SSNIPpets (41): Hope!

SSNIPpets (41): Hope!

Lockdown light. Trotzdem: Gute Stimmung allerorten: Trump ist abgewählt, ein Unternehmen aus Mainz, Germany, hat offenbar einen Impfstoff entwickelt, und die Erstsemester lassen überwiegend ihre Kameras beim Digitalunterricht an. Glimmers of Hope. Rupprecht Podszun reitet die 2. Welle – hier sind seine SSNIPpets, small but significant news, information and pleasentries – our pet project!

Ja, da simma (nicht) dabei…

Am 11.11. startet im Rheinland traditionell der Karneval, der sich in verschiedenen Dimensionen des Wahnsinns Frohsinns dann bis in den Februar hinzieht. Ich bin gegen die feuchtfröhlichen Ausschreitungen solcher Festivitäten weitgehend immun, da konnten auch die Karnevalsfeste im Bonner Bundeskartellamt nichts ändern, an denen ich vor vielen Jahren teilnehmen durfte. (Die Auftritte eines an der Gitarre und in der karnevalesken Dichtung begabten Berichterstatters, von dem man das sicher nicht erwarten würde, wenn man ihm in einer Vernehmung gegenüber sitzt, sind mir allerdings unvergessen, das war wirklich witzig!). Ich habe eher schulterzuckend hingenommen, dass Karneval in dieser Session ausfällt, ja, liebe Düsseldorfer Jecken, es sei euch gestanden. 

Aber dann: Anruf von M., am 11.11., einem alten Bekannten, der ein größeres Musik-Fachgeschäft führt: „Ein Großteil meiner Kundschaft ist arbeitslos. Viele Musiker verdienen im Karneval ihre Grundsicherung fürs Jahr. Von denen kauft jetzt keiner mehr auch nur eine Gitarrensaite.“ Das wird im kompletten nächsten Jahr nicht viel anders sein – wovon sollen die jetzt arbeitslosen Karnevals-Combos (die hier ja nur beispielhaft stehen für die gesamte Kultur-/Veranstaltungs-/Event-Branche) dann ihre Soundanlagen bezahlen? M. ist Optimist, sonst wäre er nicht Unternehmer geworden. Als Unternehmer ist es aber auch nicht sein Ding, Förderanträge und Formulare auszufüllen und beim Staat um Geld zu betteln. 

Sie warten jetzt vielleicht auf den Clou aus diesem Telefonat. Es gab leider keinen. 

(Für diejenigen von Ihnen, die sich für Pandemie-Rechtsprechung interessieren, sei dieses Urteil des Landgerichts München I empfohlen, das in Kontrast steht zu anderen landgerichtlichen Urteilen, etwa diesem aus Zweibrücken. Wäre das nicht alles so bitter, würde ich von juristischen Delikatessen schwärmen – wann zitiert ein Landgericht in einer mietrechtlichen Streitigkeit schon einmal ausführlich vier reichsgerichtliche Entscheidungen?)

Who must not be named

Andere Handelsunternehmen trifft es nicht ganz so hart, und das ist erfreulich. Ein Online-Händler mit Sitz in Seattle hat beispielsweise seinen Quartalsumsatz im Jahresvergleich um 37% auf 96,1 Mrd. Dollar gesteigert. Der Name soll hier lieber nicht genannt werden. Ich lernte von Marketingexperten, dass jede Namensnennung nur den Impuls im Gehirn aktiviert, dass man dort mal wieder etwas kaufen muss. Auch dann, wenn die Namensnennung verbunden ist mit Stichworten wie „tax evasion“, „schlechte Arbeitsbedingungen“ oder „Ausbeutung von Händlerdaten“.

Jaja, es lief nicht nur gut für das Unternehmen „dessen Name nicht genannt werden darf“. Die Europäische Wettbewerbskommissarin hat ein Statement of Objections gesendet. Wenn die Causa allerdings so ausgeht wie bei Google, kann es noch eine ganze Weile dauern, bis etwas Greifbares passiert.

In Sachen Google Shopping ist ja noch nicht so viel passiert, über die Tauglichkeit der remedies wird trefflich gestritten. Normal, sagt Pablo Ibanez Colomo

“I certainly do not see this case as a one-off or an aberration, but a sign of the challenges to come under the new competition law.” 

