Schmutzige Wäsche im Arbeitskreis – Reinigungshinweise des BGH an das OLG Frankfurt

Schmutzige Wäsche im Arbeitskreis – Reinigungshinweise des BGH an das OLG Frankfurt

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Zitiervorschlag: Heuer/Woeste, DKartJ 2023, 1-3

Kurz vor Weihnachten verkündete der BGH das Urteil zu einer Schadensersatzklage im Nachgang zum „Drogeriekartell“, das nicht nur die Kartellrechtswelt, sondern auch die Gläubiger der insolventen Drogeriekette Anton Schlecker e.K. mit Spannung erwartet hatten. Der BGH stellt darin ausdrücklich klar, dass bei einem kartellrechtswidrigen Informationsaustausch über Preisverhalten eine tatsächliche Vermutung für die Entstehung eines Schadens spricht. Marie-Luise Heuer und Kai Woeste besprechen für D’Kart die Urteilsgründe. 

Schmutzige Wäsche im Arbeitskreis „KWR“

Am sog. Drogeriekartell waren insgesamt 15 Hersteller von Marken-Drogerieartikeln beteiligt, die sich von mindestens 2004 bis 2006 im Rahmen des Arbeitskreises „Körperpflege, Wasch- und Reinigungsmittel“ des Markenverbandes e.V. frei nach dem Motto “Eine Hand wäscht die andere” regelmäßig gegenseitig über (geplante) Bruttopreiserhöhungen und den Stand von Verhandlungen mit gemeinsamen Abnehmern informierten. Das Bundeskartellamt verhängte im Jahr 2013 gegen die beteiligten Unternehmen Geldbußen in Höhe von insgesamt EUR 63 Mio. (Az. B11-17-06). Der Insolvenzverwalter von Schlecker – ein Abnehmer der am Drogeriekartell beteiligten Hersteller – forderte anschließend von mehreren Kartellanten insgesamt EUR 212,2 Mio. Schadensersatz.

Vorwaschganginstanz

Das Schlecker-Verfahren drehte sich kreiste um die Frage, unter welchen Umständen eine tatsächliche Vermutung im Sinne eines Erfahrungssatzes dafür spricht, dass ein Kartellrechtsverstoß zu einem Schaden der Marktgegenseite führt. Geklärt war dies bislang lediglich für Hardcore-Preisabsprachen sowie Quoten- und Kundenschutzkartelle, bei denen seit der Rechtsprechung zum Schienenkartell zwar kein Anscheinsbeweis, aber immerhin eine tatsächliche Vermutung für kartellbedingt erhöhte Preise streitet. Der BGH und vor ihm das OLG Frankfurt sahen sich im Schlecker-Verfahren nun aber mit einer anderen Art von Wettbewerbsbeschränkung konfrontiert: Erstreckt sich der beschriebene Erfahrungssatz auch auf Fälle eines „reinen“ kartellrechtswidrigen Informationsaustauschs? Das OLG Frankfurt hatte hieran erhebliche Zweifel angemeldet, da der bloße Austausch von Informationen nicht unmittelbar auf eine Verhaltenskoordinierung hinsichtlich einzelner Wettbewerbsparameter hinauslaufe. Schlussendlich hat das OLG dem Erfahrungssatz jedenfalls im konkreten Fall kein maßgebliches Gewicht zugemessen, weil es zahlreiche gegenläufige Indizien für gewichtig hielt und den Drogeriekartellanten zumindest mit Blick auf die Schadensersatzhaftung eine reine Weste bescheinigte.

Schleudergang: Die Entscheidung des BGH 

Die Entscheidung der Vorinstanz wurde nun vom BGH gehörig in die Mangel genommen. Ungeachtet der Bedenken des OLG Frankfurt stellt der BGH fest, dass auch bei einem Austausch geheimer Informationen, die – wie hier – das aktuelle oder geplante Preissetzungsverhalten gegenüber gemeinsamen Abnehmern betreffen, eine tatsächliche Vermutung für die Entstehung eines Schadens spricht. Zur Begründung verweist der BGH u.a. auf die EuGH-Rechtsprechung zum Begriff der aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Sinne des Art. 101 Abs. 1 AEUV, nach der zu vermuten ist, dass Wettbewerber die zwischen ihnen ausgetauschten Informationen bei der Bestimmung ihres Marktverhaltens berücksichtigen. Der BGH beruft sich zudem auf die hohe Wahrscheinlichkeit und den ökonomischen Erfahrungssatz, dass Kenntnisse über künftiges Marktverhalten von Wettbewerbern bei unternehmerischen Entscheidungen typischerweise berücksichtigt werden. Welches Gewicht dem Erfahrungssatz im konkreten Fall zukommt und ob er bestätigt oder entkräftet wird, hängt sodann von einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls ab.

In der Konsequenz und anknüpfend an Schienenkartell V hat der BGH die OLG-Entscheidung zudem insoweit als rechtsfehlerhaft abgebügelt, als es der Klägerin die Darlegung indizieller Umstände abverlangte, die für eine ausdrückliche oder konkludente Verständigung sprechen. Laut BGH folgt vielmehr aus der Bedeutung und Tragweite der tatsächlichen Vermutung eines Schadens, dass nicht die Klägerin, sondern die Beklagten für Umstände, die für eine Unerheblichkeit des Informationsaustauschs sprechen, darlegungs- und beweisbelastet sind.

