Conference Debriefing (38): Professorentagung

Conference Debriefing (38): Professorentagung

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Zitiervorschlag: Podszun, DKartJ 2023, 70-76

Welchen Platz hat die Ökonomie im Kartellrecht – und insbesondere im Missbrauchsrecht? Wenn diese Frage in Deutschland diskutiert wird, ist für gute Unterhaltung gesorgt. Das Bundeskartellamt, global nicht gerade für den more economic approach berüchtigt, lud die deutschsprachige Kartellrechtswelt zur Debatte. Die ganze Kartellrechtswelt? Nein, Anwältinnen und Anwälte und Unternehmensvertreter/innen blieben außen vor. Aber Rupprecht Podszun war dabei – und berichtet.

Name der Veranstaltung: Arbeitskreis Kartellrecht des Bundeskartellamts – da dieser Name Fragen aufwerfen könnte (das Amt braucht einen Arbeitskreis, um sich mit Kartellrecht zu befassen?) ist die Tagung informell als „Professorentagung“ bekannt – ein Name, der unverkennbar noch aus Zeiten stammt, als es noch keine Kartellrechtsprofessorinnen gab. Das hat sich zum Glück geändert.

Thema: „Leitlinien zu Artikel 102 AEUV – Neue Maßstäbe für die Missbrauchsaufsicht“ (Das Arbeitspapier des Amtes dazu ist hier abrufbar.)

Ort & Zeit: Haus der Evangelischen Kirche, Bonn, 28.9.2023

Gastgeber: Prof. Dr. Konrad Ost, Vizepräsident des Bundeskartellamts, mit Silke Hossenfelder, Leiterin der Grundsatzabteilung.

Publikum: Auf Platz 1 im Publikum sitzt Wolfgang Kirchhoff, der ja nicht nur Vorsitzender des Kartellsenats des BGH ist, sondern auch Präsident der Association of European Competition Law Judges. Daneben und danach verteilt sich bunt gemischt die Wettbewerbs-Community – ich saß zum Beispiel zwischen der Wiener Professorin Viktoria Robertson und meinem Düsseldorfer Ökonomie-Kollegen Paul Heidhues. Auch gesehen (so heißt es in der BUNTEN immer): Roger Zäch, der Grandseigneur des Schweizer Kartellrechts, Kirchhoff-Stellvertreterin Stefanie Roloff, Tabea Bauermeister, die in Regensburg eine Juniorprofessur für Bürgerliches Recht und Recht der algorithmen-basierten Wirtschaft hat, Ex-Generaldirektor Johannes Laitenberger (jetzt Richter am EuG), Unterabteilungsleiter Thomas Gaeckle vom BMWK, Marc Bataille, der neue Generalsekretär der Monopolkommission, und natürlich allerlei Kartellamtsprominenz, von Annette Bangard über Felix Engelsing bis Anne Bußmann.

Linsey McCallum (DG COMP), Konrad Ost & Silke Hossenfelder (BKartA), Heike Schweitzer (HU Berlin), Roman Inderst (Uni Frankfurt) (vlnr) – Foto: Bundeskartellamt

Es wurde im Haus der Evangelischen Kirche getagt? Ich meine in Erinnerung zu haben, dass die Locations mal spektakulärer waren!

Stimmt, aber im Hotel Königshof tagte schon die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung und in der Uni die Gesellschaft für Medienwissenschaften zum Thema „Abhängigkeiten“. Und im skandalumwitterten World Conference Center Bonn sind wahrscheinlich Leute mit kartellrechtlicher Expertise ungern gesehen. Der kirchliche Ort passte aber gut, denn die Frage, wie viel Ökonomie das Kartellrecht braucht, ist natürlich eine Glaubensfrage.

Wenn ich das theologisch betrachte, war Bonn ja nach dem Großen Schisma rund um die Prioritätenmitteilung zu Artikel 102 AEUV anno domini 2009 der Sitz der Gegenpäpste, oder? 

