Die wichtigsten Normen der GWB-Novelle: 3 unwahrscheinliche Kandidaten
Sie ist da, endlich! Im Bundesgesetzblatt wurde heute die 9. GWB-Novelle veröffentlicht (Fundstelle: BGBl. I Nr. 33, S. 1416 vom 8.6.2017). Aufatmen überall: Die Knowledge Manager in Kanzleien müssen nicht mehr täglich mit Anrufen von Kartellrechtspartnern rechnen, ob denn jetzt bitte endlich die 9. GWB-Novelle veröffentlicht wurde. In Brüssel atmen diejenigen auf, die es lieber den nationalen Behörden überlassen, Innovationen im Recht auszuprobieren, etwa eine transaktionsvolumenbasierte Aufgreifschwelle in der Fusionskontrolle. Und in Düsseldorf atmet vielleicht manch einer am OLG auf, dass es künftig nicht mehr zur Überprüfung von Ministererlaubnisentscheidungen kommen wird (auch wenn dem OLG in dieser Hinsicht bislang ja nicht gerade Hasenfüßigkeit vorgeworfen werden kann).
Was aber bedeutet diese Novelle für die Praxis? Welches sind die wichtigsten Normen? Was wird sich wirklich ändern? Ich nominiere hier drei Normen, von denen ich annehme, dass sie das Kartellrecht stark prägen, nein, sogar verändern werden. Und diese Normen sind nicht die offensichtlichen Kandidaten.
Big points
Aber zunächst zum Offensichtlichen: Die Wurstlücke wird geschlossen; Schadensersatzprozesse werden erleichtert. Das sind die big points dieser insgesamt gelungenen Novelle.
Und was ist mit der neuen Aufgreifschwelle? Einer Anmeldepflicht bei 400 Mio. Euro Kaufpreis, dem „Anti-Exit-Gesetz“? Wird in der Praxis wohl selten eine Rolle spielen – so häufig sind derartige Übernahmen dann doch nicht, und selbst wenn wird es im Zweifel zu einem raschen Durchwinken Freigeben des Falls kommen. Der Gesetzgeber geht nur von drei Anwendungsfällen pro Jahr aus.
Die neuen Marktbeherrschungskriterien in § 18 Abs. 3a? Sind gut, werden langsam einsickern in die Praxis, konnten aber auch bislang schon berücksichtigt werden.
Die Präzisierung der Missbrauchstatbestände für das Anzapfverbot und den Verkauf unter Einstandspreis? Treffen auf allgemeine Unlust.
Verfahrensregeln für die Ministererlaubnis (einschließlich der Abschaffung des Beschwerderechts)? Interessiert erst wieder in – hoffentlich – einigen Jahren.
Die schwer umstrittene Presse-Ausnahme? Wird zwischen den schon jetzt weiten Möglichkeiten der Kooperation und dem weiterhin geltenden EU-Recht aufgerieben werden.
Bitte nicht missverstehen: Natürlich werden spannende, wichtige Fälle um diese Normen kreisen, natürlich werden all diese Themen eines Tages hochkochen. Aber sie verändern das Kartellrecht nicht so grundlegend wie drei etwas unscheinbarere Normen, die den Sprung ins GWB geschafft haben.
Game changer
Die erste Norm, der ich enorm viel zutraue, ist der neue Absatz 5 des § 32e. Hier wird dem Bundeskartellamt die Befugnis eingeräumt, Sektoruntersuchungen durchzuführen, wenn es den begründeten Verdacht für flächendeckende Verstöße gegen verbraucherrechtliche Vorschriften, etwa das UWG, gibt. Das ist die Ankernorm für Verbraucherschutz durch das Bundeskartellamt: die Bonner Behörde hat mit dieser vermeintlich kleinen Befugnis in der bewegten See des Verbraucherrechts festgemacht. Der europäische Trend geht dahin, die behördliche Verbraucherrechtsdurchsetzung zu stärken – Deutschland und Österreich sind die letzten Mitgliedsstaaten, die vor allem auf private Rechtsdurchsetzung bauen. Im Wettbewerb der Behörden um weitere Befugnisse (neben dem Bundeskartellamt sind etwa eine Digitalagentur, das Bundesamt für Justiz oder auch die Bundesnetzagentur im Rennen) hat die Wettbewerbsbehörde jetzt einen Vorsprung. Schon in den nächsten Wochen dürfte die Einleitung erster Sektoruntersuchungen zu erwarten sein – zu Fake-Onlineshops, Adressdatenhandel oder AGB-Verstößen bei sozialen Netzwerken. Eine Sektoruntersuchung, in der konkrete Verstöße aufgelistet werden, wäre dann der Ausgangspunkt für das Vorgehen der in § 8 Abs. 3 UWG aktivlegitimierten Mitbewerber, Verbände und Kammern. Das ist für das Verbraucherrecht und für das Bundeskartellamt eine Zäsur.