Ich bin nicht so sicher, ob das so stimmt – oder ob nicht gerade umgekehrt ein Schuh daraus wird. Eine interessante Koalition von 135 Unternehmen, darunter auch Booking.com und Tripadvisor, hat bei der Kommission in einem Schreiben angemahnt, sie möge bitte jetzt vorgehen – und nicht darauf warten, bis eines fernen Tages der Digital Services Act umgesetzt ist. Thomas Höppner, der in dieser Sache mandatiert ist, hat kürzlich eine wirklich lange Auswertung vorgelegt, die zu dem Ergebnis kommt, dass die bisherige Umsetzung des Google Shopping-remedies den Wettbewerbern nichts gebracht hat (a.A.: Google; EU-Kommission). Ich will das nicht beurteilen, aber eins kann ich sagen: Die Grafiken in diesen 390 Seiten sind für ein juristisches Gutachten schon sehr ausgefuchst!

Compliance-Officers, bitte!

Wenn ich auf die schwierige Geschichte der Kartellrechtsdurchsetzung gegenüber den GAFAs zurückschaue, dann fallen mir verschiedene Punkte ein. Und zwar auch dieser: Die Unternehmenskultur, oder vielleicht eher: Unternehmensunkultur.

Düsseldorfer Karneval – im Prinzip wie in Rio.

Lassen Sie mich bitte – ich bin innerlich noch bei dieser Karnevalsparty im Bundeskartellamt vor 15 Jahren – noch eine Geschichte aus meinen Anfangstagen als Kartell-Enforcer berichten. Bevor ich meinen ersten Anruf wegen einer unangenehmen Lieferverweigerung bei einem großen Chemie-Konzern machen sollte, fragte ich meinen Ausbilder, worauf ich mich bei diesem Telefonat denn einzustellen hätte. Ich war natürlich ein bisschen aufgeregt, weil ich jetzt einem Unternehmensvertreter erklären sollte, dass sein Laden möglicherweise gegen Recht verstößt. Würde er die Hunde auf mich hetzen? „Ach Quatsch“, sagte der erfahrene Berichterstatter: „Das sind Profis, die arbeiten jeden Tag mit Kartellbehörden, die kennen das Recht, und wenn ein Rechtsverstoß vorliegt, wird der abgestellt.“ Genau so kam es. Die Lieferungen wurden nach unserem Telefonat wieder aufgenommen. 

Nur mal als These: Vielleicht ist dieses Urvertrauen angesichts einer ganz neuen Aggressivität des Geschäftsgebarens nicht mehr gerechtfertigt. Dafür gibt es immerhin anekdotische Evidenz:

Exhibit 1: Als das Geschäftsmodell von UBER in Deutschland von Gerichten verboten wurde (gestützt auf UWG), erklärte UBER ungerührt, man werde seine Dienste weiter anbieten. Das Manager-Magazin zitierte einen Sprecher des LG Frankfurt mit den Worten, so etwas habe er „noch nie erlebt“.

Dieser Fall ist für mich das wirtschaftsrechtliche Äquivalent zu den anderen Rechtsstaats-Missachtungen, die uns in den vergangenen Jahren erschüttert haben.

Back to Manchester

Exhibit 2 ist nicht in gleicher Weise unmittelbar auf Recht und Gesetz bezogen. Es stammt sogar aus dem Arbeitsrecht. Aber nach meinem dann doch irgendwie ordoliberalen Verständnis verlässt auch da jemand den Konsens, wieviel Respekt und Anstand in einer Wirtschaftsordnung erwartet werden.

Als Zeuge rufe ich Reed Hastings auf, den Chef von Netflix. Er wurde von Anne McElvoy für The Economist asks interviewt. Ich erfuhr, dass Netflix-Mitarbeiter/innen in den USA so viel Urlaub nehmen können, wie sie wollen. Im Prinzip kann man das ganze Jahr Urlaub nehmen bei Netflix! Größtmögliche Freiheit, flache Hierarchien und so, oder „no-rules rules“, wie es Hastings nennt. Toll!

Eine Regel gibt es aber doch bei Netflix: Wer nur „adäquat performt“ und nicht wie ein „Star“, besteht den „Keeper-Test“ nicht und wird gefeuert. Offenbar ohne Anflug von so etwas wie „Gewissen“ oder auch nur Ironie schreibt Hastings, dass nach der ersten derartigen Feuerungswelle das gesamte Büro sich nicht etwa deprimiert gefühlt habe, sondern 

„like it was filled with people who were madly in love with their work“. 