Wir haben ja im Haus der Evangelischen Kirche getagt, wo eine gewisse Meinungspluralität durchaus erwünscht ist. Synodalpräses Konrad Ost begann seine Einführung aber mit Verweis auf die USA, wo gerade die Reformation im Gange ist. Die neuen US-Draft Merger Guidelines seien jedenfalls „absolut revolutionär“ (so Ost), und entsprechend erbarmungslos werden die New Lutherans Brandeisians von der Gegenreformation kritisiert.

Merger Guidelines sind Fusionskontrolle. Wolltet ihr nicht über Missbrauch Guidelines sprechen?

Richtig. Aber die Tendenz ist klar: Weltweit schwingt das Pendel wieder in Richtung mehr enforcement und weniger Einzelfallökonomik. Auf die USA komme ich noch einmal zu sprechen, Andreas Mundt, der Präsident des Bundeskartellamts, ist nämlich verreist…

…und seit seinem berühmten Chiemsee-Urlaub wissen wir ja, was eine solche Reise bedeuten kann!

Genau, aber zunächst zu den Leitlinien zu Artikel 102 AEUV. Das Kartellamt hatte Linsey McCallum eingeladen, die ja vor wenigen Wochen auch bei uns in Düsseldorf beim Doktorandenseminar zu Gast war. Das Ziel der Europäischen Kommission ist es, 2025 Leitlinien zu Behinderungsmissbräuchen nach Art. 102 AEUV zu verabschieden. Ein erster Versuch, wir erinnern uns, war Anfang dieses Jahrtausends gescheitert, nicht zuletzt übrigens am starken Widerstand aus Deutschland. 

Ja, die deutschen Professoren hatten damals gerügt, dass man die Rechtssicherheit opfere!

Und genau so ist es im Prinzip auch gekommen, oder? Die Kommission musste jedenfalls damals ihre geplanten Leitlinien eindampfen und hat stattdessen 2009 ein Papier herausgebracht, in dem sie ihre Prioritäten beim Aufgreifen von Fällen beschrieb – in Wirklichkeit waren es aber verkappte Leitlinien, wie Luc Peeperkorn, einer der Mitautoren, jetzt in einer Stellungnahme auch noch einmal deutlich formulierte. Als man im Fall Intel meinte, die Ideen aus der Prioritätenmitteilung nicht nur beim Aufgreifen, sondern auch in der Fall-Prüfung durchexerzieren zu müssen, begann ein Martyrium, von dem sich die Kommission bis heute nicht erholt hat.

Jetzt übertreibst Du aber!

Nein, nein, nein, Intel ist längst als Sündenfall anerkannt. Da gab es einen recht einleuchtenden Fall, und die Kommission hat es geschafft, diesen so richtig ordentlich zu versemmeln. 2000 gab es die ersten Beschwerden gegen Intel, 2009 erging die Entscheidung, und bis heute haben die Gerichte nicht abschließend darüber entschieden. Eine 23-jährige Laufzeit dieses Falles samt seiner Wendungen, das ist das Scheitern des Kartellrechts. Die Fallpraxis seither irrlichtert in etwa so wie das Schiff des Paulus, bis es Malta erreicht (Apostelgeschichte 27). Heike Schweitzer von der HU Berlin hatte eindrückliche Statistiken mitgebracht, wie wenig Fälle die Kommission eigentlich im Missbrauchsbereich bearbeitet, wie ausführlich sie geworden sind und wie ewig das inzwischen dauert.

Bei der Professorentagung sind gar nicht nur Professoren dabei – hier im Bild zum Beispiel: Johannes Holzwarth (DG COMP), Gero Meessen (KOM – Legal Service), Roland Schwensfeier (BKartA) und, schließlich, Professor Mark-Oliver Mackenrodt (TU München) (vlnr).

Das hört sich an, als sei es für die Kommissionsvertreterin sehr ungemütlich geworden?

Jein, das Problem ist längst auch in Brüssel erkannt. Linsey McCallum sagte zum Beispiel, so etwas wie den As-efficient-competitor-Test in Intel werde man nicht mehr machen. Sie räumte sogar ein, dass der Policy Brief, das Auftaktschreiben zur geplanten Neuregelung, für Verwirrung gesorgt habe. Es soll einen „workable approach“ geben, möglicherweise mit einer „sliding scale“ von Kriterien und allemal verbotenen „naked restrictions“. Dann brach allerdings eine babylonische Sprachverwirrung aus.

