Das sächsische Holzstoffkartell

Das sächsische Holzstoffkartell

Kartelle sind schädlich für Wirtschaft und Verbraucher. Was heute selbstverständlich klingt, wurde vor über 100 Jahren in Deutschland noch anders gesehen. Wettbewerb wurde als „verderblich“ und Kartelle als „heilsam“ betrachtet. In einem seiner bekanntesten Urteile ebnete das RG im Jahr 1897 den Weg für eine fortschreitende Kartellierung der deutschen Wirtschaft, eine epochale Fehlentscheidung, wie sich später zeigte. Wer eine Ablenkung von „Gatekeepern“ und „GAFA“ sucht, kann mit Paul Mey einen Blick zurück werfen auf ein dunkles Kapitel deutscher Kartellrechtsgeschichte und erfahren wie Deutschland zum Land der Kartelle wurde.

Es ist schwer vorstellbar, dass Deutschland, ein Vorreiter des digitalen Wettbewerbsrechts mit dem international angesehenen Bundeskartellamt, einmal Klassenletzter war und als „Land der Kartelle“ verschrien wurde. Wer vor ungefähr 100 Jahren diese Bezeichnung prägte, lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen. Erhalten ist die Verwendung von Louis Domeratzky, der in der US-amerikanischen Fachzeitschrift foreign affairs Deutschland als „the classical land of cartels“ bezeichnete. Nicht nur das, Domeratzky bescheinigte Deutschland auch noch, dass Kartellpsychologie und -philosophie hier besonders ausgeprägt seien (Domeratzky, Foreign Affairs 10 (1931), 34, 37 f.).

Die Kritik war berechtigt: 1925 schätzte das Reichswirtschaftsministerium die Anzahl der Kartelle in Deutschland auf 2.500. Auch der Staat mischte kräftig mit, sei es über das Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat oder das Kalisyndikat. Es gab sogar eine eigene Fachzeitschrift für das Kartellwesen, die Kartell-Rundschau (heutzutage undenkbar). Die „Kartellphilosophie“ war nicht nur in der Wirtschaft ausgeprägt; auch in der Zivilgesellschaft fanden sich Anklänge. Das zeigt ein Aufsatz aus einem Lesebuch der Volksschule für die dritte Klasse aus dem Jahr 1909, in dem Kartellierung zwischen Handwerkern als etwas Positives beschrieben wurde. Der Text sei hier nicht in seinen Absurditäten dargestellt, wer ihn lesen will, kann das bei Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Band II, § 22 I 8, S. 160 Fn. 92 tun.

Um zu verstehen, wie Deutschland zum Land der Kartelle wurde, ist es wichtig, die Rechtsprechung des RG gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu kennen. In mehreren Urteilen stellte das Gericht die Weichen für eine allmähliche Kartellierung der deutschen Wirtschaft. Das wichtigste Urteil aus dieser Zeit war das zum sächsischen Holzstoffkartell aus dem Jahr 1897 – RGZ 38, 155. Das RG musste sich hier das erste Mal grundsätzlich mit der Legalität von Kartellen auseinandersetzen.

Worum ging es?

Sächsische Holzstoffindustrielle schlossen sich vertraglich im Jahr 1893 zum „sächsischen Holzstoff-Fabrikanten-Verband“ zusammen. Der Vertrag wurde ursprünglich für eine Dauer von zweieinhalb Jahren geschlossen, eine vorherige ordentliche Kündigung war ausgeschlossen (warum wohl?). Der Verband verfolgte gemäß seiner Satzung den Zweck „in Zukunft einen verderblichen Wettbewerb der Fabrikanten untereinander zu verhindern und für ihr Fabrikat einen angemessenen Preis zu erzielen“. Das RG selbst sprach von einer „Vereinigung von Gewerbetreibenden zur Herbeiführung und Erhaltung angemessener Preise für ihre Gewerbserzeugnisse“. Was hier in eleganten Formeln beschrieben wurde, war nicht weniger als ein Hardcore-Preiskartell (vgl. Art. 101 Abs. 1 lit. a AEUV), welches wir im modernen Kartellrecht als besonders verwerflich einstufen würden.

Der Vertrag sah die Verpflichtung vor, eine gemeinsame Verkaufsstelle zu errichten. Bei Missachtung dieser Pflicht drohte eine Vertragsstrafe. Eben diese Vertragsstrafe brachte den Fall 1897 zum RG, da einer der Fabrikanten Direktverkäufe getätigt hatte. Für die Beurteilung der Vertragsstrafe war relevant, ob der zugrunde liegende Vertrag nichtig war. Während heutige Kartellrechtler hier entspannt auf Art. 101 Abs. 2 AEUV bzw. § 134 BGB iVm. § 1 GWB verweisen würden, war diese Frage vor über 100 Jahren weitaus schwieriger zu beantworten.

