Conference Debriefing (36): EU Competition Conference

Conference Debriefing (36): EU Competition Conference

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Zitiervorschlag: Kirk/Bongartz, DKartJ 2023, 33

Es gibt zwei Arten von Besuchern in Brüssel: Die einen verbringen den Donnerstagabend auf dem Plux, staunen beim Blick des strahlend erleuchteten Grand-Place und kehren heim mit Schlafmangel und belgischen Pralinen im Gepäck. Die anderen tummeln sich auf Konferenzen, lauschen andächtig den Gedanken der Größen der Kartellrecht-Community und träumen auf dem Rückweg in den roten Polstern des Hogwarts-Express Thalys vom more economic approach. Die Autoren dieses Beitrags verbanden in 26 Stunden Brüssel beides. Alexander Kirk und Philipp Bongartz schildern ihre Highlights der EU Competition Conference.

Gastgeber: CMS und das Institut für Kartellrecht der HHU
Wo: SQUARE Conference Centre (Brüssel)
Wann: 11. Mai 2023

30 Sekunden Ruhm mit Andreas Mundt

Nachdem die letzte Konferenz 2021 virtuell stattfand, war dieses Jahr das Who is who des europäischen Wettbewerbsrechts in persona in Brüssel. Dabei durfte natürlich Andreas Mundt nicht fehlen, der Präsident des Bundeskartellamts. Woran man erkennt, dass Mundt ein VIP-Gast ist, erklärte Co-Gastgeber Michael Bauer (CMS) zu Beginn: Andere Gäste rühmten sich, mit ihm im Aufzug gefahren zu sein. (Ob Olivier Guersent damit geprahlt hat, dass er im Fahrstuhl neben uns stand, wissen wir nicht.)

Im Interview mit Bauer und Annemieke Hazelhoff (CMS) sprach Mundt über die Regulierungsdichte in Deutschland und Europa, also die wachsende Fülle an neuen Verordnungen, Gesetzen, Leitlinien und anderen Mitteilungen der Kommission. Mundt erklärte dies damit, dass in einer sich schnell ändernden Welt viele Regeln angepasst werden müssen (wenn ihm auch nicht jede Änderung zwingend erschien). 

Ein Schwerpunkt des Interviews lag auf dem Thema Nachhaltigkeitsvereinbarungen, die in den neu entworfenen Horizontalleitlinien der Kommission ein viel beachtetes Kapitel einnehmen – und auf der Konferenz noch in einem eigenen Panel von Daniela Esposito (Akzo Nobel) und Dirk Middelschulte (Unilever) diskutiert wurden.

Mundt behalf sich angesichts der Schwierigkeiten, Wettbewerb und Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen, mit einer Fußballwahrheit: „das Runde muss ins Eckige“. Hierfür diskutiere man intern, mit der Bundesregierung und auf Konferenzen („if anyone of you has a better idea“) verschiedene Ansätze – auf Basis eines „Menüs“ an Vorschlägen, das Wissenschaftler:innen der HHU vor Kurzem präsentiert haben. Den besten Beitrag des BKartA – eigene Guidelines seien nicht geplant, höchstens ein die Fallpraxis zusammenfassendes Paper – sieht Mundt darin, Fälle zu entscheiden: „We want cases!“ In Bezug auf Nachhaltigkeitsvereinbarungen ermutigte er kooperationswillige Unternehmen zum Dialog mit der Wettbewerbsbehörde: Ein Großteil enthalte bereits keine Wettbewerbsbeschränkung oder Probleme ließen sich im Rahmen des Aufgreifermessens lösen.

