SSNIPpets (38): Phase II

SSNIPpets (38): Phase II

In der Kartellrechts-Community triggerte der Begriff „Phase II“ bislang Gedanken an die Fusionskontrolle: Da ist Phase II ja eher angstbesetzt. Jetzt wird selbst bei Kartellrechtlern „Phase II“ assoziiert mit der Hoffnung, dass der Shutdown langsam enden möge und „Phase II“ eintritt, die schrittweise Wiedereröffnung des Lebens. Rupprecht Podszun hat mal wieder eine SSNIPpets-Phase. Hier sind seine small but significant news, information and pleasantries – our pet project!

Stop the clock

Seit wir vor einigen Wochen kollektiv in die Isolation verfügt wurden, werden Begriffe neu besetzt. „Phase II“ bezeichnet in der Covid-World die Phase der ersten Lockerungen. Und „stop the clock“ hat auch eine ganz neue Bedeutung. Früher war „stop the clock“ ja der Moment in der Fusionskontrolle, in dem man merkte, dass es so gerade nicht weitergeht. Die Uhr steht still, die Zeit friert ein, nur in einer Anwaltskanzlei brennt Tag und Nacht das Licht, und ein Associate (der mit dem Gedanken spielt, zur Kommission zu wechseln) versucht verzweifelt, Menschen im Unternehmen zu erreichen, die seine Fragen beantworten können…

Rechtsanwalt Christopher Cook hatte 2017 für Concurrences einmal zusammengestellt, wie lange Fusionskontrollverfahren dauern. Das war nicht uninteressant: Von der öffentlichen Bekanntgabe bis zur Anmeldung vergingen 2005 im Durchschnitt 60 Tage bei einem „Normalfall“, 46 bei einer Simplified Procedure. 2016 waren es dann schon 112 bzw. 65 Tage in dieser Vorphase. Was das eigentliche Verfahren angeht, so schreibt Cook:

“Phase II reviews therefore routinely take 125 or more working days; cases decided within the basic 90 working-day calendar have all but disappeared.”

Cooks Aussage ist in vielen Fällen noch eine dezente Untertreibung. Bayer/Monsanto wurde am 30.6.2017 angemeldet und am 21.3.2018 entschieden. Das sind 264 Tage (die Umrechnung in Commission working days war mir zu kompliziert, sorry). Klar, Bayer/Monsanto war sicher einer der aufwändigsten Fälle überhaupt. Aber auch für Apple/Shazam, der – wie immer in Digitalfällen bei DG COMP – mit einer sauberen Freigabe endete, dauerte es von Anmeldung (14.3.2018) bis Freigabe (6.9.2018) 176 Tage. Bitte behalten Sie das im Auge, wenn Sie das nächste Mal erklären, ein Fusionskontrollverfahren dauere so ungefähr 1 plus 3 Monate. Nimmt man, wie Cook, die Pre-Notification hinzu, ist der Effekt dramatisch, und es lässt sich, wie Cook schreibt, sehr schön spekulieren, dass Fristen hinten dazu führen, dass es am Anfang immer länger dauert: Informelles Vorverfahren statt Phase II, sozusagen. „Stop the clock“ ist dann nur noch eine letzte Verzweiflungstat auf der Suche nach der verlorenen Zeit.

Dazu haben wir später noch etwas Neues.

Greetings from „Home Office“

Jetzt ist die Zeit angehalten (und gleichzeitig rast sie), jeder Tag ist wie der andere. Wie viele Tage leben wir eigentlich schon in diesem Loop? Und wie viele working days? Ewig scheint es zu sein, aber doch hat man es nicht geschafft, Marcel Proust zu lesen, das Saxophon wieder auszupacken oder etwas zu lernen, z.B. Gebärdensprache mit Video-Tutorials.

