Lesen!

Lesen!

Wenn der D’Kart-Newsletter ausnahmsweise an einem vorweihnachtlichen Sonntag kommt, dann aus Gründen. Um Ihnen einen schönen Sonntag zu wünschen, um Sie ans Öffnen der Kläppchen im kartellrechtlichen Adventskalender zu erinnern und zwecks Literaturkritik: Ein sehr bekannter Kollege hat einen Roman veröffentlicht, und da wollen Sie zu Recht am Erscheinungstag wissen, wie das ist. Rupprecht Podszun hat für Sie gelesen. Und da Sie diesen Roman ohnehin nicht kaufen werden, empfehlt Adrian Deuschle gleich noch das Buch eines anderen Kollegen.

Die ♀-Zukunft des Kartellrechts

Unser 2019 Antitrust Advent Calendar hat schon eine Diskussion ausgelöst, wie es sie so nur auf Twitter geben kann: Ist die Zukunft des Kartellrechts weiblich? Der Verdacht kann aufkommen.

Schauen Sie sich mal die Kläppchen an, die bislang offen sind. Zur Erinnerung: Wir haben in diesem Jahr (nach den aus meiner Sicht immer noch entzückenden Editionen 2017 und 2018) eine jüngere Generation von Kartellrechtlern befragt, was in diesem Kartellrechtsjahr besonders bemerkenswert war. Und jetzt sind von heute acht geöffneten Kläppchen sieben Mal Frauen zu sehen gewesen! „Holla, die Waldfee!“, hätte man früher in Men-only-Schützenvereinen (künftig nicht mehr gemeinnützig) wohl gepfiffen. Die Gender-Balance, die in diesem Blog ja auch mal schlechter war (siehe z.B. das sehr schöne, aber sehr männliche Foto ganz unten in diesem Beitrag aus dem Jahr 2017) droht, in die Gegenrichtung zu kippen. Kurzum: Es lohnt sich, die Entwicklung im Auge zu behalten.

Übrigens haben wir zwischendurch einige sehr prominente Gesichter in den Adventskalender geschmuggelt. Die haben wir befragt, was sie jungen Leuten raten, die im Kartellrecht jetzt ihre Karrieren starten. Den Anfang hat am 6. Dezember eine Kartellrechtsprofessorin gemacht, die in aller Welt bekannt ist. Seit Jahrzehnten tritt sie unermüdlich für internationale Kooperation ein und ermutigt mit nimmermüdem Optimismus Forscherinnen und Forscher (und auch Politiker) in aller Welt, das Kartellrecht voran zu treiben. Aber das können Sie ja alles selber nachlesen. Hier!

Zimmer mit Aussicht

2015 gab Daniel Zimmer, damals Chef der Monopolkommission und renommierter Professor für Kartellrecht und manch anderes an der Universität Bonn, ein Interview in der Welt, das aufhorchen ließ: Er sammle Stoff für einen Roman, es sei seine Feierabendbeschäftigung, „gewissermaßen als Dilettant“ arbeite er an einer Betrügergeschichte. Er notiere sich gern Erfahrungen, die er mit Mitmenschen mache. (Seither begegnete ich Zimmer stets mit einem gewissen Unbehagen – wer will sich schon durch einen unbedachten Satz zur Witzfigur in einem Roman befördern?)

Daniel Zimmer. Foto: Barbara Frommann

Zimmer trat im März 2016 Knall auf Fall vom Amt als Monopolkommissionschef zurück, weil er keinen rechten Sinn in einem Beratungsgremium der Bundesregierung sah, dessen Rat – hier im Fall Edeka/Tengelmann – vom Minister in den Wind geschlagen wurde. Ich jauchzte, als ich das las – jetzt würde Zimmer endlich Zeit haben für seinen Roman! Aber dann wurde Daniel Zimmer Dekan der großen Bonner Fakultät. Das ist ein Amt, das (so stelle ich es mir als jemand vor, der es noch vor sich hat) nicht nur Zeit raubt, sondern vielleicht auch ein bisschen Phantasie… Das Projekt geriet bei mir in Vergessenheit, bis ich in der FAZ vor einigen Tagen ein Plädoyer von Daniel Zimmer las, in dem er für europäisches Standard-Setting bei der Regulierung von Algorithmen warb. Das erinnerte mich an den Roman. Auf die Nachfrage, wie es denn darum stehe, flatterte der flugs gegründeten D’Kart-Feuilletonredaktion ein Vorabexemplar ins Postfach. Heute erscheint der Titel:

Zimmer, Daniel: „Möbius und Die Kunst des Betrügens“, 257 Seiten

So schnell habe ich noch keinen Text von Zimmer verschlungen. Sicher, seine Kommentierung im Immenga/Mestmäcker zu Art. 101 AEUV ist auch lesenswert, aber sie ist nun mal nicht das, was man im Englischen einen „pageturner“ nennen würde, ein Buch, bei dem sich quasi die Seiten von allein blättern, weil man atemlos die spannende Story weiterlesen will. Zimmers Roman war für mich auch kein „pageturner“, was aber schlicht daran liegt, dass ich ein PDF gelesen habe, bei dem ich scrollen musste: Ein „pagescroller“ ist das, eine Geschichte, die mich erst an vielen Stellen laut lachen ließ, die dann in der Storyline mitreißt, und die schließlich einen überraschenden Twist erhält.

Professor Möbius, Annabel und die Nutella-Frau

Der Protagonist ist Professor Felix Möbius, der an der Hauptstadt-Uni Kapitalmarktrecht lehrt. Der in seiner Ehe gelinde frustrierte Endvierziger verguckt sich Hals über Kopf in die Studentin Annabel, so etwas soll vorkommen, habe ich mir sagen lassen. Offenbar kommt es zwischen Möbius und Annabel in der Berliner Torstraße 84 zu dem, was an einer Stelle „Sex mit Abhängigen“ genannt wird, wobei uns Zimmer die Details leider zum Glück erspart. In einem zweiten Erzählstrang lässt sich Möbius darauf ein, in der Porsche-Saga ein Gefälligkeitsgutachten für einen windigen Fonds zu erstatten. Auch sowas soll unter Juraprofessoren gelegentlich vorkommen (weiß ich natürlich auch nur vom Hörensagen). Was sich in dieser Konstellation entfaltet – es kommen noch eine CDU-Bundestagskandidatin („die Nutella-Frau“) und zwei verkrachte Informatik-Studenten ins Spiel – ist eine Geschichte mit lauter Betrügereien hier und dort, sodass bald nicht mehr klar ist, wo eigentlich oben oder unten ist.

Zimmer ist natürlich ein intelligenter Autor und häkelt die Stränge so zusammen, dass die Lektüre nicht unterfordert und trotzdem Spaß macht. Der Ton: eine gewisse ironische Distanz des auktorialen Erzählers. Hier und dort scheint der Professor im Romancier auf, der noch eine kleine Kulturgeschichte des Betrügens aus der Literatur einflicht, vom biblischen Jakob bis zu Rainald Goetz‘ Johann Holtrop. Und wenn man sich bang fragt, wie der Autor das alles wieder aufdröseln will, treibt dieser die Geschichte vorwärts: Schon rast der Leser als Beifahrer mit Möbius im Jaguar von Berlin aus Richtung Côte d’Azur, wo ja mediterrane Leichtigkeit gelegentlich das Leben ändert.

Was Sie schon immer über Juraprofessoren wissen wollten, aber…

In den ersten zwei Dritteln des Buches bin ich sehr befangen: zu sehr ist all das, was Zimmer schildert, ein Bericht aus dem Professorenleben. Wohl dem, der darüber lachen kann und sich nicht dauernd fragen muss, wie sehr man da eigentlich den Spiegel vorgehalten bekommt… Wer Jura-Fakultäten oder den Tanz von Anwälten und Gutachtern nur aus der Ferne kennt, mag das für satirische Zuspitzung halten. Doch eigentlich bleibt Zimmer nah an den Realitäten (etwa wenn er eine Sitzung des Fakultätsrats schildert, in der stundenlang über die Sanierung eines Fahnenmasts vor der Universität debattiert wird (Öffentlich-Rechtler: natürlich dafür, Zivilrechtler: eher dagegen, Strafrecht: schweigt)). Dass Juristische Fakultäten schon ohne Übertreibung zur Karikatur taugen, sollte zu denken geben.