Mundt bezog auch Stellung zur 11. GWB-Novelle, insbesondere der geplanten Sektoruntersuchung mit missbrauchsunabhängigen Abhilfen. Denkbar sei die Anwendung dieses „New Competition Tools“ in vielen Märkten mit hoher Konzentration. Schon aufgrund des langwierigen Verfahrens handle es sich aber nicht um ein Instrument, um kurzfristige Benzinpreissenkungen herbeizuregulieren. Für einen exemplarischen Fall, in dem eine missbrauchsunabhängige Abhilfe geboten war, verwies Mundt auf die britischen Flughäfen: Nachdem die britische Wettbewerbsbehörde diesen im Jahr 2009 mangelnden Wettbewerb bescheinigt hatte, musste die Heathrow Airport Holdings (damals: BAA) die Flughäfen Gatwick, Edinburgh und Stansted veräußern. Die Bilanz der CMA fiel positiv aus: mehr Passagiere, geringere Preise, besserer Service. Über schlechten Service beschwerte sich Mundt übrigens in Bezug auf eine Plattform, über die er einen Flug reserviert und später umgebucht hatte. Wer weiß, wie das HRS-Verfahren seinen Anfang nahm, kann sich die Schweißperlen von der Stirn wischen: Einen Anlass für eine Sektoruntersuchung gebe es nicht.

Das Netz weit ausgeworfen

…hat Guillaume Loriot, höchster Beamter des europäischen Fusionsreaktors und stellvertretender Generaldirektor der DG COMP. Im Interview mit den Anwälten Christoff Soltau und Dieter Zandler (CMS) sprach er über den 2021 erlassenen Leitfaden der Kommission zur Anwendung des Verweisungssystems nach Art. 22 FKVO. Im Wesentlichen regt die Kommission an, dass mitgliedstaatliche Wettbewerbsbehörden (NCAs) an sie auch Zusammenschlüsse verweisen, die nicht die nationalen Aufgreifschwellen erfüllen. Im Anwendungsfall Illumina/Grail (2022) gab das EuG der neuen Praxis seinen Segen. Loriot verteidigte die neue Handhabe des Verweisungssystems: Damit bezweckt und erreicht worden sei mehr Flexibilität bei der Fusionskontrolle. Geplante Zusammenschlüsse (2022: ca. 20 Vorhaben) kämen durch Verweisungen der NCAs, Beschwerden oder die Parteien selbst zur Aufmerksamkeit der Kommission. Die Mehrheit der Verfahren ließe sich in informellen Gesprächen lösen, ohne dass es einer Anmeldung bedürfe. Auf Nachfrage, ob es unter den NCAs auch Widerstände gegen die neue Praxis gebe, betonte Loriot, dass der Leitfaden für die Behörden nur eine Möglichkeit, jedoch keine Verpflichtung schaffe.

Im Gespräch über die EU-Fusionskontrolle ging es auch um das Verfahren Towercast. In der Entscheidung des laufenden Jahres hat der EuGH entschieden, dass Art. 102 AEUV eine ex post-Kontrolle von Zusammenschlüssen ermöglicht. Zwar hatte das Gericht diese Ansicht vor 50 Jahren schon einmal geäußert. In der Zwischenzeit wurden allerdings Fusionskontrollsysteme in der EU und allen Mitgliedstaaten außer Luxemburg eingeführt. Gefragt, ob er nun eine Durchsetzungswelle der NCAs erwarte, zeigte sich Loriot gelassen: Das Verfahren zeige die Sensibilität des EuGH für Durchsetzungslücken, wie sie auch bei den Behörden und dem Gesetzgeber vorhanden sei (Stichwort: Art. 14 DMA). Die nachträgliche Kontrolle von Zusammenschlüssen sei aber nur ein Sicherheitsnetz – die Priorität liege weiterhin auf dem formalisierten ex ante-System.