Mit Schauspielerei kennt man sich bei Netflix sicher aus. Die spitze Frage der Interviewerin Anne McElvoy, wie viele Leute denn überhaupt je bei Netflix Urlaub machen würden, konnte Hastings leider nicht beantworten: Darüber gebe es keine Daten. 

Ich habe das dann abgeschaltet, weil ich fürchtete, noch zum Sozialisten zu werden. Nie habe ich deutsches Arbeitsrecht so schätzen gelernt, wie nach diesem Interview eines Manchester Silicon Valley-Kapitalisten. Wer sein Lockdown-Netflix-Abo noch sehr liebt, sollte das Gespräch vielleicht doch hören. Immerhin erfährt man auch, dass Netflix nicht jede kleine Nebenrolle datengestützt besetzt.

Live aus dem Four Seasons Total Landscaping

Jetzt aber zu den guten Nachrichten: Joe Biden wird im Januar ins Weiße Haus einziehen! Und Kamala Harris übernimmt das hübsche Haus am Number One Observatory Circle! Sie ist damit ja eine Nach-Nachmieterin von Joe Biden und hat die Atomuhr zur Verfügung. Ihr Partner Doug Emhoff, der in sozialen Medien als Prototyp des modernen Mannes gefeiert wird, ist Partner bei DLA Piper (z. Zt. beurlaubt).

Im Schlepptau haben Biden/Harris einige Big Tech-Lobbyisten, die im Transition Team tätig sind, aber auch einige Kritiker von Big Tech. Erwartet wird, dass die zuletzt etwas ungemütliche Linie für GAFA-Unternehmen in den USA grundsätzlich beibehalten wird, obwohl die Silicon Valley Firmen ordentlich für Biden/Harris gespendet haben und Harris eng mit der kalifornischen Business-Szene verwoben ist. Eine Top-Priorität wird der „techlash“ aber, so mutmaßt die MIT Technology Review, nicht gerade werden. Remember: Die Obama-Administration zeichnete sich ja nicht gerade als Big Tech-kritisch aus. Aber all das ist natürlich noch „too early to call“.

Das GWB im Parlament

In Deutschland steht die GWB-Novelle im Parlament an, Ende des Monats wird es eine Anhörung im Wirtschaftsausschuss dazu geben. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist unseren Leserinnen und Lesern ja bekannt. Von den Oppositionsparteien FDP und Linke gibt es ergänzende Anträge, von den Grünen gleich zwei (hier und hier), die allesamt – wie der Gesetzentwurf der Bundesregierung – mit viel Liebe und Sachkenntnis geschrieben sind. Es ist schon eine interessante Zeit, in der alle Parteien des Spektrums sich für Verschärfungen und starke Reformen im Kartellrecht einsetzen. Die Grünen fordern beispielsweise 50 neue Stellen für das Bundeskartellamt, Befugnisse im Verbraucherrecht und erleichterten Schadensersatz, die FDP will Regelungen für Datenzugang im Smart Home und die Linkspartei eine Vorschrift für Killer Acquisitions. Nicht alles davon wird sich wohl die Mehrheit im Bundestag zu eigen machen, aber die Debatten werden mit Leidenschaft geführt. Diejenigen, die für sich weniger Kartellrecht wünschen, z.B. öffentlich-rechtliche Rundfunkkonzerne oder Krankenhäuser, wirken dagegen sehr old-school. 

GWB10 im Parlament. Foto: Screenshot von www.bundestag.de (Übertragung)

Eine erste Lesung im Bundestag hat bereits stattgefunden. Das Wortprotokoll habe ich mit Erstaunen zur Kenntnis genommen. Angetreten war natürlich die erste Garde der ritterlichen Retter des Freien Wettbewerbs im Deutschen Bundestag, darunter Matthias Heider, Hansjörg Durz und Falko Mohrs, die für die Koalitionsfraktionen schon in der Wettbewerbskommission 4.0 mitberieten, Michael Theurer von der FDP und Katharina Dröge von den Grünen, eine Jeanne d’Arc des parlamentarischen Kartellrechts. Für die Bundesregierung stellte die Parlamentarische Staatssekretärin Elisabeth Winkelmeier-Becker den Gesetzentwurf vor. Kein Erstaunen meinerseits, dass es in den Wortmeldungen fast nur um § 19a GWB-E und die Maßnahmen zur Verschärfung der Missbrauchsaufsicht gegen große Plattformanbieter ging. Was mich aber doch erstaunen ließ: Niemand bemühte die Formel vom „Grundgesetz der Marktwirtschaft“! Dabei gehört die doch nun wirklich zum Standardrepertoire einer parlamentarischen GWB-Beratung. Am nächsten kam der Sache noch SPD-Politiker Mohrs:

„Wettbewerb ist eine Grundlage unserer sozialen Marktwirtschaft und hat damit eine ganz elementare Bedeutung in unserer deutschen Wirtschaft.“

Immerhin. Vielleicht sind die Parlamentarier aber Referenzen ans Grundgesetz auch leid, seit jeder deutsche Virologe (also jeder Deutsche) täglich Verhältnismäßigkeitsprüfungen durchdekliniert. CSU-Politiker Durz griff im Bücherregal noch eine Etage höher und kam nicht mit dem Bild vom Grundgesetz der Marktwirtschaft, sondern bemühte die Bibel: 1. Buch Samuel, 17,3. Das ist, wie unsere geneigte Leserschaft wissen wird, die Geschichte von David gegen Goliath. Von dort waren es natürlich nur wenige Zeilen bis zum Begriff „Level Playing Field“.

Super

Dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ist die Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrats angehängt. Die Bürokratieprüfer haben ein Haar in der Suppe gefunden, und zwar dort, wo unsereiner den GWB-Neuentwurf schon nur noch mit müden Augenlidern durchblättert, nachdem die Stroboskop-Blitze der Missbrauchsdiscokugel geflackert haben: Die im Bundeskartellamt angesiedelte Markttransparenzstelle Kraftstoffe soll gem. § 47k Abs. 2 neu auch Mengenmeldungen (nicht nur Preismeldungen) erhalten. Einmal pro Woche müssten dann Tankstellen die „im Laufe jeder Viertelstunde abgegebene Menge“ melden. Das würde wohl die Transparenz über die Preisbewegungen oder -lahmheiten noch steigern.

Nun ist aber ja die Markttransparenzstelle ohnehin ein umstritten Ding, oder auch ein „Bürokratiemonster“, wie der Mineralöl-Wirtschaftsverband einst schrieb. Der Normenkontrollrat ist skeptisch, ob es die Mengenmeldung wirklich braucht:

„Das generelle Interesse einer Behörde an zusätzlichen Daten, ohne dass hierfür ein konkreter Anlass vorliegt, ist kein ausreichender Grund für die erhebliche zusätzliche Belastung (ca. 2000 Euro) einzelner kleiner Unternehmen. Eine solche Maßnahme steht in einem bemerkenswerten Widerspruch zu dem Bekenntnis der Bundesregierung zum Bürokratieabbau, insbesondere bei KMUs. Es zeigt sich in diesem Fall deutlich, dass eine Evaluation einer gesetzlichen Regelung nicht maßgeblich von der ausführenden Behörde selbst vorgenommen werden darf, da dann keine objektiven Ergebnisse und Schlussfolgerungen zu erwarten sind.“

Hui. Ich bin mir sicher: Einige Kartellrechtsunterworfene würden für den Normenkontrollrat noch weitere Betätigungsfelder im Kartellrecht erblicken, wo das „generelle Interesse einer Behörde an zusätzlichen Daten“ vielleicht etwas zu weit geht…

Geheimniskrämerei

Auf einem Zettel hatte ich mir notiert, dass ich noch eine Meldung nachtragen wollte, die Assimakis Komninos bei LinkedIn gepostet hatte. Dieses Posting ist jetzt fünf Monate her und meine Zettelnotiz vermutlich ähnlich lang. Aber das passt gut zum Thema: Komninos hatte darauf hingewiesen, dass zwischen Entscheidung in einem Qualcomm-Fall (24.1.2018) und der Veröffentlichung der Entscheidung (8.6.2020) rund 2,5 Jahre vergangen sind.