Ohne BGB bleibt nur die GewO

Diese Schwierigkeit resultierte zunächst aus dem beschränkten Prüfungsprogramm des RG. Das BGB war noch nicht in Kraft getreten, stattdessen lag der bekannte Flickenteppich über Deutschland. Bei Anwendbarkeit des BGB wäre natürlich an § 138 BGB zu denken gewesen.  Eine Prüfung des sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuches von 1863 blieb dem RG verwehrt, welches aus kompetenzrechtlichen Gründen lediglich Reichsrecht prüfen konnte. Damit blieb nur noch die GewO und die in § 1 GewO normierte Gewerbefreiheit. 

Der Gedanke, dass ein Gewerbetreibender sein Gewerbe frei und ohne Steuerung durch den Staat ausüben darf, war zum damaligen Zeitpunkt noch recht neu. Die Wirtschaft in Deutschland war seit dem Mittelalter durch Zunftstrukturen und den alles beherrschenden Merkantilismus geprägt, der erst sukzessive im 18. und 19. Jahrhundert abgelöst wurde. In Preußen, dem größten und bedeutendsten deutschen Territorialstaat, vollzog sich dies in den Stein-Hardenbergschen Reformen von 1807 bis 1815. Die GewO trat 1869 im norddeutschen Bund in Kraft. Nach Reichsgründung galt sie ab 1883 als Reichsrecht und 14 Jahre später landete eben jene Gewerbefreiheit beim RG. Hinter der Kartellfrage lag also noch eine tieferliegende Frage von wirtschaftspolitischer Bedeutung: Welche Rolle sollte der Gewerbefreiheit im noch jungen Wirtschaftssystem des Deutschen Reiches zukommen? Stellte sie den Beginn einer materiellen Rechtsverfassung des Wirtschaftslebens dar, wie es Franz Böhm später in seinem berühmten Aufsatz „Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft“ in ORDO 1966 treffend analysierte, oder war in ihr viel weniger zu sehen?

Gründerkrach und Rückkehr zum Merkantilismus

Die Tragweite der Entscheidung wurde daneben auch noch dadurch erhöht, dass sich die deutsche Wirtschaft in einer seit Jahrzehnten durch Deflation geprägten Depression befand. Grund hierfür war der Gründerkrach von 1873. Angekurbelt durch den Sieg gegen Frankreich und die Reichsgründung erlebte das Deutsche Reich zunächst eine Hochkonjunktur-Phase. Als zusätzlicher Katalysator wirkten die Reparationszahlungen in Höhe von 5 Milliarden Francs, die Frankreich nach Verlust des Deutsch-Französischen Krieges leisten musste. Die Wirtschaft überhitzte und auf den Boom folgte ein Börsenkrach, der die Gründerjahre beendete. 

Der Staat reagierte, indem er wieder stärker in die Wirtschaft eingriff: Bismarck führte Schutzzölle auf ausländische Importe ein, um den deutschen Markt zu schützen. Ziel war es, das Preisniveau künstlich über dem des Weltmarktes zu halten. In diesem wirtschaftlichen Umfeld taten sich auch Unternehmen zusammen, die dasselbe Ziel verfolgten. Es bildeten sich die ersten Kartelle. Was hier passierte, war eine Rückkehr zum Merkantilismus und zum Denken in Zunftstrukturen. Der damalige Zeitgeist sah in Kartellen etwas Positives oder ignorierte ihre negativen Wirkungen weitestgehend.

In dieser durch anti-kompetitive Stimmung geprägten Wirtschaftssituation musste das RG eine grundlegende Richtungsentscheidung treffen. Wir wissen heute: es bog in die falsche Richtung ab.

Die Entscheidung

Das RG entschied, dass Kartelle mit der Gewerbefreiheit vereinbar seien, soweit nicht „besondere Umstände“ vorlägen. Als Beispiel wurde die „Herbeiführung eines tatsächlichen Monopols und die wucherische Ausbeutung der Konsumenten“ (RGZ 38, 155, 158) genannt. Wie eng diese Ausnahme ist, wird daran deutlich, dass das RG keine Probleme mit dem Hardcore-Preiskartell der sächsischen Holzstoffindustriellen hatte. Wer sogar so etwas durchwinkt, wird Schwierigkeiten haben, seine Ausnahme mit Leben zu füllen. Es kann daher auch nicht verwundern, dass das vom RG gegebene Beispiel in den nächsten 50 Jahren kein einziges Mal virulent werden sollte.

