Conference Debriefing (28): „Datenzugang für Dienstleister“

Conference Debriefing (28): „Datenzugang für Dienstleister“

Wer hat Zugang zu Daten? Das ist eine Schlüsselfrage der digitalen Ökonomie geworden, die zunehmend Industrie und Handwerk beschäftigt. Es steht die Gefahr im Raum, dass einzelne Datenmonopolisten über den Zugang zum Kunden und die Chancen im Wettbewerb entscheiden. Das Team von Rupprecht Podszun hat sich mit dem Thema intensiv befasst und – gemeinsam mit den Ministerien für Justiz und Wirtschaft NRW – zu einem Online-Workshop geladen. Clemens Pfeifer berichtet.

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Zur Aufzeichnung der gesamten Veranstaltung geht’s hier: YouTube

Name der Veranstaltung:
Datenzugang für Dienstleister | Recht – Praxis – Perspektiven 

Thema:
Wie muss der Zugang zu Daten, Software und Plattformen in der smarten Welt ausgestaltet sein, um Wettbewerb und Innovation zu gewährleisten?

Ort & Zeit: 
2.2.2022 via Webex (hat sogar funktioniert) 

Gastgeber: 
Ein Trio: Unsere very own Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (namentlich unser Lehrstuhl) hatte sich mit dem Wirtschaftsministerium NRW (eigentlich: MWIDE) und dem Justizministerium NRW verbündet. Die Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart und Peter Biesenbach begrüßten die Teilnehmer/innen.

Publikum: 
Knapp 170 Interessierte, die auch aus dem Home Office angeregt mitdiskutierten und investigative Fragen stellten. Darunter fanden sich Kartellrechtler wie Eberhard Temme vom Bundeskartellamt, zahlreiche Anwältinnen und Anwälte mit bekannten Namen, Wissenschaftler/innen wie Axel Metzger und Simonetta Vezzoso, viele Menschen aus Verbänden, Kammern und Unternehmen. (Und natürlich der eine Typ, der den Chat zur Begrüßung direkt ungefragt mit seinem LinkedIn-Profil bereicherte.)

Was für ein starkes Setting! 

In der Tat, die Liste ist lang. Auf den Panels trafen sich hochkarätige Leute aus Praxis, Wissenschaft und Politik, da lohnte das Einloggen schon mal. Außerdem hat man ja nicht jeden Tag die Situation, dass ein Minister für ein Grußwort eingeplant ist, dann aber doch den ganzen Tag dabei bleibt. Offenbar fand Minister Biesenbach das Thema so spannend, dass er sich entschied, der Sache zu folgen. In seinem Haus hatte das Referat für digitale Rechtsfragen (Leitung: Eva Lux) die Führung übernommen – das Team hatte sich schon in der AG Digitaler Neustart der Landesjustizministerien bewährt (die Berichte sind eine Fundgrube für alle, die digitale Rechtsfragen beackern wollen, wie die Studentinnen und Studenten von Prof. Podszun schon in Hausarbeiten erfahren durften…). Im nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium zeichnete das Referat für Kartellrecht verantwortlich (Leitung: Christopher Harrell). Jennifer Gerwing, Referentin im MWIDE, führte souverän durch den Tag. 

Wieso der ganze Aufriss?

Das Ludwig-Fröhler-Institut für Handwerkswissenschaften hatte Rupprecht Podszun mit einer Studie zum Handwerk in der digitalen Ökonomie beauftragt (Open Access). Die Erkenntnisse bereiten denjenigen Sorgen, denen am freien Wettbewerb und dem unabhängigen Mittelstand liegt. Es drohen nicht allzu ferne Zukunftsszenarien wie das von Herrn K:

Es ist der 12. Oktober 2025. Die smarte Heizungssteuerung von Herrn K erkennt Unregelmäßigkeiten in den erfassten Daten, die auf einen baldigen Defekt hindeuten. Herrn K droht ein kalter Winter, doch das vom Heizungshersteller betriebene Datensystem schlägt auf der herstellereigenen Plattform direkt Alarm – und aktiviert einen passenden Dienstleister, der die Wartung vornehmen kann. Der hat die nötigen Ersatzteile, natürlich aus der Produktion des Herstellers, schon dabei. Und zahlt für den Auftrag eine satte Vermittlungsgebühr an den Hersteller. Für Herrn K ist das wirklich praktisch!

