Bericht zur BGH-Verhandlung am 11. Februar 2025 zur Geschäftsleiterhaftung für Kartellgeldbußen

Bericht zur BGH-Verhandlung am 11. Februar 2025 zur Geschäftsleiterhaftung für Kartellgeldbußen

Am 11. Februar 2025 traf sich ein Teil der Kartell- und Gesellschaftsrechtsgemeinde Deutschlands in Karlsruhe, um gespannt den rechtlichen Erörterungen zur Frage der Regressfähigkeit von Kartellgeldbußen zu lauschen. Auch Prof. Dr. Christian Kersting und seine Mitarbeiter waren vor Ort. Die einleitenden Ausführungen des VorsRiBGH Kirchhoff ließen schnell erkennen, dass die Frage des Organregresses keineswegs in einer schnellen Verhandlung beantwortet werden kann. Das sollte jedoch bereits klar gewesen sein, nachdem es gegensätzliche Entscheidungen aus (den Kartellhauptstädten) Düsseldorf und Dortmund gab und die Frage bereits ausreichend Stoff für einen zweiteiligen Aufsatz in der WuW lieferte (Kersting/May, WuW 2024, 243 ff. sowie 313 ff., der auch auf Englisch verfügbar ist: (2024) 45 E.C.L.R. 528).

I. Spannungsverhältnis zwischen Gesellschafts- und Kartellrecht

Es zeichnete sich zügig ab, dass der wesentliche Schlagabtausch im Ring zwischen dem Gesellschafts- und Kartellrecht stattfindet. Es scheint auf den ersten Blick eindeutig, wie die Frage des Organregresses zu beantworten ist: Nach den einschlägigen Bestimmungen des Gesellschaftsrechts in § 43 Abs. 2 GmbHG sowie § 93 Abs. 2 S. 1 AktG steht fest, dass die Geschäftsleiter einer GmbH bzw. AG den aus einer schuldhaften Verletzung ihrer Geschäftsleitungspflichten resultierenden Schaden zu ersetzen haben. Die maßgebliche Pflichtverletzung ist klar: Es widerspricht der Legalitätspflicht, wenn Geschäftsleiter entgegen Art. 101 AEUV oder § 1 GWB an einer Preisabsprache teilnehmen. Dass dieser Verstoß regelmäßig vorsätzlich erfolgt, ist nicht wesentlich bezweifelt worden. Bliebe es dabei, wäre das Verfahren jedoch nicht beim Kartellsenat des Bundesgerichtshofs gelandet.

II. Teleologische Auslegung oder teleologische Reduktion?

Die Erörterung wurde schnell auf die Überlegung gelenkt, wie denn der ersatzfähige Schaden zu bestimmen ist. Handelt es sich bei der Überlegung, ob der Organregress entgegen dem Wortlaut der gesellschaftsrechtlichen Haftungsregelungen ausgeschlossen sein soll, um eine teleologische Auslegung im Sinne einer normativen Bestimmung des Schadens oder stellt man fest, dass die Haftungsnormen zu einem Regress führen, der ausnahmsweise aufgrund einer überschießenden Tendenz einzuschränken ist? Methodisch von Bedeutung ist diese Unterscheidung, da in letzterem Fall gute Gründe für eine planwidrige Regelungslücke bestehen müssten. Dass diese vorliegen, ist jedoch keineswegs eindeutig. Es ist daher verständlich, wenn auf Beklagtenseite der Versuch unternommen wird, den Kartellsenat in die Richtung einer teleologischen Auslegung zu bewegen.

Es zeigte sich im Laufe des Vormittages jedoch, dass nach Auffassung des Senats die methodische Anknüpfung an eine teleologische Reduktion der richtige Weg sei. An der grundlegenden Anerkennung von Bußgeldern als Schaden im Sinne der §§ 249 ff. BGB, wie dies auch von anderen Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs vertreten wird, solle nicht die Axt gelegt werden.

III. Die Funktionen der Kartellsanktion

Weiter ging es in der Sitzung mit der Frage, ob eine Weiterleitung des gegen die Gesellschaft verhängten Bußgelds an die Geschäftsleitung zu einer Verhinderung der Erfüllung der Funktionen der Kartellgeldbuße führen würde. Als Konsequenz wären die gesellschaftsrechtlichen Haftungsnormen einzuschränken. Man konnte schnell aufhören zu zählen, wie oft das Wort „Lenkungsfunktion“ während der Verhandlung gefallen ist. Die Kartellgeldbuße solle gerade dazu dienen, steuernd auf das Unternehmen einzuwirken und damit Kartellverstöße zu verhindern. Angesichts der Höhe möglicher Kartellgeldbußen ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass diese eine verhaltenssteuernde Wirkung besitzt. Es sind jedoch natürliche Personen, die gesteuert werden und nicht der „Geist“ des Unternehmens.