Die eigentliche Offenbarung ist dann das überraschende letzte Drittel des Buches. Bewegt sich „Möbius“ zuvor auf dem Niveau eines sehr unterhaltsamen Campus-Romans, kommt es hier plötzlich zu einer ganz anderen literarischen Wanderschaft – alle weiteren Auskünfte würden spoilern, und das sollte man der Leserschaft dieses Blogs wirklich nicht antun.

Man möchte gleich von vorn lesen (und das soll man sogar, Stichwort: Möbius-Band), aber noch mehr möchte man sagen: Lass doch, lieber Daniel Zimmer, die nächste Auflage des Immenga/Mestmäcker einfach mal deine Mitarbeiter schreiben und setz dich an den nächsten Roman!

www.kunstdesbetruegens.de

Ich schrieb eingangs, dass Sie dieses Buch nicht kaufen werden. Der Grund dafür ist simpel: Sie können es nicht kaufen. Zimmer, der offenbar die „economics of free“ verinnerlicht hat, hat den Roman kostenlos ins Netz gestellt. Ist das ein Angriff auf andere erfolgreiche Geschäftsmodelle, die mit kostenfreien Leistungen zu Umsätzen gekommen sind, von denen selbst Großgutachter Felix Möbius nur träumen kann? Die Datenschutzerklärung der Website scheint mir nicht so ausbeuterisch wie die von Facebook – aber das Bundeskartellamt sollte ein wachsames Auge auf diese Website legen.

Und Sie auch: Unter www.kunstdesbetruegens.de können Sie den neuen Zimmer kostenfrei herunterladen und lesen!

Achim Wambach und der Stand der digitalen Dinge

Was tun mit dem gesparten Geld? Da hat Adrian Deuschle eine Empfehlung – Zimmers Nachfolger in der Monopolkommission hat nämlich auch geschrieben, und auch wenn sein Buch schon 2018 erschienen ist, taugt es immer noch als Weihnachtsgeschenk für die Liebsten, die Ihr Fachgebiet kennenlernen sollen.

Wambach, Achim; Müller, Hans Christian: „Digitaler Wohlstand für alle: Ein Update der Sozialen Marktwirtschaft ist möglich“, 222 Seiten, Campus-Verlag, Frankfurt/New York (2018)

Achim Wambach und Hans Christian Müller stellen in ihrem Buch den Wandel der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung durch die Digitalisierung dar. Die von Ludwig Erhard in seinem Werk „Wohlstand für alle“ beschriebenen Gesetzmäßigkeiten der sozialen Marktwirtschaft zur Wohlstandsmehrung zugunsten aller müssen im Zeitalter der Digitalisierung neu verhandelt werden. Den großen Digitalunternehmen (Microsoft, Apple, Google, Amazon, Facebook), deren Monopolisierung durch Netzwerkeffekte in der Plattformökonomie begünstigt wurde, fehlt es, so die Diagnose der Autoren, an Konkurrenz. Diese Vormachtstellung sei aktuell nicht bestreitbar, da die Digitalkonzerne durch killer acquisitions aufkeimenden Wettbewerb wegkaufen und – auch dank einer geringen Steuerlast – ihre deep pockets immer weiter auffüllen. Ihre Marktmacht werde außerdem genutzt, um sich auf anderen Märkten selbst zu begünstigen, um dort ebenfalls Marktanteile zu generieren. Die dabei gesammelten Daten ermöglichten den Digitalkonzernen ihre Gatekeeperpositionen, Verbraucher können gezielt mit Werbung bespielt werden.