Wenn an diesen Murmeltiertagen dann die Routine durchbrochen wird, ist das besonders schön, und so habe ich mich über jeden Gruß aus dem Home Office gefreut, der die Redaktion dieses Blogs erreicht hat. Denn auch das ist ja gar nicht so einfach, gerade das Einfache („machen Sie mal ein Selfie am heimischen Schreibtisch und schreiben Sie ein paar Zeilen dazu!“) ist ja oft so schwierig. Aber Cristina Caffarra, Florian Ederer, Elisabeth Eklund, Damien Gerard, Juan David Gutierrez Rodriguez, Justus Haucap, Florian Haus, Silke Heinz, Gerhard Klumpe, Tilman Makatsch, Jens-Olrik Murach und Markus Wirtz haben die Herausforderung angenommen. (Zugegeben, Cristina Caffarra hat sich nicht an ihrem Schreibtisch, sondern neben ihrer Samurai-Rüstung fotografiert, aber das ist auch ein Klasse-Bild!) Jedes Mal, wenn wir eine solche „digitale Postkarte“ in unserem Postfach fanden, war das eine Freude, weil jedes Mal der Subtext zwischen den Zeilen war: Es gibt mich noch, ich denk an euch (also an die Leser/innen von D’Kart) und, ja, wir schaffen das wir kommen hier irgendwie durch.

(Hoffnung sei eh sehr gut, sagt der Psychiater Dr. Dogs in diesem hörenswerten, einstündigen Gespräch.)

Schauen Sie sich also die Greetings from Home Office noch einmal an und denken Sie dabei an Ihre Reisen in ferne Länder so wie bei analogen Postkarten: „Ach, schau, Schatz, die sind auf Bali!“ – „Ach, schau, Schatz, was der Justus Haucap da auf dem Schreibtisch hat!“

„Die neue Deutschland-AG“

Wo wir gerade bei unserem Düsseldorfer Kollegen Justus Haucap sind: Der wird vom Manager-Magazin mit den Worten zitiert, die Politik habe in der Krise bislang „zum Glück vieles richtig gemacht“. (Wenn Sie jetzt denken: Warum zitiert der Podszun denn den Haucap aus dem Manager-Magazin, statt mal eben rüberzugehen auf dem Campus und ihn direkt zu fragen – dann weil – eben.) Der Text hat den schönen Titel „Die neue Deutschland-AG“ und behandelt die Beteiligungen des Staates, der jetzt immer stärker zupackt, um Unternehmen über den Sommer zu helfen. Das Haucap-Zitat geht wie folgt weiter:

„Ich sehe aber auch die Versuchung für Politiker, ihre gesteigerte Rolle auf die Zeit nach der Krise zu übertragen – das wäre gefährlich für unsere Wirtschaftsordnung.“

Absolut. Der Staat ist wieder da, auch als mächtiger Akteur in der Wirtschaft, und es liegt an Margrethe Vestager, solche Grenzen zu setzen, dass wir nicht post-Covid in einer Wirtschaft aufwachen, in der Big Government mit seinen sichtbaren Händen herumknetet. Die bisherigen Vorgaben sehen gut aus.

Die Krise wird die Marktstruktur vermutlich signifikant verändern: In einigen Monaten werden einige Unternehmen nicht mehr da sein, andere werden anderen Leuten gehören als bisher. Ist das gut – im Sinne einer Marktbereinigung? Ist das schlecht – im Sinne einer Konzentrationswelle?

Neues von der GWB-Novelle (aber nicht das, was Sie denken)

Die GWB-Novelle ist noch im Stadium des Referentenentwurfs. Der Regierungsentwurf ist noch nicht veröffentlicht. Nun hat die Regierung derzeit auch anderes zu tun, aber eigentlich war ja auch alles soweit fertig, dachten wir. Das sieht offenbar das Justizministerium anders (was wiederum verwunderlich ist, denn die Details waren ja ausbaldowert und gerade die Digitalvorschriften sind ja auch Herzensangelegenheiten der Sozialdemokraten).