Die entscheidende Frage lautet allerdings, inwieweit die Kartellgeldbuße auch eine Abschöpfungsfunktion hat, die darauf ausgerichtet ist, dem Unternehmen den in Folge der kartellrechtswidrigen Handlungen entstandenen wirtschaftlichen Vorteil zu entziehen. Vor dem Hintergrund dieser Frage bestünde womöglich ein Widerspruch, wenn letzten Endes nicht das Unternehmen, sondern die Geschäftsleitung die wirtschaftliche Belastung der Buße zu tragen hätte.

Es sei jedenfalls – so der Kartellsenat – ausgeschlossen, eine Rangfolge zwischen den verschiedenen Funktionen anzunehmen. Die verschiedenen Funktionen würden nicht zwingend dazu führen, eine – im Rahmen der teleologischen Reduktion zwingend erforderliche – planwidrige Regelungslücke im Zusammentreffen von gesellschaftsrechtlicher Organhaftung und kartellrechtlicher Sanktion anzunehmen. Maßgeblich für die Regressfähigkeit von Verbandssanktionen seien, wie auch im Bereich der Beraterhaftung und Sportverbandssanktionen, die jeweilig einschlägigen Haftungsregelungen.

IV. Unterschiedliche Sanktionsmöglichkeiten für ein Verhalten

Sodann wurde der Umstand diskutiert, dass es aber einen Unterschied zwischen der Verhängung einer Geldbuße gegen ein Unternehmen und natürliche Personen gibt. Das zeigt sich nicht nur darin, dass es (aus rechtsstaatlichen Gründen) unterschiedliche Sanktionsnormen gibt, sondern auch gerade in den Kriterien, die für die Festsetzung der Höhe der Buße maßgeblich sind. Selbstverständlich ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Geschäftsleiter nicht mit der des Unternehmens vergleichbar. Eine Bemessung bis maximal 10 % des Umsatzes des Unternehmens (§ 81c Abs. 2 S. 2 GWB bzw. Art. 23 Abs. 2 UAbs. 2 VO (EG) Nr. 1/2003) berücksichtigt nicht, wie die wirtschaftlichen Verhältnisse des möglicherweise im anschließenden Regressverfahren haftenden Geschäftsleiters ausgestaltet sind. Insbesondere hinsichtlich dieser Unterscheidung könnte man dem nationalen Gesetzgeber die Absicht unterstellen, er wolle die jeweilige Verhängung einer Geldbuße für das gleiche Verhalten trennen und eine unterschiedliche Behandlung von Unternehmen und Geschäftsleitern sicherstellen. Auf unionsrechtlicher Ebene könnte der Umstand, dass überhaupt nur das Unternehmen bebußt werden könne, ebenfalls dafür sprechen, dass die Sanktion für den Kartellverstoß (nur) das Unternehmen und nicht die für das Unternehmen handelnde Geschäftsleitung treffen müsse.

Aus Beklagtensicht sei die Frage zu beantworten, ob dieses genau austarierte Sanktionssystem und Zusammenspiel der kartellrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten durch die Zulassung des Regresses konterkariert und aus dem Gleichgewicht gebracht werden würde. Ließe man den Regress zu, unterlaufe man die kartellsanktionsrechtliche Differenzierung.

V. Wo bleibt die Vorteilsausgleichung?   

Auf der Strecke blieb (so wie der ICE auf dem Weg zurück in Köln) die Berücksichtigung der Möglichkeit, all diese Unterscheidungen auch im Rahmen einer grundsätzlichen Anerkennung der Regressfähigkeit zu berücksichtigen. Ein anerkannter Grundsatz des deutschen Schadensersatzrechts ist die Vorteilsausgleichung. Der Geschädigte darf durch die Schadensersatzleistung nicht bessergestellt werden, als er ohne die schädigende Handlung stehen würde. Diesem Bereicherungsverbot wird Rechnung getragen, indem sich der Geschädigte die Vorteile anrechnen lassen muss, die ihm in Folge des pflichtwidrigen Verhaltens des Schädigers entstanden sind. Wie unlängst ausgeführt wurde, kann eben der Teil der Kartellgeldbuße, welcher der Abschöpfung des durch das kartellwidrige Verhalten entstandenen Vorteils dient, im Zuge der Vorteilsausgleichung berücksichtigt werden (Kersting/May, WuW 2024, 243, 246 m.w.N.; bereits Kersting, ZIP 2016, 1266, 1271 ff.). Dass diese Erwägungen nur in Nebensätzen Berücksichtigung fanden und insgesamt der Eindruck entstand, diese Aspekte würden unter den Tisch fallen, mag vielleicht darauf zurückzuführen sein, dass die grundsätzliche Darlegungs- und Beweislast bezüglich der Höhe der Vorteilsausgleichung den Schädiger trifft (deswegen für eine andere Beweislastverteilung bereits Kersting, ZIP 2016, 1266, 1273 f.).