Auch der Arbeitsmarkt werde sich durch die Digitalisierung verändern. Viele Berufe werde es in Zukunft nicht mehr geben (gute Juristinnen und Juristen braucht es natürlich immer!), aber es würden mindestens genauso viele Neue geschaffen. Die Politik müsse daher lebenslanges Lernen unterstützen und vermehrt das Studium von Technik- und Naturwissenschaften fördern.

Achim Wambach

Achim Wambach ist Vorsitzender der Monopolkommission und Chef des ZEW, sein Co-Autor Hans Christian Müller ist Redakteur beim Handelsblatt. Die Symbiose zwischen einem renommierten Wirtschaftswissenschaftler und einem geschliffenen Journalisten führt zu einer gelungenen Verbindung: hohes Niveau, gut lesbar. Der Wandel unserer Wirtschaft durch die Digitalisierung wird greifbar. Wambach/Müller zeigen auf, dass das Versprechen der sozialen Marktwirtschaft auch in der Digitalisierung eingelöst werden kann. Allerdings braucht es dazu gezielte ordnungspolitische Eingriffe von Seiten des Staates.

Im Fokus der Schrift steht, Leser dieses Blogs wird’s freuen, die Wettbewerbspolitik, der eine bedeutende Rolle bei der Bändigung der Digitalkonzerne zugesprochen wird. Wesentliche Probleme des aktuellen Wettbewerbsrechts werden anhand der aktuellen Digitalverfahren der Kartellbehörden dargestellt. Aber auch die Steuer- und Sozialpolitik werden einer kritischen Analyse unterzogen. Dabei werden teilweise sehr konkrete Vorschläge wie die Anpassung des Betriebsstättenbegriffs an die Gegebenheiten der digitalen Wirtschaft oder die Abschaffung der Mindestbeiträge für Selbstständige in der Kranken- und Sozialkasse gemacht. Die Autoren sind sich aber bewusst, dass nicht jedes neue Phänomen eines regulierenden Eingriffs bedarf. So bleiben die vorgeschlagenen Änderungen (durchaus im Sinne des Ordoliberalismus) auf die Schaffung eines Ordnungsrahmens für den digitalen Wettbewerb begrenzt. Dass neue Geschäftsmodelle zu Umwälzungen der Wirtschaft führen, ist grundsätzlich nichts Neues und Teil der von Schumpeter beschriebenen „schöpferischen Zerstörung“. Wie diese schöpferische Zerstörung in der digitalen Welt durch den Staat abgefedert werden könnte, wird in diesem Buch sehr anschaulich dargestellt. Kaufen!

Mit diesen beiden Hinweisen auf zu lesende Langstrecken und mit Empfehlung unseres Adventskalenders für die Kurzstrecke wünscht das D’Kart-Team einen schönen 2. Advent!

Prof. Dr. Rupprecht Podszun leitet die Feuilleton-Redaktion des Blogs D’Kart, Adrian Deuschle verantwortet die Rubrik „Das politische Sachbuch“ sowie die Tiefdruckbeilage von D‘Kart.

5 Gedanken zu „Lesen!

  1. Vielen Dank an die Feuilleton-Redaktion für die Rezension des neuesten belletristischen Produkts von Daniel Zimmer! Es ist wirklich unendlich spannend, amüsant und voller überraschender Wendungen — und das alles in einer konzentrierten Sprache! Toll zu sehen, wozu die besten Köpfe des Kartellrechts sonst noch fähig sind, ganz außerhalb der engen Grenzen unseres Fachgebietes!

  2. Habe Herrn Zimmer als Vorsitzenden der Monopolkommission mal kennengelernt. Das Vergnügen hielt sich (bei mir) in Grenzen, so meine von Alzheimer geprägte Erinnerung. Sein Buch hat mich jedoch mehr als nur angenehm überrascht:
    Ironie und Humor mehr als satt, auch Spannung, viel Kurzweil und alles mit Tiefe. Daher als unterhaltsame Lektüre auch für Nicht-Juristen und Universitätsfremde sehr gut geeignet, wenn man sich ans lange Lesen am Bildschirm gewöhnt hat.

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