Immerhin sind mittlerweile die letzten Stellungnahmen eingetrudelt, die bei der Verbändeanhörung noch fehlten. Die Deutsche Telekom zum Beispiel wünscht sich eine spezialisierte Digitalagentur, die ex ante reguliert. Der Branchenverband Bitkom hat am längsten gebraucht, das ist wohl auch kein Wunder, wenn man die Mitgliederliste ansieht, die von Google bis Telekom reicht. Und so schreibt Bitkom dann in aller Offenheit:

„Der Entwurf der 10. GWB-Novelle wird von den Bitkom Mitgliedern unterschiedlich bewertet. Einige Unternehmen begrüßen die Novelle, da sie negativen Marktentwicklungen Rechnung trage. Die Entstehung von Marktmacht, Abhängigkeiten und Markteintrittsbarrieren folge gerade auf digitalen Märkten heute neuen Gesetzmäßigkeiten. Dies stelle der Entwurf zu Recht in den Mittelpunkt und adressiere diese in geeigneter Form. Andere Teile der Mitgliedschaft bewerten die Novelle kritisch, insbesondere da empirische Belege für die Notwendigkeit neuer Instrumente in der Missbrauchs-aufsicht fehlten bzw. von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Studien diese Notwendigkeit negiert und von umfassenden Änderungen in der Missbrauchsaufsicht abgeraten haben.“

Zur Empirie habe ich gleich noch ein schönes Schmankerl für Sie. Es deutet sich ein Wettbewerb der OLG-Senate an! Cliffhanger!

Ich verstehe die Novellierung der Missbrauchsvorschriften nicht zuletzt so, dass damit ein Signal in die EU herein gesendet werden soll. Nationale Regelungen für die Digitalmärkte sind suboptimal, é claro, aber solange sich in Brüssel nichts bewegt, ist der Impuls aus Dschermany nötig. Vielleicht sind sie nötiger denn je: Big Tech spielt in Zeiten des Home Offices natürlich eine gewisse Rolle. Wer daraus folgert, dass man den GAFAs gegenüber nun „more lenient“ sein solle, tappt in eine Falle, die wir „dominance“ nennen. Jetzt auf die GAFAs angewiesen zu sein, heißt ja in erster Linie, dass diese sehr viel Macht haben. Und um wieviel besser ginge es in der Krise möglicherweise, wenn es nicht ein Google gäbe, sondern mehrere? Wir nennen das „counterfactual“.

Dieses Relief am Bundesministerium für Wirtschaft in Berlin erinnert an die Vergangenheit des Gebäudes – als Militärärztliche Akademie.

Derweil ist aber das Bundeswirtschaftsministerium mit Blick auf das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht untätig geblieben. Es kursiert eine sog. „Formulierungshilfe“ (das ist ein technischer Begriff aus dem parlamentarischen Betrieb in Berlin), mit der vorgeschlagen wird, das GWB anzupassen, um die Folgen der Pandemie abzumildern.

Konkret sollen zwei Absätze an § 186 GWB angehängt werden, befristet. Zum einen werden die Fristen der Fusionskontrolle verlängert, da es schwierig sein kann, in diesen Zeiten die notwendigen Informationen einzuholen und alles rechtzeitig auf die Reihe zu kriegen. Zum anderen wird die Zinspflicht ausgesetzt, soweit Unternehmen Zahlungserleichterungen gewährt wurden. Die Änderungen sollen so bald wie möglich Gesetz werden. Der D’Kart (und allen möglichen anderen Menschen) vorliegende Entwurf macht das so:

„(7) Für einen Zusammenschluss, für den die Anmeldung nach § 39 zwischen dem 1. März 2020 und dem Ablauf des 31. Mai 2020 beim Bundeskartellamt eingegangen ist, beträgt die Frist nach § 40 Absatz 1 Satz 1 zwei Monate und die Frist nach § 40 Absatz 2 Satz 2 sechs Monate. Satz 1 gilt auch im Fall des § 40 Absatz 5. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, wenn am … [einsetzen: Datum des Inkrafttretens nach Artikel 4 dieses Gesetzes]