VI. Unionsrechtliche Überlagerungen der gesellschaftsrechtlichen Haftung   

Wie entscheidet sich nun aber der Kartellsenat? Der Weg führt nach Luxemburg! In der noch am selben Tag erfolgten Verkündung (leider nur wenige Minuten vor Abfahrt des Zuges zurück in die Heimat), und der korrespondierenden Pressemitteilung heißt es, dass eine entscheidungserhebliche Frage für die Beantwortung der Regressfähigkeit von Kartellgeldbußen lautet, ob unionsrechtliche Vorgaben dem Bußgeldregress gegenüber der Geschäftsleitung widersprechen würden. Aber was genau meint der Kartellsenat mit der Frage, ob die „gebotene Wirksamkeit von Geldbußen gegenüber Unternehmen beeinträchtigt sein [könnte], wenn sich die Gesellschaft von der Bußgeldlast durch Rückgriff auf das Leitungsorgan vollständig oder teilweise entlasten könnte“?

Zuvor knüpft er lediglich an die Abschreckungs- und Ahndungsfunktionen an. Unserer Auffassung nach ist für die Beantwortung der Fragen des Kartellsenats jedenfalls zu klären, ob die unionsrechtlichen Bestimmungen zur Verhängung von Bußgeldern gegen das Unternehmen die Wertung enthalten, dass die Notwendigkeit der Abschöpfung wirtschaftlicher Vorteile einer Regressfähigkeit ebensolcher Kartellgeldbußen entgegensteht. Denn es ist zumindest auch die Abschöpfungsfunktion, die durch eine Weitergabe der Geldbuße an die Geschäftsleiter leerlaufen würde, sofern dem nicht durch die Vorteilsausgleichung begegnet wird.

Der EuGH muss nun klären, ob insbesondere der Effektivitätsgrundsatz, d.h. die praktische Wirksamkeit der Kartellgeldbuße, verlangt, dass die Nachteile bei dem Unternehmen verbleiben. Deutlich wird das in der Anknüpfung des Kartellsenats an die, bereits in der Literatur zuvor erörterte, Parallele zum Steuerrecht. Wenn bereits eine steuerliche Absetzung von Bußgeldern die Sanktionszwecke und ihre Wirksamkeit beeinträchtigten, könnte dies erst recht für die Weiterleitung der Sanktion an die Geschäftsleiter gelten.

Was bleibt, wenn der EuGH die Vorlagefrage(n) im Ergebnis dahingehend beantworten sollte, dass die Wirksamkeit der unionsrechtlichen Sanktionsvorschriften erfordert, dass der zur Abschöpfung dienende Nachteil beim Unternehmen verbleiben muss? Nun, nicht zwingend ein Ausschluss der Regressfähigkeit, wenn man die Anwendung der Grundsätze der Vorteilsausgleichung in die Entscheidung einbezieht. Diesbezüglich wird sich der EuGH, auch bei entsprechender Fragestellung durch den Kartellsenat, allerdings wohl nicht positionieren. Es bleibt Sache des vorlegenden Gerichts über die Maßnahmen zur Erreichung der durch den EuGH festgelegten Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes zu entscheiden. Methodisch würde der Weg über die Vorteilsausgleichung die Möglichkeit bieten, zu verhindern, dass der Gewinn bei dem Unternehmen verbleibt, wodurch es an einer für die teleologische Reduktion erforderlichen planwidrigen Regelungslücke fehlt. Doch, dass der EuGH die Feinheiten des nationalen Schadensrechts und der Methodenlehre berücksichtigt, kann wohl (leider) nicht erwartet werden.

VII. Fazit

Es ist zu begrüßen, dass die Frage dem EuGH vorgelegt wird. Denn anders als noch von klägerischer Seite vorgebracht, ist es keineswegs so, dass man hier ein klares Ergebnis nach nationalem Recht hätte. Vielmehr steht ja gerade die Auslegung nationaler Vorschriften im Lichte des Europarechts im Raum. Und selbst wenn das nationale Recht eindeutig wäre: dann wäre das nationale Recht doch unionsrechtskonform auszulegen oder aber sogar unangewendet zu lassen. Ein acte clair ist nicht anzunehmen. Denn die genaue Bedeutung der EuGH-Rechtsprechung zur steuerlichen Abzugsfähigkeit für die hiesige Frage ist unklar. Zudem wird auch vertreten, dass ein Regress wegen der fehlenden Möglichkeit der Steuerung der Geschäftsleiter europarechtlich sogar geboten sei (Kersting/May, WuW 2024, 313).

Es bleibt mit Spannung zu erwarten, wie der EuGH die verschiedenen Funktionen der Kartellsanktion austariert. Dabei gilt zu berücksichtigen, dass die Lenkungsfunktion in die Beantwortung der Vorlagefrage(n) einbezogen werden muss. Sollte der EuGH auch Abschöpfungszwecke in die Betrachtung einbeziehen, muss auch eine mögliche Beeinträchtigung ihrer Wirksamkeit keinen Ausschluss des Regresses begründen, da über den Einwand der Vorteilsausgleichung verhindert werden kann, dass dem Unternehmen ein Vorteil verbleibt.

Die Autoren, Karl Bukpiev und Leon Kümmel, sind Wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht sowie deutsches und internationales Unternehmens-, Wirtschafts- und Kartellrecht (Prof. Dr. Christian Kersting) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

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