Außerdem hat der BGH dem OLG mit Blick auf dessen Würdigung der indiziell bedeutsamen Umstände gründlich den Kopf gewaschen. Insoweit sah er sich nämlich gezwungen, gleich eine Vielzahl an FleckenFehlern zu bereinigen. Beispielsweise werde die tatsächliche Vermutung nicht dadurch in Zweifel gezogen, dass man im KWR-Arbeitskreis nicht notwendigerweise über konkrete Prozentsätze der Preiserhöhungen gesprochen hat. Denn allein das Wissen, dass eine Preisbewegung bei einem Wettbewerber ansteht und wie die Händler darauf reagieren, führe dazu, dass man als Hersteller mit einem gewissen Vorsprung in die nächste Verhandlung geht. Das heißt: Die wettbewerbliche Unsicherheit ist reduziert. Sprach nicht zumindest die Tatsache, dass sich die Teilnehmer des Drogeriekartells wohl nur über einen Zeitraum von etwas über zwei Jahren und zudem nicht allzu häufig getroffen haben, gegen einen Schaden? Auch insoweit wischt der BGH die Argumentation der Vorinstanz vom Tisch: Weder die geringe Frequenz noch die vergleichsweise kurze Dauer des Informationsaustauschs könne die tatsächliche Vermutung entkräften. Da es nämlich um hochaktuelle Informationen ging und die Vereinbarungen zwischen den Kartellanten und ihren Abnehmern im Jahresturnus neu verhandelt wurden, reiche grundsätzlich bereits ein einmaliger Informationsaustausch aus, um das Verhandlungsergebnis zu beeinflussen.

Eine weitere Passage des Urteils lässt aufhorchen: Nachdem der BGH bereits in LKW-Kartell II die (potenzielle) indizielle Bedeutung von Regressionsanalysen für die Schadensfeststellung hervorgehoben hat, wirft er im Schlecker-Verfahren der Vorinstanz nun vor, die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens zur Durchführung einer Regressionsanalyse vorschnell unter den Tisch gekehrt und wichtige Inputfaktoren nicht ausreichend gewürdigt zu haben. 

Ausblick

Statt das Verfahren im Schongang in einem Abwasch abzuhandeln war der BGH gezwungen, die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG Frankfurt zurückzuverweisen. Dieses dürfte nun einigermaßen baff aus der Wäsche gucken, nachdem seine Beweiswürdigung gehörig durchgeschleudert auf den Kopf gestellt wurde. Die letzte Umdrehung Umsetzung der Maßgaben des BGH darf daher mit Spannung erwartet werden.

Kartellgeschädigten verleiht das Urteil jedenfalls weitere Schleuderkraft weiteren Rückenwind. Die Erstreckung der tatsächlichen Vermutung auch auf den kartellrechtswidrigen Informationsaustausch ist nicht nur in der Sache überzeugend und eine konsequente Fortführung der Rechtsprechung des Kartellsenats. Nach einer Reihe klägerfreundlicher Urteile ist die Entscheidung auch als weiterer Fingerzeig in Richtung eines schlagkräftigen private enforcement zu lesen, der den teils noch zögerlichen Instanzgerichten weiter Dampf machen dürfte. Für Neufälle bringt künftig schon die Schadensvermutung des § 33a Abs. 2 GWB Klägern eine gewisse Erleichterung. Aber auch dort, wo die Rechtsprechung jetzt eine tatsächliche Vermutung für die Schadensentstehung annimmt, wird es jedenfalls auf zivilrechtlicher Ebene für vermeintliche SaubermännerKartellanten zunehmend schwerer, ihre Hände in Unschuld zu waschen.

Natürlich klärt das Urteil nicht alle Fragen. Offen ist beispielsweise, ob eine Vermutung vergleichbaren Gewichts auch dann besteht, wenn der Informationsaustausch nicht das Preissetzungsverhalten, sondern andere Wettbewerbsparameter betrifft. Gestützt auf die Überlegung, dass Unternehmen die mit einem Kartellrechtsverstoß verbundenen Risiken in der Regel nur dann eingehen, wenn sie ihnen einen ökonomischen Vorteil bringen, werben etwa Teile des Schrifttums für grundlegende Beweiserleichterungen bei allen Kartellverstößen. Auch die Anforderungen an den Umgang mit ökonomischer Evidenz (insbes. Regressionsanalysen) sind nach der Schlecker-Entscheidung bei Weitem nicht geklärt. Je mehr künftig tatsächlich Urteile der Instanzgerichte erwartet werden dürfen, die sich mit dem Schadensumfang und der -bemessung befassen, werden diese Fragen sicherlich zunehmend hochgespült.

Marie-Luise Heuer, LL.M. ist Rechtsanwältin bei BLOMSTEIN in Berlin. Kai Woeste ist Rechtsreferendar bei BLOMSTEIN. Die Kanzlei ist in diversen kartellrechtlichen Verfahren tätig; darunter auch in Schadensersatzverfahren, die parallel zum hier besprochenen Fall liegen.

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