Diese Bibelfestigkeit heute… ich muss mal sortieren: Babylonische Sprachverwirrung ist nicht das mit dem Reden in allen möglichen Zungen an Pfingsten, oder?

Nein, das Pfingstwunder steht dem Kartellrecht noch bevor, und vielleicht hat Heike Schweitzer dafür auch eine Kerze angezündet. Aber lass mich zunächst die Sprachverwirrung des Tages erklären. Linsey McCallum sagte, eines stehe unerschütterlich fest: „Consumer welfare remains the objective of competition policy“.

Das ist doch mal eine klare Ansage.

Ja, bis einer hinterfragt, was „consumer welfare“ überhaupt bedeutet. Abgesehen davon, dass auch die Begriffe „remains“, „objective“ und „competition policy“ auslegungsbedürftig sind. In meiner Fassung des AEUV steht übrigens von Verbraucherwohlfahrt als Ziel nichts in Artikel 102. In Artikel 3 EUV stehen alle möglichen Ziele, die die EU verfolgt. Und in der Entscheidung SEN des EuGH steht viel drin, aber nach meiner Lesart jedenfalls keine eindeutige Festlegung auf den Consumer Welfare Standard. Jörg-Philipp Terhechte von der Leuphana-Universität wies vehement darauf hin, dass es blauäugig sei, Missbrauchsrecht ohne Blick für die akute Gefährdung der Demokratie zu betreiben, und das sei bei Schaffung der europäischen Wettbewerbsordnung durchaus Thema gewesen. Die Rücksichtnahme auf die Demokratie scheint mir aber bei der Mehrheit meiner Kolleginnen und Kollegen genauso wenig mehrheitsfähig wie ein mit Nachhaltigkeitserwägungen aufgeladenes Missbrauchsrecht.

Also, Ihr Kartellrechtler meint, es sei eure Zuständigkeit, dass der Verbraucher zwei Cent weniger im Supermarkt zahlt, aber es sei abwegig, wenn man in Frage stellt, ob die Konsumwirtschaft nicht die Erde an den Abgrund bringe?

Nanana, Du wirst Dich doch wohl nicht vor dem Bundeskartellamt auf die Straße kleben? In der Bonner Kaiser-Friedrich-Straße ist das wegen Bauarbeiten gerade ohnehin sinnlos. Aber um Dir noch etwas Futter zu geben: Birgit Krueger präsentierte für das Amt u.a. den Lufthansa/Condor-Fall. Da hat sich das Bundeskartellamt dafür stark gemacht, dass die Lufthansa die Zubringerflüge innerhalb Deutschlands nicht streicht, damit die Urlauber mit Condor weiterhin bequem von Hamburg über Frankfurt in die Karibik fliegen können. 

Birgit Krueger

Könnten die nicht umweltfreundlicher die Bahn nehmen? Haha, war natürlich nur ein Scherz.

Die Bahn war übrigens auch Thema, nicht nur in den Kaffeepausengesprächen. Birgit Krueger hat in ihrer Beschlussabteilung nämlich auch den spannenden DB-Mobilitätsplattform-Fall verhandelt. Da geht es um die Frage, wem die Deutsche Bahn welche Daten zur Verfügung stellen muss. Google kriegt sie, aber Startups und Konkurrenten nicht.

Klingt nicht sehr fair.

Das Amt hat es untersagt, jetzt streitet man sich, wie auch mit der Lufthansa, vor Gericht, was – so Krueger – die Ressourcen lange Zeit bindet. Abgesehen von der Frage, ob das ein Missbrauch ist oder nicht, finde ich es bemerkenswert, dass ein Bundesunternehmen wie die Deutsche Bahn (Aufsichtsratschef: Werner Gatzer, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium) eine Bundesbehörde vor dem OLG Düsseldorf in einen kräftezehrenden Rechtsstreit verwickeln kann. Eigentlich wären da ja die Kolleginnen und Kollegen aus dem Staatsorganisationsrecht berufener als die Kartellsenate…

Zurück zum Thema, bitte! War denn niemand für den more economic approach?

