If I had a broadaxe…

If I had a broadaxe…

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Zitiervorschlag: Klumpe, DKartJ 2023, 86-88

In Düsseldorf veranstaltete die Studienvereinigung Kartellrecht einen Abend, an dem über Kartellschadensersatz diskutiert wurde. Dr. Gerhard Klumpe, einer der profiliertesten deutschen Kartellrichter, saß auf dem Podium. Hier schildert er seine Eindrücke von diesem Abend.

Treffen sich ein Anwalt, ein Wettbewerbsökonom und ein Richter an einem Stehtisch… wenn eine Geschichte so beginnt, folgt entweder ein Schenkelklopfer oder es handelt sich – mit der Zusatzinformation, dass es als abendfüllende Veranstaltung vor einem ausverkauften Saal stattfindet und in der Sache über Glaskugeln, Wahrsagerei, einen Hauch Voodoo und nicht zuletzt über den Einsatz einer Breitaxt gesprochen wird – um ein merkwürdiges Theaterstück oder noch wahrscheinlicher um ein Hollywood-C-Movie…

Tatsächlich beschreibt es aber die Szenerie, die sich den Teilnehmern des Treffens der Regionalgruppe Rheinland der Studienvereinigung Kartellrecht e. V. am Abend des 26.10.23 darbot, welche sich klugerweise dazu entschieden hatten, nicht der Verleihung der Juve-Awards in Frankfurt beizuwohnen, sondern sich das einigen Zündstoff versprechende Kammerspiel in den Düsseldorfer Hallen von Heuking Kühn Lüer Wojtek anzuschauen. 

Die Brisanz beruhte darauf, dass wettbewerbsökonomische Sachverständigengutachten zuletzt vor europäischen Gerichten gelinde gesagt Performanceprobleme hatten. So hatte der spanische Tribunal Supremo im LKW-Kartell kürzlich in 15 Entscheidungen die Vorinstanzen bestätigt, welche die dort vorgelegten Gutachten sowohl der Kläger- als auch der Beklagtenseite als nicht überzeugend oder ungeeignet bezeichnet und deshalb, oft auf Grundlage der bekannten Metastudien, den Kartellschaden selbst geschätzt hatten (vgl. zum Ganzen auch Bornemann/Suderow, NZKart 2023, 478, 480). Noch drastischer wurde die Kritik in der Entscheidung des Competition Appeal Tribunal(CAT), in der das Gericht die vorgelegten Gutachten nicht nur aufgrund von Lückenhaftigkeit und zahlreicher ungelöster Fragen für unbeachtlich hielt, sondern auch die Unabhängigkeit der Sachverständigen anzweifelte, weil sie in den wesentlichen (methodischen) Fragen durchgehend die für ihre Partei günstigere Position eingenommen hatten (vgl. Competition Appeal Tribunal, 7. 2. 2023 – [2023] CAT 6 – Royal Mail Group Ltd. v DAF Trucks Ltd.) und sich daher genötigt sah, mit der Breitaxt dreinzuschlagen, um den Overcharge im konkreten Fall zu bestimmen (vgl. instruktiv zum „broad axe“-Ansatz in Besprechung dieser Entscheidung Tolkmitt, ZwER 2023, 309, 314 f., 324 f., 326).

Sahen sich die Wettbewerbsökonomen also ohnehin schon vor der Abendveranstaltung einer Kritik ausgesetzt, wie sie sonst nur den Entscheidungen der Kartellkammer eines gewissen westfälischen Landgerichts zuteil wird, spitzte sich die Lage noch dadurch zu, dass kaum mehr als eine Stunde vor der Veranstaltung über die sozialen Medien die Kunde eines Hinweisbeschlusses des Kartellsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (B. v. 12.10.2023, 16 U 97/22 Kart, ECLI:DE:OLGSH:2023:1012.16U97.22KART.00) die Runde machte, den der dortige Senat nicht nur im Stile der soeben angesprochenen Kammer unmittelbar veröffentlicht hatte, sondern in dem er auch eine eigene Schadensschätzung kundtat, nachdem er zuvor die Unzulänglichkeiten der vorgelegten Gutachten herausstellte.

Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein

Damit war der Boden für eine vor Spannung knisternde Diskussionsrunde gelegt, in welcher die Moderatoren Dr. Anika Schürmann und Stephan Nagel stets auf dem Sprung waren, sollten sich am Stehtisch der Anwalt (Dr. Alex Petrasincu), der Wettbewerbsökonom (Dr. Frederick Wandschneider) und der Richter (der Autor dieser Zeilen hier) in die Haare geraten.

Wider Erwarten blieben die Diskutanten aber friedlich und analysierten vor dem sehr aufmerksamen Publikum zunächst die derzeitigen Kernprobleme bei der Erstellung von ökonometrischen Gutachten, ihrer Einbringung in den Prozess sowie ihrer Würdigung durch die Gerichte. 