1. die Frist nach § 40 Absatz 1 Satz 1 abgelaufen ist, ohne dass das Bundeskartellamt den anmeldenden Unternehmen mitgeteilt hat, dass es in die Prüfung des Zusammenschlusses (Hauptprüfverfahren) eingetreten ist,

2. die Frist nach § 40 Absatz 2 Satz 2 abgelaufen ist oder

3. der Zusammenschluss vom Bundeskartellamt freigegeben wurde.

(8) § 81 Absatz 6 Satz 1 ist in der Zeit bis zum Ablauf des 30. Juni 2021 nicht anzuwenden, soweit für die Zahlung einer Geldbuße Zahlungserleichterungen nach § 18 oder § 93 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten gewährt sind.“

Aus den Institutionen – EU

Die Europäische Kommission überschlägt sich mit der Freigabe von Beihilfen. Das wirft schon die Frage auf, ob das jetzt noch ernsthafte Prüfungen oder nur noch leere Hülsen von Verfahren sind. Merke: Je astronomischer die ausgeschütteten Summen, desto schneller geht das Prüfverfahren. Das war schon in der Finanzkrise so, und wir lernen: Beihilferecht ist ein Schönwetterrechtsgebiet, in dem es auf Details nur anzukommen scheint, wenn die Konjunktur läuft.

Im Kartellrecht ist das etwas anders (my humble opinion). Es wird in jeder Zeit gebraucht, es ist aber flexibel genug, um auf pandemische Schwierigkeiten eingehen zu können, ohne dass es gleich einer substantiellen Gesetzesänderung bedarf. (Kleinigkeiten wie oben beschrieben fallen nicht unter substantiell).

Die Kommission hat ein Antitrust Temporary Framework veröffentlicht (wie Sie sicher schon aus allen Newslettern wissen). Fun Fact: Wenn man von der Corona-Seite der Generaldirektion Wettbewerb auf den dortigen Link zum Temporary Framework klickt, landet man auf der EUR-Lex-Seite, die zu der Mitteilung der Kommission verlinkt. Und diese Seite ist auf Französisch, nicht, wie sonst, auf Englisch. Ist das schon Brexit?

Aus den Institutionen – NCAs

ECN und ICN haben Positionspapiere hier und hier veröffentlicht, die dem gesunden Menschenverstand entspringen. Das Bundeskartellamt verhält sich bislang unauffällig, was mir fast das Liebste ist. Es hat aber ein neues Organigramm veröffentlicht. In dem gibt es zwar noch keine neue Beschlussabteilung C (für Corona), dafür hat aber die Beschlussabteilung V neue Kompetenzen erhalten. Nein, nein, nix mit Verbraucherschutz. Die V-Leute des Amtes, die – wie es aussieht – vergeblich auf neue Befugnisse im Zuge der 10. GWB-Novelle hoffen, dürfen nun wieder ein bisschen Kartellrecht machen. Die Abteilung heißt daher jetzt „Wettbewerbs- und Verbraucherschutz“, zugeordnet wurden die Branchen Kultur, Sport, Unterhaltung, Buchmedien sowie Messen. Den Begriff „Buchmedien“ kannte ich noch gar nicht. Entlastet wurde die 6. Beschlussabteilung, die sich nun ganz auf Medien, Internetwirtschaft und Werbewirtschaft konzentriert.

Das Bundeskartellamt arbeitet im Übrigen auf Hochtouren. Rechtsanwalt Daniel von Brevern hat darauf aufmerksam gemacht, dass das Amt gelegentlich sogar Fusionen freigibt, bevor sie überhaupt angemeldet sich. So geschehen in einem Immobiliendeal, siehe Beweisstück 1:

Aus der Liste der Fusionskontrollverfahren des BKartA, links Eingang der Anmeldung, rechts Entscheidungsdatum.