Doch, der Wettbewerbsökonom Roman Inderst (Uni Frankfurt) sollte den Gospel der Ökonomie auf dem Podium singen, und dieser Rolle wurde er auch gerecht. Nach Konrad Osts Einführungstalk „the tide is turning“, nach dem Eingeständnis von Linsey McCallum, dass die Europäische Kommission mit dem more economic approach mehr oder weniger gescheitert ist, nach Heike Schweitzers eindrücklicher Kritik an Fällen wie Intel, überraschte aber die Tonlage. Inderst schien unbeeindruckt und blieb dabei: Der Consumer Welfare Standard is the one and only. Sein Plädoyer hatte viele gute und richtige Punkte, aber ich vermisste doch ein wenig die Reflektion über die Erfahrungen der letzten 20 Jahre.

Und kam er damit durch?

Es gab ein herrliches Scharmützel! Aber lass mich vorher noch kurz sagen, worum es Inderst geht: Er sagt, dass der Consumer Welfare Standard das einzige Programm ist, das klare, konsistente Metriken hergibt und also berechenbare Ergebnisse ermöglicht. Er möchte einen Ansatz in der Missbrauchskontrolle, der vorhersehbar ist – das leiste eben dieser Standard. Problem nur: Was dieser Standard genau ist (und wie abhängig er von allen möglichen Annahmen ist), ist hoch umstritten. McCallum zum Beispiel möchte Consumer Welfare „breit“ definieren. Die Verbraucherwohlfahrt schließe mindestens Preis, Qualität, Innovation und Auswahl ein. Fraglich, ob die Ökonomen dafür dann noch klare Metriken haben. Sogar Georg Götz (Uni Gießen), als meinungsstarker und standhafter Wettbewerbsökonom konferenzbekannt, wirkte defensiv und zitierte sicherheitshalber aus dem Buch von Massimo Motta, das er passend zum Tagungsort als „Bibel“ bezeichnete. Maik Wolf (Uni Erfurt) wies darauf hin, dass erst einmal Verbraucherleitbild und Prognosezeitraum geklärt werden müssten. Ökonom Oliver Budzinski (TU Ilmenau) fragte seinen Kollegen Inderst nach trade-offs, auch das Problem scheint ungelöst. Wenn man das im Einzelfall prüfen soll, wie es der effects-based approach nahelegt, ist es mit der Vorhersehbarkeit vorbei. Deshalb will McCallum auch keine Quantifizierung des Verbraucherschadens im Einzelfall. Das aber ist für viele Ökonomen der springende Punkt bei der Nutzung der Ökonomie.

Erzähl jetzt das Scharmützel!

Inderst sagte, um seinen Metriken-Punkt zu machen: „Ich will keine Bauchentscheidungen von Richtern!“ Diese Polemik wurde von Konrad Ost gekontert, der sagte: Nun gut, es wäre aber halt auch schön, wenn wir nach der Lektüre von ökonomischen Gutachten mal wüssten, was Sache ist. Dann stand Wolfgang Kirchhoff auf und hielt ein gesetztes Plädoyer gegen eine komplette Einzelfallanalyse und für Vermutungen und Erfahrungssätze. Die brauche es eben, weil man nicht in Fällen mit EUR 80.000 Streitwert erst ökonomische Gutachten einholen könne, die EUR 250.000 kosten. Inderst: Das Problem sind nicht die Gutachten, sondern dass die Richter die Gutachten nicht richtig lesen! Jetzt erhob sich Ulrich Egger, Vorsitzender des 6. Kartellsenats am OLG Düsseldorf, und mit seinem sonoren Bass sagte er etwas wie „Intel zeigt doch, dass es so nicht weitergeht“, aber es klang so wie „Jetzt ist aber auch mal gut.“

Prof. Dr. Wolfgang Kirchhoff, Vorsitzender des Kartellsenats des BGH

Gibt es denn keinen Ausweg?