Das RG prüfte die Gewerbefreiheit in zwei Aspekten: Einerseits, ob durch Kartellierungen zwischen den Gewerbetreibenden die Intention des Gesetzgebers missachtet wurde, über die Gewerbefreiheit Interessen der Allgemeinheit zu fördern, und ob andererseits die individuelle Gewerbefreiheit des Einzelnen durch die Kartellierung verletzt wurde.

Bezüglich ersterem verwies das Gericht zunächst auf mehrere Beiträge aus dem Schrifttum, die die Vereinbarkeit von Kartellen mit der Gewerbefreiheit bejahten. Dem folgte die heute berühmt gewordene Wendung: 

„Sinken in einem Gewerbezweige die Preise allzu tief herab, und wird hierdurch der gedeihliche Betrieb des Gewerbes unmöglich gemacht oder gefährdet, so ist die dann eintretende Krisis nicht nur dem Einzelnen, sondern auch der Volkswirtschaft im allgemeinen verderblich, und es liegt daher im Interesse der Allgemeinheit, daß nicht dauernd unangemessen niedrige Preise in einem Gewerbezweige bestehen.“ (RGZ 38, 155, 157)

Diese Aussage wurde auf verschiedene Beiträge aus dem nationalökonomischen Schrifttum gestützt, wonach Kartelle besonders geeignete Mittel seien, um die Volkswirtschaft vor einer mit Verlusten arbeitenden Überproduktion zu schützen. Die angeführte Literatur war hier gleichwohl dürftig: Gerade mal 5 Beiträge schafften es in das Urteil des RG, wovon die meisten Interessentenäußerungen waren.

Kartelle als höhere Organisationsform, wie bitte?

Aus dem nationalökonomischen Schrifttum dieser Zeit ist vor allem Gustav von Schmoller zu nennen, der mit folgender (wenig ruhmreichen) Äußerung in Erinnerung bleiben wird:

„Einige kindliche Heißsporne rufen, die Kartelle sollen gesetzlich verboten werden. So können nur Fanatiker des Individualismus reden, die von der wirklichen Welt und ihren heutigen Wirtschaftsverhältnissen recht wenig wissen; nur Leute, welche von der inneren Notwendigkeit der historischen Entwicklung zu immer größeren sozialen Gebilden keine Ahnung haben; nur Volkswirte, welche von den Übelständen der alten freien Konkurrenz nichts wissen oder wissen wollen, welche nicht begreifen, dass eine einheitlichere Leitung der volkswirtschaftlichen Prozesse von erhöhter Warte aus ein Fortschritt ist. Also schweigen wir davon; die große Masse der Sachverständigen, der Theoretiker wie der Praktiker gibt zu, dass die Kartelle notwendig und in gewissen, ihren Hauptwirkungen, heilsam sind.“ (Bd. 116 Schriften des Vereins für Socialpolitik, Berlin 1906, S. 237, 270)

Hier kommt er deutlich zum Vorschein, der Gedanke, dass Kartelle gleichsam als Heilung den „verderblichen“ Wettbewerb bekämpfen. Diese gedankliche Leistung muss man erstmal vollbringen, in Hinterzimmer-Absprachen von Wirtschaftsfunktionären eine höhere Organisationsform der Wirtschaft zu erblicken! Die damals vorherrschende Strömung in der Nationalökonomie sah in Kartellen dennoch die nächsthöhere Stufe in einem evolutorischen Sinne: weg von der Produktionsanarchie des freien Marktes hin zu einer Art genossenschaftlichen Ordnung. Es ist die erste Sünde des Urteils, dass es diese Ansicht unter mangelhafter Quellenangabe kritiklos übernommen und zur Grundlage seiner Ausführungen gemacht hat.

Wie der Staat, so die Wirtschaft

Das RG zog daneben einen Vergleich zur bereits genannten Schutzzollpolitik: Wenn der Staat Preise künstlich hochhalten dürfe, um seine Wirtschaft zu schützen, warum dann nicht auch die Unternehmen? Diese Argumentationslinie des RG übersah natürlich, dass der Gesetzgeber in seinem Handeln durch Gesetze legitimiert ist. Private haben hingegen schon gar kein Mandat, um Märkte nach ihrem Belieben zu ordnen. Das war die zweite Sünde des Urteils: Es hat bedenkenlos die Ordnungskompetenz für den Markt auf Unternehmen übertragen, und das nur unter der Bedingung, dass diese „in gutem Glauben“ (!) handeln (RGZ 38, 155, 158). Das ist entweder blindes Vertrauen in die Wirtschaft oder Naivität.

