lievens)
Don’t say (wenn Sie Henne Schuwer in den holländischen diplomatischen Dienst folgen wollen): “The Netherlands are the McDonalds of the damage claims jurisdictions. It’s quick, it’s cheap and you’re still hungry afterwards.” (Tilman Makatsch)
Adrian Deuschle und Maren Dittrich sind Doktoranden im Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Sie arbeiten als wissenschaftliche Mitarbeiter an den Lehrstühlen von Prof. Podszun bzw. Prof. Kersting.
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