Doch. Inderst selbst zum Beispiel schlug vor, dass Gutachten nur noch drei Seiten lang sein sollten: Annahmen, Konzept, Ergebnis. Ich selbst würde stärker am Verfahrensrecht schrauben und anerkennen, dass Entscheidungen immer nur prozessbedingte Annäherungen an das sind, was ein allwissender Richter Herkules entscheiden würde. Darin bestärkt mich, dass die Behördenvertreterinnen offenbar sehr am Verfahren leiden. McCallum und Krueger schilderten, wie sie mit Datenmaterial überschüttet werden, auf eine große Zahl von Anwältinnen und Anwälten treffen und mit Formalitäten kämpfen. Hier müsste vielleicht, auch mit Blick auf Befangenheitsanträge gegen Personen aus dem Amt wie im Lufthansa/Condor-Fall oder im unseligen 50+1-Verfahren, mal aufgeräumt werden. Nur dass das klar ist: Ich meine hier nicht eine einseitige Ermächtigung der Kartellbehörden, sondern einen Fokus auf smarte und faire Verfahrensführung.

Du hattest auch erwähnt, dass Heike Schweitzer vielleicht den Weg ins gelobte Land weist?

Sie plädierte für einen „principled approach“. Wir sollten uns vom Konzept der Fallgruppen lösen und stattdessen Prinzipien aufstellen. Mit den Prinzipien solle erkennbar werden, wann nur eine abgekürzte Auswirkungsanalyse erforderlich sei (wenn überhaupt). Schweitzer hatte drei erste Vorschläge für derartige Prinzipien im Gepäck, die aus meiner Sicht eine sehr sinnvolle Diskussionsgrundlage bilden.

Mal ehrlich: Braucht es für die paar Missbrauchsfälle in der EU überhaupt Leitlinien?

Berechtigte Frage, nicht zuletzt, weil sich die ökonomischen Phänomene und die wissenschaftlichen Erkenntnisse dauernd ändern. Der 2005-more-economic-approach ist ja auch daran gescheitert, dass er für die neuen Phänomene der Plattformökonomie, die uns in den Jahren danach marktbeherrschende Stellungen bescherte, wenig Guidance bereithielt. Ich vernahm es darum gern, dass McCallum davon sprach, die Anwendung „future-proof“ zu machen. Das würde allerdings voraussetzen, wie Paul Heidhues zutreffend erklärte, dass man Feedbackschleifen einbaut und ein lernendes System schafft. Heidhues sagte aber auch: Wir kommen ja nicht darum herum, irgendeine Art von Auswirkungsanalyse vorzunehmen.

Und jetzt?

Tristan Rohner hatte mir in seiner Dissertation über das Missbrauchsverbot schon das große Missverständnis erklärt: Ökonomen verstehen nicht, was Juristen machen – und umgekehrt. 

Justus Haucap vom Podcast „Bei Anruf Wettbewerb“ ist natürlich die große Ausnahme!

Aber hallo! Das Missverstehen wurde auch am Nachmittag noch einmal deutlich, als nach Kartoffel- und Kürbissuppe zwei Professoren aufs Podium kamen, die ich wirklich witzig und gewitzt finde, Ökonom Martin Peitz (Uni Mannheim) und Florian Wagner-von Papp (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg). Peitz kündigte an, dass Tests zur Selbstbevorzugung in der Entwicklung seien, die Teil des kartellbehördlichen Instrumentenkastens werden könnten. Schade nur, dass die Google Shopping-Entscheidung, für die das Instrumentarium gebraucht worden wäre, 2017 getroffen wurde. So wird das Instrumentarium bestenfalls für Art. 6 Abs. 5 DMA relevant, der aber gerade keine Auswirkungsanalyse im Einzelfall mehr vorsieht.

Nachmittagsrunde

Das Missbrauchsverbot war mal wieder Schrittmacher für Regulierung – diesmal den DMA.

Das sagte Wagner-von Papp auch. Ist vielleicht ja auch gar nicht schlimm, dass das Kartellrecht nicht alle Probleme lösen kann – wäre Regulierung nicht noch anfälliger für danebengehende Eingriffe und statische Festlegungen. Wagner-von Papps 33 Thesen, die er im Haus der Evangelischen Kirche auf Power Point-Folien genagelt hatte, brachte er mit dem schönen Zitat von Carveth Read auf den Punkt: „It is better to be vaguely right than exactly wrong.“

Ich merke, dass Dich das alles sehr gut unterhalten hat, aber was machen denn jetzt die Kartellbeamten in Bonn aus dieser Diskussion?