Selbst wenn Herr K stattdessen lieber seine bewährte und auch einfach viel nettere Handwerkerin H beauftragen wollte, hätte er dazu keine Chance: Erstens erfährt er gar nicht, dass der Stillstand seiner Heizung kurz bevorsteht. Und zweitens müsste H an die Plattform des Herstellers angeschlossen sein. Ist sie das nicht, weil ihr die Provisionen zu hoch sind, kommt sie nicht an die Protokolldaten der Heizung ran und kann Herrn K deshalb nicht zielgerichtet helfen. 

Er kann ihr die Daten, die er selbst mit seiner eigenen Heizung generiert hat, aber auch nicht selbst geben – Zugriff hat nur der Hersteller. 

Hmm. Was wird dann aus den KMU?

In der digitalen Ökonomie könnte es für Dienstleister übel aussehen. Ohne einen praktikablen Zugang zu Plattformen, Schnittstellen und Daten könnte es sein, dass sie zu bloßen Auftragserfüllern werden, die von denjenigen abhängig sind, die die Datenboxen kontrollieren. Das können die Hersteller sein, aber auch Datenplattformen wie Alphabet oder der Organisator einer Smart Factory. Mit einer durchschnittlichen Größe von fünf Mitarbeitern kann sich ein normaler Handwerksbetrieb alleine kaum dagegen stemmen. Je mehr smarte Produkte in den Markt kommen, je weiter die Vernetzung voranschreitet, desto wichtiger wird die Frage, wer den Zugang kontrolliert. Die Kunden verlieren ihre für den Wettbewerb so wichtige Rolle als „Schiedsrichter“ in der Auswahl der besten Anbieter, weil gar nicht mehr jeder anbieten kann. Auch Start-Ups, die auf Grundlage neuer Datensätze innovative Geschäftsmodelle entwickeln wollen, sind übrigens auf Zugang angewiesen. 

Bisher wird der Zugriff auf Daten dominiert von der faktischen Herrschaft, ganz unabhängig davon, wer die Daten eigentlich wirklich produziert (wie bei der Heizung von Herrn K). Podszun meinte im Auftaktgespräch mit Eva Lux: Hier gilt momentan das Recht des Stärkeren – und das ist selten eine gute Idee. 

Das wird doch zu lösen sein. Immerhin waren ja einige kluge Juristinnen und Juristen auf den Panels.

Vorsicht mit unserer Juristenhoheit, manch ein Panelist meinte schon, sich dafür entschuldigen zu müssen, kein Jurist zu sein, dabei waren gerade die Berichte aus der unternehmerischen Praxis besonders spannend. 

Instrumente für einen fairen Zugang gäbe es so einige, doch welches sinnvoll zum Ziel führt, stellte sich als besonders umstritten heraus. Juristen mögen da geneigt sein, einfach einen materiellen Anspruch zu gewähren. Das kann auch funktionieren. Handwerksvertreter Alexander Barthel vom ZDH lobt hier etwa die gute Lösung des Messstellengesetzes, welches Stromkunden die freie Wahl eines Stromzählers ermöglicht. Doch reine Rechtsansprüche bergen das Risiko, in der Praxis nicht ganz so wirkungsvoll zu sein wie auf dem Papier. Denn: Setzen die Parteien auf Konfrontation, kann es leicht dazu kommen, dass sie sich erst jahrelang durch die Instanzen streiten und der Streitgegenstand am Ende lange überholt ist. Damit ist dann auch keinem geholfen. Gerhard Klumpe, Vorsitzender Richter am LG Dortmund, bestätigte auch, dass ihm kein Verfahren nach den 2021 eingeführten neuen Datenzugangsregeln im GWB, § 19 Abs. 2 Nr. 4 und § 20 Abs. 1a GWB, bekannt sei. Zu aufwändig, zu langwierig. 

Die Unternehmer sind auch keine Fans von reinen Rechtsansprüchen. Sie könnten vielleicht zu umfassend sein und dann die Anreize für Innovation hemmen, warnte Stanimira Markova vom Bau-Startup Greenbimlabs. Sie musste jahrelange Forschungsarbeit investieren, um aus Datenverarbeitung ein innovatives Geschäftsmodell zu entwickeln. 

Ein solcher Anspruch könnte aber auch zu allgemein gehalten sein, befürchtet Christian Els von der KI-Schmiede Sentin. Dann wird ein Anspruch den einzelnen Bedürfnissen verschiedener Anwendungen nicht gerecht und läuft auch ins Leere. Man müsste schon relativ genau wissen, in welchen Konstellationen wer welche Daten braucht und auch bekommen sollte. Aber wo liegen denn diese Anwendungsbereiche genau, fragte Rebekka Weiß von Bitkom. Und will man die dann alle einzeln regeln? 