Die Turboabteilung, die vermutlich über hellseherische Fähigkeiten verfügt und daher vielleicht besonders geeignet wäre für Fusionen von Medien (kleiner parapsychologischer Scherz), ist die B1. Chapeau!

Die britische CMA hat ein weitreichendes Guidance Paper veröffentlicht, die Regierung hat das Kartellrecht gelockert „to feed the nation“. Der Cambridge-Kartellrechtler Oke Odudu sprach darüber in der grandiosen Mittags-Zoom-Serie „Competition Law in Isolation“, die von Or Brook und Magali Eben unter dem Dach von ASCOLA UK veranstaltet wird. Tipp für alle, die sich im Home Office etwas allein fühlen: Zoom in, jeweils mittwochs und freitags um 13 Uhr Düsseldorf time, mehr dazu gibt es auf dem Twitter- oder Linked-In-Konto von ASCOLA UK.

ASCOLA ist die Wissenschaftlervereinigung Academic Society for Competition Law, die ihre Jahreskonferenz in Porto in Präsenzform leider auch absagen musste. Zum Glück gibt es ja online-Formate, auch wenn die virtuellen Meetings den Charme der ersten Tage verloren haben. An der Juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität unterrichten wir komplett online in diesem Semester, das Examinatorium Immobiliarsachenrecht – eine Delikatesse unter den Veranstaltungen im juristischen Lehrprogramm – unterrichte ich ebenso über Zoom wie die Einführung ins Wettbewerbsrecht. Funktioniert.

Auch andere sind auf Online umgestiegen. Concurrences macht Webinars und – Achtung, self-preferencing! – die WuW lädt zum WuW-Dialog. Die erste Folge mit Andreas Mundt findet am kommenden Mittwoch statt, ich darf das moderieren. Ist kostenlos (solange man die Preisgabe einiger Daten bei der Anmeldung als unentgeltlich ansieht.) – Eigenwerbung Ende –

Empirie-Schmankerl (1)

Der erste Senat des OLG Düsseldorf hat wieder einmal Klartext gesprochen, was wir per se mögen, weil wir (soweit wir nicht selbst betroffen sind) lieber klare Sätze lesen als verschwiemelte. Zu prüfen war die Untersagung des Zusammenschlusses Remondis / DSD Duales System. Das Bundeskartellamt hatte diesen Mega-Merger der Entsorgungswirtschaft im Juli 2019 untersagt, u.a. wegen der Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung bei aufbereiteten Hohlglasscherben. Die Fusionsparteien versuchten, das OLG Düsseldorf vom Gegenteil zu überzeugen und legten dafür auch ein ökonomisches Gutachten vor. Ohne Erfolg:

„Das von Remondis vorgelegte Privatgutachten ist in diesem Zusammenhang ohne Aussagekraft. Die von den Privatgutachtern gewählten Rechen(bei)spiele sind ergebnisorientiert. Sie belegen weder die These von der Verhandlungsmacht der Glashersteller noch diejenige vom fehlenden Preissetzungsspielraum der Glasaufbereiter. Die im Gutachten der …… vorgenommene Simulation der Produktionskosten für die Herstellung von Behälterglas (Seiten 50 und 51 der Präsentation der …..) ist aus mehreren Gründen nicht stichhaltig und unbrauchbar.“

Note the wording.