Es fiel in diesem Jahr ja Birgit Krueger zu, den Bericht aus der Fallpraxis zu geben. Dabei zeigten sich drei Dinge: Erstens ist in Fällen wie Lufthansa/Condor oder DB Mobilitätsplattform ganz viel implizite Ökonomie drin. Kartellrecht ist eben angewandte Wirtschaftstheorie. Zweitens springt dem flüchtigen Leser dieser Entscheidungen aber nicht gerade sehr viel ins Auge, was nach Ökonometrie, Quantifizierung von Verbraucherschäden, Regressionsanalyse oder AEC-Test aussieht. Die Ausführungen zur Missbräuchlichkeit sind eher qualitativer Natur. Da passt es, drittens, ins Bild, dass Birgit Krueger sagte: „Wir haben in beiden Fällen eine ganz gute Story“.

Moment mal, Rechtsanwendung als Storytelling?

Ich stutze da auch. Aber ich gehe mal davon aus, dass Storytelling hier mit Fakten unterlegt ist. Es geht wohl darum, die Geschichte für Gerichte plausibel zu machen. Wer jemals eine Jura-Klausur korrigiert hat, weiß, dass sich gute Klausuren dadurch auszeichnen, dass ein roter Faden erkennbar wird, dass eben eine gute Story erzählt wird…

Ich weiß nicht. Jetzt erzähl mal von der Reise, die Andreas Mundt getätigt hat!

Mundt kommt immer erst zum Ende der Veranstaltung, wenn in der bundespräsidialen Villa Hammerschmidt zum Empfang geladen wird.

Ach, Herr Mundt lädt dann in die feine Villa Hammerschmidt? Ist er da der Hausherr?

Nein, ist er nicht, was er auch gleich in seiner kleinen Begrüßungsrede betonte. Als ein etwas vorlauter Professor hereinrief, das könne ja noch werden, stockte Mundt kurz, und ich würde sagen: Ein glasklares Dementi seiner Ambitionen war das nicht!

Bundespräsident Mundt, hihi…

You read it first, here! President Mundt war gerade von der Fordham-Konferenz aus den USA zurückgekehrt, und es war ihm eine klammheimliche Freude anzumerken, dass in den USA Begriffe wie „structural“, „presumption“ und „underenforcement“ die Runde machen. Bei der Ascola-Konferenz in diesem Jahr hatte sich ja auch Herbert Hovenkamp für einen ans EU-Recht angelehnten Missbrauchstatbestand ausgesprochen. Das ist fürs US-Recht schon ein Beben. Aus Mundts Sicht haben die Deutschen Kurs gehalten. Die Häretiker sind die anderen. Er sagte aber auch, und damit sind wir wieder beim Storytelling, dass er mit Sorge beobachte, wie bestimmte Narrative in den USA verbreitet werden. Big Tech zum Beispiel finanziert Werbespots, in denen auf gruselige Weise davor gewarnt wird, das Paradies der digitalen Ökosysteme zu zerstören. „Das sehen die Richterinnen und Richter in den USA in Dauerschleife“, so Mundt. Puh. Der Rhein floss malerisch in der untergehenden Sonne am alten Bonner Regierungsviertel vorbei, Ökonomen und Juristen süffelten in trauter Eintracht Orangennektar, und im Bücherregal der Villa schlummerte Gablers Wirtschaftslexikon (II. Auflage) neben Karl Rahners „Grundkurs des Glaubens“. Take me down to the paradise city!

Repräsentatives Bücherregal im Bundespräsidialamt (Bonn)

Prof. Dr. Rupprecht Podszun ist einer der Direktoren des Instituts für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er hat mit Dr. Tristan Rohner eine Stellungnahme zum Call for Evidence der Europäischen Kommission verfasst, die hier bei SSRN abrufbar ist. In Concurrences 3/2023 ein Editorial von ihm zum Thema erschienen.

Transparenzhinweis: Wir haben nach Veröffentlichung einige Kleinigkeiten korrigiert.

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