Nicht wegzudiskutieren war, dass erhebliche Unterschiede in der Bewertung ein und desselben Sachverhalts durch verschiedene Gutachter zu verzeichnen sind, dass Ergebnisse – etwa am Beispiel der „bekannten Nullschäden“ bei langandauernden Kartellen – oft kontraintuitiv erscheinen und auch generell die Gerichte bisweilen ihre Lebenserfahrung höher als einen ökonometrischen Befund bewerten (instruktiv etwa OLG Düsseldorf, B. v. 23.8.2017 – VI-Kart 5/16 (V) –, Rn. 69, 75 – EDEKA/Tengelmann). Zudem wurde herausgearbeitet, dass es der Riege der Wettbewerbsökonomen an einheitlicher Zertifizierung mangelt und für die Gutachtenerstellung kein Goldstandard, etwa im Sinne der bekannten IDW-Verlautbarungen bei Wirtschaftsprüfern, existiert. Insoweit wurde ein breiter Konsens erzielt, dass Änderungen notwendig sind, oder mit den Worten des Wettbewerbsökonomen: „So wie es ist, darf es nicht bleiben.“

Außer Streit stand allerdings auch sehr schnell, dass auch auf Seiten der Anwälte und insbesondere der Gerichte eine Abkehr von bisherigen Vorgehensweisen notwendig ist, etwa durch die Ersparnis von Kosten dadurch, dass nicht der Ökonom Sachverhaltsermittlung betreiben muss oder dass Gerichte nicht mehr eine Schriftsatzrunde nach der anderen anstoßen oder doch zulassen, gepaart mit der Einbringung immer neuer, situationsangepasster Gutachten.

Generell richtete sich die Diskussion nun – unter starker Beteiligung des Auditoriums! – verstärkt auf die (nicht zuletzt prozessökonomische) Lösung der aufgeworfenen Aspekte. Dies umfasste nicht nur die Frage, ob und welche Abweichungen vom herkömmlichen Dreiklang Klägergutachten – Beklagtengutachten – Gerichtsgutachten möglich und mit der ZPO vereinbar sind (Hot Tubbing, ggf. mit einem nach § 144 ZPO „beratend“ hinzugezogenen Gerichtssachverständigen? Gerichtsgutachten mit Zielrichtung, die „Schwächen“ der Parteigutachten zu benennen und auf dieser Grundlage ohne völlige Neubegutachtung einen Overcharge zu ermitteln?), sondern einen ganzen Strauß weiterer Fragen, die nicht nur auf die Art und Weise der Einbringung ökonomischer Expertise, sondern auch auf die Gestaltung des Kartellschadensersatzprozesses insgesamt, sowohl de lege lata als auch de lege ferenda, zielten. 

Diskutiert wurden hier nicht nur bereits anderweitig in die literarische Diskussion eingebrachte Aspekte wie eine widerlegbare Schadenshöhenvermutung, Schaffung stärker spezialisierter Kartellgerichte a la CAT samt der Möglichkeit der Beteiligung von Ökonomen auf der Richterbank oder auch eher profane Aspekte wie Seitenzahlbegrenzungen für die einzubringenden Schriftsätze (vgl. zu vielen dieser Aspekte etwa Klumpe, WuW 2022, 462 ff., 569 ff.) sondern neben Joint Expert Statements und gerichtlichen Instruction Letters für die Gutachter auch kreative Ansätze wie Baseball Arbitration und die Auslagerung von Gerichtsgutachten an die Monopolkommission.

Deutlich wurde, dass alle Seiten letztlich Änderungen bzw. Reformen wünschen; der größte Konsens dürfte hier wohl im Hinblick auf die Notwendigkeit gewisser Umbauten am Gerichtssystem im Rahmen von Kartellschadensersatzprozessen sowie eine möglichst frühzeitige Beteiligung von Ökonomen auf Seiten des Gerichts erzielt worden sein.

Beim Aftershow-Bier/Wein/Softdrink/Wasser/Kamillentee wurde die Diskussion in spontan gebildeten Unterausschüssen weitergeführt; weitere Erkenntnisdurchbrüche wurden bislang zwar nicht berichtet, sind aber zweifellos erzielt worden (D‘Kart wird zu gegebener Zeit gewiss berichten…). Was schon jetzt festgehalten werden kann, ist aber, dass alle Beteiligten neue wertvolle Einblicke in die Denk- und Arbeitsweise sowie die daraus resultierenden Probleme der Mitspieler im Kartellprozess gewonnen haben dürften. Diesen Austausch gilt es daher zu intensivieren, damit die Beteiligten vertrauter mit dem Einsatz von Glaskugeln auf der einen und dem Zücken der Breitaxt auf der anderen Seite werden, bis vielleicht der Punkt kommt, an dem aufgrund gemeinsamer Anstrengungen ein neues Instrument (ein Mikroskop? Eine allwissende KI? Wer weiß…?!) an die Stelle dieser eher archaischen Werkzeuge tritt.

Den Weg dafür hat die Studienvereinigung, die mit dieser Veranstaltung ihrem Namen alle Ehre machte, jedenfalls bereitet.

Dr. Gerhard Klumpe ist Vorsitzender Richter am Landgericht Dortmund sowie Lehrbeauftragter an der Heinrich-Heine-Universität und Mitherausgeber der Neuen Zeitschrift für Kartellrecht. 

Der Titel des Beitrags beruht frei auf dem Song der Folkgruppe The Weavers (Pete Seeger/Lee Hays).

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