Und die Gewerbefreiheit des Einzelnen? Das RG: „passt schon.“

Der zweite Aspekt, die individuelle Gewährung von Gewerbefreiheit, wurde vom RG stiefmütterlich behandelt. Es begnügte sich mit einem Vergleich zu Konkurrenzverboten und kam zum Ergebnis, dass die Gewerbefreiheit der Kartellbeteiligten nicht so weitreichend beschränkt sei, um eine Verletzung dieser zu bejahen. Diese Beurteilung ist aus heutiger Sicht besonders schmerzlich: Das RG hatte im Eingang der Prüfung noch die individuelle Komponente der Gewerbefreiheit angesprochen; die Wirkung von Kartellen insbesondere auf Dritte ist ihm folglich bekannt gewesen. In der späteren Prüfung wurde dieser Aspekt dann schnell abgehakt; die Beschränkung der Gewerbefreiheit Dritter wurde fast ausgeblendet. Heute wissen wir, dass es nicht nur die Aufhebung der wettbewerblichen Handlungsfreiheit der Kartellanten, sondern auch und vor allem die negativen Wirkungen für die Marktgegenseite sind, die den Unwertgehalt von Kartellen ausmachen. Dadurch dass das RG diese negativen Effekte kaum gewürdigt hat, beging es seine dritte Sünde.

War die Kartellierung innerhalb der Wirtschaft vor dem Urteil noch gehemmt, goss das RG mit seinem Urteil, welches Rechtssicherheit schuf, Öl ins Feuer. Kartelle vermehrten sich nun sprunghaft und weder Rechtsprechung noch Gesetzgeber konnten der Entwicklung Herr werden. Hier und da griff die Rechtsprechung korrigierend ein, wie bspw. beim Benrather Tankstellenfall, führte aber im Großen und Ganzen die Linie des RG weiter. Der Gesetzgeber reagierte 1923 mit der Kartellverordnung. Diese hatte jedoch schon den Geburtsfehler, dass sie Kartelle weiterhin erlaubte und nur einer Registrierungspflicht und gewissen Kontrollmechanismen unterwarf.

Der lange Weg zur Besserung

Die Kartellierung der deutschen Wirtschaft erreichte unter der NS-Diktatur und ihren Zwangskartellierungen einen traurigen Höhepunkt. Erst in der Nachkriegszeit wurde es durch Dekartellierungen der Alliierten und die Einführung des GWB im Jahr 1958 besser. Dieses war in seiner Entstehung heftigen Diskussionen ausgesetzt. Wer meint, dass das Denken in Zunft-strukturen inzwischen nun aber endlich überwunden wurde, der irrt leider: In mehreren vom BDI in Auftrag gegebenen Gutachten (der BDI war der schärfste Kritiker des GWB), bescheinigten renommierte Staatsrechtler, unter ihnen ein späterer Richter am Bundesverfassungsgericht, dass das im GWB enthaltene Kartellverbot die Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 GG verletze. Wer sich diese Argumentation antun will, kann das bei Benisch, Der Betrieb 1956, 37, 39 nachlesen.

Bei Erlass wurde das GWB von Kritikern wie Rudolf Wiethölter als „Papiertiger“ verspottet. Franz Böhm, inzwischen Bundestagsabgeordneter, sprach von einem erfolgversprechenden Startschuss. Er sollte Recht behalten: Das GWB bewies sich im Großen und Ganzen als Erfolgsmodell.

Was lernen wir aus diesem Blick zurück?

Die Neigung mancher Unternehmen, den „gedeihlichen Betrieb“ durch Absprachen mit Konkurrenten abzusichern hat sich erhalten. Sogar in der Forstwirtschaft, wie das Rundholz-Verfahren belegt, erinnert manches noch an die sächsischen Gegebenheiten vor über 120 Jahren. Auch in unseren Zeiten gilt: Das Kartellrecht verliert immer dann, wenn es den Zeitgeist kritiklos hinnimmt oder sich wirtschaftlichen Partikularinteressen beugt. Wenn das Kartellrecht seiner Funktion gerecht werden soll, muss gelegentlich der große Sprung gewagt werden. Wir sollten als Kartellrechtler den Mut haben, trotz entgegenstehender Interessen einzelner Unternehmen Wagnisse einzugehen.