Das Ganze klingt nach einem Katz-und-Maus-Spiel von neuen Geschäftsideen und den entsprechenden Gesetzen, um sie zu ermöglichen. Bei der Geschwindigkeit des Gesetzgebers ahnt man aber, wie das wohl ausgeht. Es muss einen anderen Weg geben. 

Wäre es nicht am einfachsten, wenn sich alle an einen Tisch setzen und eine Lösung finden?

Das wäre natürlich das Beste. Und so läuft das wohl auch, zum Beispiel bei Aufzug-Wartungen, erzählte Philipp Voet Van Vormizeele, der gelernte und geschätzte Kartellrechtler, der inzwischen Vorstandsmitglied bei TK-Elevator ist. Aufzüge produzieren heute schon zahlreiche relevante Daten. Die (recht lukrative) Wartung der Aufzüge übernimmt auch gerne mal ein Wettbewerber des Herstellers. Die dafür erforderlichen Daten werden bereitgestellt – „das ist eben eine essential facility“, weiß PVVV. Scheint so, als würde im Aufzuggeschäft niemand, nun ja, steckenbleiben. 

Die EU entwickelt für so etwas mit ihrem Projekt Gaia-X eine Dateninfrastruktur für Europa, mit denen Daten einfach und sicher ausgetauscht und vor allem auch portiert und mit anderen Daten genutzt werden können. Gerd Hoppe, der mit der Automatisierungsfirma Beckhoff an dem Projekt mitwirkt, ist überzeugt von dieser Interoperabilitätslösung. Gaia-X klingt zwar noch etwas abstrakt und theoretisch, die Idee aber gefällt. 

Dann ist ja alles gut?

All das steht und fällt noch mit der Freiwilligkeit der Beteiligten. Und die ist nun mal nicht selbstverständlich. Wenn alle mitmachen, ist das natürlich kein Problem. “Die Betroffenen müssen wirklich auf Augenhöhe verhandeln können“, erklärte HHU-Volkswirt Justus Haucap. Das mag im Aufzugsgewerbe so sein, in vielen Märkten herrschen aber andere Bedingungen. Wo uns Plattformökonomie, Netzwerkeffekte und die großen Machtkonzentrationen der GAFA+ (MAMAA oder wie man sie auch nennen mag) doch zeigen, wie schnell ein Markt kippen kann. 

Und selbst wenn man eine einvernehmliche Lösung finden möchte, stoßen die Partner noch auf genügend Fallen. Rechtsanwältin Henriette Picot schilderte, welche Unklarheiten sich bei Datensharing- und Lizenzverträgen noch stellen: Der Vertragstypus ist offen. Eigentlich müsste man deshalb sicherheitshalber alle Folgen bei Mängeln und Haftungsfällen detailliert selbst regeln. Wer das nicht tut, spielt am Ende Roulette, welche Regeln denn gelten. Ein extra Vertragstyp, der auf die Interessen der Datenökonomie eingeht, könnte hier vielleicht helfen. 

Das wäre dann also ein weiterer BGB-Paragraph mit einem k hinten dran. 

Gab es denn auch mal richtig Zoff auf einem Panel?

Oh ja! Als es um Autos ging, natürlich. Das Beispiel ist schön, weil dort zum einen schon sektorspezifische Regeln zum Datenaustausch gelten und gleichzeitig der Verteilungskampf voll entbrannt ist – Politico schrieb kürzlich, in der Automobilwirtschaft stehe das „Next Monopoly Game“ an. Joachim Göthel vom Verband der Automobilindustrie (VDA) musste sich Marcus Büttner stellen, er ist Hauptgeschäftsführer des Verbands des Kfz-Gewerbes NRW und damit Repräsentant all der Werkstätten, die zuweilen an den Barrieren der Hersteller verzweifeln. Das konnte nur gut werden! 

Für die Werkstätten ist ein Zugriff auf die Daten im Fahrzeug absolut essentiell: Sie brauchen sie für die Reparatur, für den Einbau einer Standheizung, für die TÜV-Prüfung. Ohne Zugriff auf die Datenbox geht es einfach nicht. 

Aber so richtig große Lust aufs Datenteilen haben die Hersteller nicht. Freie Werkstätten, die sich nicht an ein selektives Vertriebssystem binden, kommen immer noch nicht an alles, was sie brauchen. Sich einfach allen Systemen anzuschließen, ist mit den verbundenen Kosten für manche Werkstätten, so Büttner, schlicht nicht darstellbar.

War nicht Wolfgang Kerber auch auf dem Panel?