Die zweite Norm, die ich bislang kaum auf dem Zettel hatte, ist § 53 Abs. 5. Im Absatz 4 wird ausdrücklich klargestellt, dass das Amt fortlaufend über seine Tätigkeit berichten darf. Das ist schon eine Ermutigung für eine offensive Öffentlichkeitsarbeit. In Absatz 5 tritt die Pflicht hinzu, „spätestens nach Abschluss des behördlichen Verfahrens“ Mitteilung über verhängte Bußgelder zu machen – inklusive präziser Angaben über Zeitraum und beteiligte Unternehmen. Follow-on-Klägern soll die Arbeit erleichtert werden. Die höhere Transparenz wird dazu führen, dass mehr Geschädigte zeitnah zugreifen. Aber nicht nur das. Es ist ein Schritt zu einem offensiveren naming & shaming durch die Kartellbehörde. Die g’schamige Art, mit der in der Vergangenheit zuweilen Informationen über Kartellrechtsverstöße kommuniziert wurden, ist vorbei. Unternehmen werden sich auf verstärkte Nachfragen von Abnehmern, Aktionären und Presse gefasst machen müssen. Ich glaube, dass solche „soft powers“ manchmal wirkungsvoller sind als harte Sanktionen, die in jahrelangen Rechtsschlachten umstritten sind.
Und die dritte Norm? Mein Lieblingskandidat ist eine Vorschrift, die allgemein als bedeutungslose „Klarstellung“ abgetan wird. Nach § 18 Abs. 2a steht der Annahme eines Marktes künftig nicht entgegen, dass eine Leistung unentgeltlich erbracht wird. Damit wird die Auffassung des OLG Düsseldorf im HRS-Fall gesetzgeberisch revidiert. Die Kommission aber hat schon länger Märkte angenommen, wenn Angebot und Nachfrage sich trafen – unabhängig vom Entgelt. Soweit, so wenig spektakulär, sollte man meinen. Wirklich? Die Norm hat Potenzial. Zum einen sind die zahlreichen preisbezogenen Tools im Kartellrecht damit obsolet, vom SSNIP- bis zum as-efficient-competitor-Test. Zum anderen werden einige Fälle neue Impulse erhalten – TV-Zuschauermärkte, Kabeleinspeiseentgelte, Facebook, Abfallerfassung oder (ein altes Lieblingsthema von mir) Blutspenden. Und letztlich warte ich darauf, dass gegen einen der mit Gratis-Leistungen operierenden Digitalunternehmer einmal wegen Verkaufs unter Einstandspreis geklagt wird…
Apropos unentgeltlich: Der Trade-off für unentgeltliche Angebote ist meist, dass der Nutzer sein Augenmerk auf Werbung zu richten hat. So ist es auch hier: Bestellen Sie bitte rasch das Buch „Die 9. GWB-Novelle“ vor, das Christian Kersting und ich herausgeben, und in dem wunderbar zügige und starke Autorinnen und Autoren das neue GWB erläutern. Es erscheint in Kürze. Wer jetzt nicht vorbestellt, muss evtl. bis zur nächsten Novelle aussetzen. Das wäre bitter!
6 thoughts on “Die wichtigsten Normen der GWB-Novelle: 3 unwahrscheinliche Kandidaten”
Herzlichen Glückwunsch, lieber Rupprecht! Ein toller Auftakt. Euer Projekt verspricht die Lücke zu schließen, die der leider entschlafene KARTELLBLOG von J. Zöttl hinterlassen hat.
Ausgerechnet D’Kart! Da läge es nahe, mit Wü’W online zu gehen…