Paul Mey ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wettbewerbsrecht, Energierecht, Regulierungsrecht und Arbeitsrecht an der Universität Leipzig und Doktorand bei Prof. Dr. Jochen Mohr.

4 Gedanken zu „Das sächsische Holzstoffkartell

  1. Sehr informativ und schön geschrieben, Herr Mey, danke! Wir sollten nie vergessen, welcher lange Weg hinter uns liegt. (Hardcore-)Kartelle sind heute, im Zeitalter der Digitalisierung, sicherlich „more sophisticated“ als früher, ihre Tarnung oftmals auch. Es gibt sie aber weiter, und das ist nach wie vor nichts, worüber wir uns freuen sollten. Funktionierende Märkte sind und bleiben wesentlich für unseren Wohlstand und Fortschritt!

  2. Vielen Dank, das ist ein äußerst interessanter Bericht! Ich denke, man muss dem Reichsgericht zugute halten, dass es im (deutschen) Mainstream seiner Zeit dachte; sein Fehler war wohl, seinen deutschen Zeitgenossen nicht voraus zu sein. Kollaboration war vermutlich damals sehr positiv besetzt und die Grenzen ihres Nutzen wenig bekannt. Die Industrialisierung war noch recht jung und die Zeitgenossen standen wohl sehr stark unter dem Eindruck der Vorteile aus dem Zusammenwirken in einem industrialisierten Betrieb gegenüber der Tätigkeit einzelner Handwerker — das findet sich auch im Zitat von Schmoller und im Schulbuch-Aufsatz wieder. Auch Robert Bork betonte diese Vorteile noch achtzig Jahre nach dem Urteil zum sächsischen Holzstoffkartell, wobei ihm natürlich die unterschiedlichen Effizienzen der umfassenden Kollaboration in einem Unternehmen und der partiellen Kollaboration in einem Kartell bewusst waren. Zur Zeit des Sächsischen-Holzkartell-Urteils war auch das amerikanische Antitrust-Recht noch jung. Die Sensibilität gegenüber der ökonomischen Macht von Trusts dürfte in der starken amerikanischen Demokratie auch deutlich höher gewesen sein als im deutschen Kaiserreich oder auch in der Weimarer Republik, wo die Demokratie in vielen Köpfen kein Fundament fand. Gerade aus diesen Gründen finde ich es sehr nützlich, die Argumente aus der damaligen Zeit in Erinnerung zu rufen. Sie zeigen, dass der Nutzen von Wettbewerbsfreiheit und Kartellrecht immer wieder erklärt werden muss.

  3. Benisch hat damals schon ziemlich viel Quatsch geschrieben. Er vertrat zusammen mit Würdinger und Ballerstedt auch, dass das Kartellrecht nur den Wettbewerb als Institution der (nervigen) Marktwirtschaft schütze und nicht den Wettbewerber als Individuum. Daher solle es keinen oder allenfalls nachrangigen privaten Rechtsschutz gegen Kartellrechtsverletzungen geben. Vielmehr sei das Primat der Rechtsdurchsetzung auf die behördlichen Verfahren zu legen…

    Klingt schräg aus heutiger Zeit und ist auch völlig daneben. Hat Mestmäcker denn schon früh und sehr überzeugend zurückgewiesen. Wettbewerb und Wettbewerber sind untrennbar miteinander verbunden; der Schutz des einen dient auch immer dem Schutz des anderen.

    Aber damals konnte man sich über ernsthaft über solche Thesen streiten. Ich frage mich, was die Juristen in 60 Jahren über die großen Meinungsstreitigkeiten sagen, die wir heute so im Kartellrecht führen….

    Ps.
    Wer diesen rechtshistorischen Streit nachlesen möchte.
    Würdinger, WuW 1953, 727; Benisch, WuW 1961, 777; Ballerstedt JZ 1956, 271
    ./.
    Mestmäcker, AcP 168 (1968), 235 ff; Koch, Schadensersatz bei wettbewerbsbeschränkenden Handlungen (1968), S. 15 ff; K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht (1977), S. 63 f.

  4. Ein äußerst informativer Artikel jenseits des Tagesgeschäfts! Herzlichen Dank hierfür, Herr Mey!
    In der Sache sei daran erinnert, dass man in der Geschichte des Kartellrechts gar nicht bis zum Reichsgericht zurückgehen muss. Kartelle waren u.a. im Bereich der Kredit- und Versicherungswirtschaft noch bis zur 6. GWB-Novelle (also bis 1990!) völlig legal, da von der Bereichsausnahme des § 102 GWB a.F. erfasst.

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