In Art. 30 VO 1/2003 steht:

„Die Kommission veröffentlicht die Entscheidungen, die sie nach den Artikeln 7 bis 10 sowie den Artikeln 23 und 24 erlässt.“

Wann sie die veröffentlicht, steht da nicht. In ihren Best Practices schreibt die Kommission, sie „sei bestrebt“ usw. („hat sich stets bemüht“). Ich weiß schon, dass hier um Geschäftsgeheimnisse gerungen wird, aber mit den Grundsätzen guter Verwaltung und auch mit dem gesunden Menschenverstand scheint mir das nicht mehr vereinbar.

Energische Unterschriftenliste

Ich bin ein Fan von ganzseitigen Anzeigen in Zeitungen, in denen die Unterschriften von besorgten Mitbürgerinnen und Mitbürgern faksimiliert abgedruckt sind. Am 26.10.2020 ergab sich wieder Gelegenheit, Unterschriften zu studieren, etwa das sehr energische H von Carsten Hoffmann oder den sanften Flow der Unterschrift von Dr. Frank Brinkmann, der die Anzeige gleich zwei Mal unterschrieb. Als verantwortlich im Sinne des Presserechts für die Annonce wurde Manuel Schrepfer angegeben, PR-Manager der Kanzlei Becker Büttner Held. Worum geht’s?

Hoffmann und Brinkmann sind Chefs von kommunalen Energieversorgern. Mit Kolleginnen und Kollegen haben sie einen Brief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier geschickt, den sie sicherheitshalber auch in mehreren Zeitungen veröffentlichten, auf dass das Schreiben den Adressaten wirklich erreiche. Sie beginnen ihren Brief mit einer sicher nicht ganz unumstrittenen Formulierung:

„die beiden größten deutschen Energieunternehmen haben 2018 entschieden, den Energiemarkt zwischen sich aufzuteilen, indem RWE der größte Stromerzeuger wird und E.ON den Vertrieb und den Netzvertrieb dominieren soll“.

Soweit, so bekannt (wenn auch – je nach Positionierung – sicherlich mit anderer Akzentuierung). Der Deal wurde von der EU-Kommission freigegeben. Derzeit wird er vor dem EuG angefochten (Rs. T-312/20 u.a.). Und die Bundesregierung? Ist auf Seiten von E.ON und RWE dem Streit beigetreten. Das macht die Unterzeichner, die Chefs kommunaler Energieversorger, zornig:

„Sie streiten künftig an der Seite der zwei marktbeherrschenden Unternehmen und damit gegen einen fairen Wettbewerb.“

Inzwischen teilte die Bundesregierung mit, es gehe ihr bei dem Streitbeitritt nicht um die Fusion selbst, sondern nur um die Kompetenzverteilung zwischen Bundeskartellamt und EU-Kommission. In der Tat wird in den Klagen genau ein solcher, eher technischer Punkt gerügt: Die komplexe EON/RWE-Transaktion wurde in mehrere Häppchen aufgespalten, von denen eines vom Bundeskartellamt vertilgt geprüft wurde. In diesem Teil lag – bei isolierter Betrachtung – kein Kontrollerwerb nach europäischem Recht vor, die deutschen Aufgreifschwellen wurden aber erreicht. Das BKartA hat eigens in einem FAQ-Papier erläutert, was da passiert ist. Hintergründe mit vielen Namen gibt es in dieser Juve-Meldung

Dass das Prozessvertretungsreferat des Bundeswirtschaftsministeriums in einem Fusionskontrollfall vor dem Europäischen Gericht beitritt, ist übrigens durchaus selten. Ich habe die letzten 17 vorliegenden Urteile zu Fusionsanfechtungen vor dem EuG einmal rasch durchgeschaut (ohne Gewähr für Vollständigkeit). In nur drei Fällen haben Mitgliedsstaaten eingegriffen, jeweils an der Seite der Kommission. Deutschland war nicht darunter (und die Liste reicht zeitlich über eine Dekade zurück).

Rekordbußgeld

Die Energiewirtschaft ist ja ohnehin ein Feld voller Wunderlichkeiten: Gazprom, das freundliche Energieunternehmen von nebenan, hat in Polen eine Geldbuße wegen Kartellrechtsverstoßes in Höhe von 29 Mrd. Zloty aufgebrummt bekommen. Ich habe mal Währungsrechner bemüht – Stand heute wären das 6,46 Mrd. Euro. Der Verstoß: Gun Jumping! Ein Konsortium habe vorsätzlich gegen die Anmeldepflicht verstoßen und auch nach Einschreitens der Kartellbehörde nicht von der Gründung eines Finanzierungs-Joint Ventures abgelassen, obwohl keine Freigabe vorlag. Das ergibt dann die Maximalbuße von 10 % Konzernumsatz. Gazprom ficht an. 