Empirie-Schmankerl (2)

Es ist aber nicht nur das OLG Düsseldorf, das ökonomische Gutachten auseinandernimmt. Das OLG Schleswig-Holstein hatte in einer LKW-Kartellklage zu entscheiden. Da war alles bestritten, versteht sich ja von selbst. Zu den vorgelegten Gutachten schreibt das Nordlicht unter den OLGs, nicht ohne Süffisanz:

„Soweit sich die Beklagte auf den Abschlussbericht von vom 14. November 2018 (…) bezieht, betreffen die dortigen Ausführungen – womöglich mit gutem Grund – nur die Jahre ab 2007, die hier – bei einem letzten Erwerb im Jahre 2006 – keine Rolle spielen.“

Und an anderer Stelle (diesmal ist eine andere ökonomische Beratung dran):

„Diese[m] Gutachten sind überdies keine überzeugenden Schlussfolgerungen zu entnehmen, da es wie die Verfasser mehrfach betonen (vgl. Ziffern 1.9, 2.7, 4.1f.), auftragsgemäß von der – wie schon erörtert: unrichtigen – Annahme ausgehen soll, dass es lediglich einen bloßen Informationsaustausch gegeben habe. Dass unter dem Vorzeichen der Vereinbarung von Bruttolistenpreiserhöhungen ein Schaden nicht plausibel sei, behauptet auch die Beklagte nicht (…).“

Das rote Backsteingebäude, in dem das OLG Schleswig sitzt, wird im Volksmund als „Roter Elefant“ bezeichnet (Abb. ähnlich).

Kurzum:

„Angesichts der Substanzlosigkeit ihres Vorbringens sieht sich der Senat auch nicht gehalten, dem von den Berufungsklägerinnen für angebliche Besonderheiten und angeblich erforderlich nicht gegebene Randbedingungen stets angeführten Beweisangeboten des Sachverständigenbeweises bzw. der Zeugnisse der von ihr beauftragten Gutachter zu deren aktenkundigen Gutachten weiter nachzugehen.“

Die Richter in Schleswig formulieren insgesamt recht schmissig. Wächst hier eine Konkurrenz für die Düsseldorfer heran? Ein Wettbewerb der OLG-Senate? Diese Passage zum LKW-Kartell ist auch noch einmal mit spitzer Feder geschrieben:

„Unter den aufgezeigten Umständen hält es der Senat am Maßstab des § 286 ZPO für praktisch ausgeschlossen, dass durch die verbotenen abgestimmten Verhaltensweisen die Endkundenpreise – allemal in dem hier in Rede stehenden Zeitraum von 1997 bis 2006 – im Ergebnis nicht beeinflusst worden sein könnten. Das würde voraussetzen, dass über einen Zeitraum von nahezu 10 Jahren keiner der mit den Absprachen befassten hochrangigen Mitarbeiter in Management und Controlling in immerhin sieben international operierenden Großkonzernen auf den Gedanken gekommen wäre, dass mit den verbotenerweise abgestimmten Zahlen tatsächlich keinerlei Vorteile für die Kartellanten haben erzielt werden können. Das erscheint als ebenso abwegig wie die (weiter denkbare) Möglichkeit, dieser Mitarbeiter habe es nicht oder nicht mit Erfolg vermocht, seine Erkenntnisse hinreichend zu kommunizieren.“

Ich zitiere das hier nicht mit Schadenfreude, nicht mit Zustimmung, nicht mit Ablehnung. Ich zitiere das hier nur meiner treulichen Chronistenpflicht nachkommend – und weil ich glaube, dass sich daran diverse Entwicklungen zeigen, die in diesem Rahmen aufzuzeigen meine heutigen Kräfte überspannen würde.

Hier noch eine dringende Bitte: Lesen Sie diesen Artikel auf keinen Fall. Versenden Sie erst recht den Link nicht weiter. Sie werden es selbst eines Tages bitter bezahlen, wenn Sie es dennoch tun. Ich habe Sie gewarnt!

Falls es Ihnen nicht auffällt – es ist Wochenende! Kommen Sie gut in Phase II (falls möglich)! Passen Sie auf sich und Ihre Lieben gut auf.

Ein Gedanke zu „SSNIPpets (38): Phase II

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