Genau. Der Ökonom von der Uni Marburg befasst sich schon seit einigen Jahren mit den Plänen der Autohersteller für die nächsten Schritte, Stichwort: Connected Car. Inzwischen geht es ja nicht mehr nur um Reparatur- und Wartungsdaten, sondern um eine umfassende Kommunikation des Autos mit allem. Kerber ist von den Plänen der Autohersteller nicht gerade begeistert. Sie verursachen aus seiner Sicht mit ihrem Umgang mit den Daten von Connected Cars „eine ganze Fülle von Problemen“. Wenn es nach ihnen geht, werden nämlich alle produzierten Daten exklusiv an die Herstellerserver geschickt, und sie behalten die faktische Kontrolle über den Zugang. Und mit der vollständigen Kontrolle über die Daten kontrollieren die Hersteller auch alle damit verbundenen Sekundärmärkte. Sie werden zu Gatekeepern.

Oh, das ist ja inzwischen ein böses Wort in der Wettbewerbsszene, wenn ich da an den DMA denke… 

Zum Europarecht kommen wir noch, aber ein weiterer Punkt ist natürlich noch unklar: Wieso sollen ausgerechnet die Hersteller besonders von den Daten profitieren, die die Nutzer, die Eigentümer, die die Autos immerhin für teuer Geld erworben haben, mit ihrem eigenen Verhalten produzieren? „Mein Auto, mein Verhalten, meine Daten“, so ließe sich ja auch erstmal rechnen. Und auf diese Daten wollen im Übrigen ja viele Stakeholder zugreifen, nicht nur Kfz-Werkstätten, sondern auch Versicherungen, Mobilitätsanbieter und die öffentliche Hand.

Was meint denn der VDA-Vertreter zu Kerbers Gatekeeper-Diagnose?

Herr Göthel „was not amused“, sage ich mal. Er hob für das von den Herstellern präferierte Modell die Vertrauenswürdigkeit und Sicherheit der Daten hervor. Vor dem Hintergrund des Abgasskandals wurde das Argument von „vertrauenswürdigen Daten“ bei Autoherstellern vom Publikum teils mit einem Augenzwinkern angenommen. Aber gut, es geht natürlich auch um Gewinninteressen und, das muss man fairerweise betonen, um Investitionsanreize.

Nun aber zum Europarecht, was tut sich da?

Gerade steht der EU Data Act vor der Tür! Ist dieser vielleicht die Rettung? Malte Beyer-Katzenberger von der Europäischen Kommission ist natürlich überzeugt davon, leider ohne allzu sehr ins Detail zu gehen, was uns genau am 23. Februar 2022 erwartet, wenn der Vorschlag der Kommission für den Data Act vorliegen soll – erste Leaks hat es schon gegeben, übrigens, aber Beyer-Katzenberger bat in einem ganz witzigen Tweet, wir sollten bitte wie brave Kinder, die verfrüht ihre Weihnachtsgeschenke entdecken, diese wieder zurücklegen und uns nichts anmerken lassen.

Es wird jedenfalls mehrere Wege geben, damit besser auf Daten zugegriffen werden kann. Der Data Act soll unter anderem auf einem Portabilitätsrecht des Nutzers basieren. Das klingt erst mal gut, aber erinnert auch an das tolle Portabilitätsrecht aus Art. 20 DS-GVO. Kennen Sie nicht? Eben. 

Die Probleme wurden aber wohl gesehen, meint Beyer-Katzenberger. Wenn das Portabilitätsrecht technisch gut umgesetzt und in Echtzeit automatisch verfügbar ist, dann kann es funktionieren. Die PSD-2 Richtlinie mit der verpflichtenden offenen Schnittstelle für Zahlungsdienste macht es vor.

Was nun?

Dass Zugang geschaffen werden muss, da sind sich die meisten einig. Der Vorschlag zum Data Act wird die Diskussion strukturieren, aber die Suche nach den besten Mitteln dafür bleibt noch ein schwieriges Projekt. Jetzt gilt es für Regulierer und Marktteilnehmer, von verschiedenen Seiten anzusetzen, verschiedenes auszuprobieren und vor allem weiter auszutauschen, ob die kühnen Ideen der Theorie auch der Wirklichkeit gerecht werden. Aufschlüsse könnten jetzt die vom Wirtschaftsministerium NRW eingesetzten Reallabore liefern – also rechtliche Experimente in der Praxis am „offenen Herzen“. Finden viele gruselig, aber wir bleiben gespannt, was das wird! 

Zur Aufzeichnung der gesamten Veranstaltung geht’s hier: YouTube

Clemens Pfeifer ist Wissenschaftlicher Mitarbeit am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht (Prof. Dr. Podszun) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er hat der erwähnten Studie „Handwerk in der Digitalisierung – Zugang zu Daten, Software und Plattformen“ mitgearbeitet.

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