In der Sache geht es um Nord Stream 2, die berühmt-berüchtigte Pipeline, und ihre Finanzierung. 

Ich bin gespannt, wie lange Margrethe Vestager (höchstes Bußgeld bislang: 4,34 Mrd. Euro gegen Google) den polnische Rekord auf sich sitzen lässt. 

Prager Fenstersturz

Da wir gerade in Osteuropa unterwegs sind: In Tschechien hat der Präsident der Wettbewerbsbehörde UOHS, Petr Rafaj, seinen Rücktritt eingereicht. Die Stelle wurde – erstmals – öffentlich ausgeschrieben. 

Wenn man sich dafür interessiert, warum Herr Rafaj, der dem Amt seit 2009 vorstand, zurücktrat, erhält man in der englischsprachigen Version der Amts-Website nur die dürre Information des Faktums seines Rücktritts. Die tschechische Version scheint spannender. Zum Glück gibt es in Prag den Journalisten Kilian Kirchgeßner, der als Korrespondent für deutsche Medien arbeitet, und der freundlicherweise seine Tschechisch- und seine Tschechien-Kenntnisse für uns aktivierte. Kirchgeßner (der auch den Marco-Polo-Reiseführer Tschechien verfasst hat – nur für den Fall, dass Sie mal wieder reisen dürfen) hat mir auf meine Frage, ob er einmal Licht in diesen Vorgang werfen könne, Folgendes geschrieben: 

„Der Vorsitzende des tschechischen Kartellamts UOHS, Petr Rafaj, tritt zum 1. Dezember von seinem Amt zurück. Der frühere Parlamentsabgeordnete der tschechischen Sozialdemokraten hatte die Position elf Jahre lang inne. Sein Name wurde immer wieder in Zusammenhang mit Skandalen, Korruptionsverdächtigungen und Hinterzimmergeschäften genannt. Am schwersten wiegt das Ergebnis einer Hausdurchsuchung, bei der die Polizei im vergangenen Jahr bei Rafaj zwei Millionen Kronen in bar gefunden hat (umgerechnet rund 80.000 Euro), in Briefumschlägen hinter Möbelstücken versteckt. In tschechischen Medien ist auch die Rede von persönlicher Vorteilsnahme in vielen Fällen – und intransparenten Aufträgen etwa zur Reinigung des Amtssitzes des Kartellamts und zu einer teuren Werbekampagne; für sie sollen die Firmen früherer politischer Weggefährten Rafajs den Zuschlag bekommen haben. Petr Rafaj selbst beteuert seine Unschuld. „Dennoch sind meine Familie und ich zum Ziel von konstruierten und unwahren Beschuldigungen geworden. Ich halte das für das Ergebnis einer persönlichen Rache von Leuten, die die unabhängigen Entscheidungen des Amtes nicht akzeptieren konnten.“ Der Chef des Kartellamts gilt in Tschechien wegen der Fülle seiner Kompetenzen als der mächtigste Beamte des Landes. In der Prager Politik wird jetzt der Ruf nach einer Reform des gesamten Kartellamts laut.“

Wie schön, dass die erforderliche Umsetzung der ECN-plus-Richtlinie dafür gleich noch einen Anlass bietet.

Viele Grüße nach Prag, Bonn, Brüssel, Berlin, Wilmington oder wo immer sie diese Welle reiten! 

Rupprecht Podszun ist Direktor des Instituts für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Editor dieses Blogs.

Ein Gedanke zu „SSNIPpets (41): Hope!

  1. Geheimniskrämerei: Bei der Kommission wird durchaus mal das eine oder andere Snickers verputzt (wenn’s mal länger dauert), wenn es um die Veröffentlichung von Entscheidungen geht. Im LKW-Kartell waren es fast drei Jahre bis zur vorläufigen Fassung; im Luftfracht-Kartell kam die vorläufige Fassung nach fünf Jahren; die endgültige Fassung ist auch nach zehn Jahren noch nicht da.

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