Chabos wissen, wer der Babo ist

Loriots Chef Olivier Guersent, Generaldirektor der DG COMP, wurde von Rupprecht Podszun (HHU) und Dirk Van Liedekerke (CMS) vernommen. Auf die höfliche Eingangsfrage „How are you?“ schüttete Guersent sein Herz aus: Er und seine Mitarbeiter:innen seien müde und erschöpft, gute Leute hätten Burn-outs, die Krisen würden an DG COMP zehren. Dann ging es aber für Guersent auch schon wieder im Galopp durch das Wettbewerbsrecht: In den Pandemiejahren wurde anscheinend jeder ins State Aid-Team zurückbeordert, der schon einmal einen Frappuccino bei Starbucks bestellt hat oder mit der Lufthansa geflogen ist, es ging an die grundlegenden Fragen („competition is not a goal, but a tool“) und – oder einschließlich? – die Revision der Horizontalleitlinien.

Von dort war der Sprung nicht weit zum zwanzigjährigen Jubiläum der VO (EG) 1/2003. Als die große Innovation der VO pries Guersent das System der Selbstveranlagung („never get back to notification“). Für die bevorstehende Revision der Kartellverfahrensverordnung wünscht er sich, dass es gegen die Zurückweisung von Beschwerden keinen Rechtsschutz mehr gibt. Beschwerden selbst hieß er zwar ausdrücklich willkommen, da sie ein wesentlicher Anstoß für neue Verfahren seien. Ein erheblicher Teil seines Personals sei aber damit beschäftigt, Beschwerdeführern zu erklären, warum sich die Kommission nicht darum kümmern mag, ob ein Judoka an Olympia teilnehmen dürfe.


Natürlich vergeht kein Kartellrechts-Regulierungs-Talk ohne eine Frage zum Digital Markets Act (DMA). Marc van der Woude, Präsident des EuG, hatte zuletzt mitgeteilt, er rechne mit einer „wave of litigation“ zum DMA. Guersent hat daran keinen Zweifel: Anwälte liebten es, neue Rechtsakte zu testen – warum solle es beim DMA anders sein? Umso mehr sei damit zu rechnen, weil schon vermeintlich einfache Fragen streitbar seien, z.B. was ein zentraler Plattformdienst ist.


In eigener Sache: DMA Lunch Talk (online)

Rupprecht Podszun hat mit einem großartigen Team von Autorinnen und Autoren einen 686 Seiten starken Kommentar zum DMA vorgelegt – erschienen als Nomos-Handkommentar. Anlässlich des Erscheinens organisieren wir einen DMA Lunch Talk & Book Launch:

23. Mai 2023, 12.15 Uhr-13.15 Uhr: DMA – State of Play

Mit dabei sind Thomas Kramler vom DMA-Team der Europäischen Kommission, Andreas Schwab (Rapporteur zum DMA im EU-Parlament) und Sophie Gappa aus dem Bundeswirtschaftsministerium – sowie die meisten Autorinnen und Autoren des Kommentars.

Infos unter https://www.jura.hhu.de/dozenten/podszun/digitalrecht, einwählen ganz einfach über https://tinyurl.com/DMALunch!


Für den Umgang der (europäischen) Gerichte mit dem DMA hatte Guersent übrigens noch einen seltenen Rat der Exekutive parat: „A good way not to get paralyzed is to reject quickly!“

The new kid on the block

Der DMA bekam natürlich auch ein eigenes Panel – schließlich gilt er seit wenigen Tagen (2. Mai). In der mit Sophie Gappa (BMWK), Gerhard Klumpe (LG Dortmund) und Carel Maske (Microsoft) besetzten und von Björn Herbers und Szabolcs Szendro (CMS) moderierten Runde herrschte wenig Flitterwochen-Atmosphäre: „The DMA is like a marriage. First, you are happy when it is concluded but then the real work starts.” (Gappa)

Klumpe warnte davor, zu viel Hoffnung auf die DMA-Durchsetzung vor Gerichten zu setzen. (Maske nickte bestätigend.) Gappa konterte, dass es einfacher sei, einen Katalog von Dos und Don’ts umzusetzen als die generelle „Be good“-Anforderung des Art. 102 AEUV. Wir meinen: Es bringt nichts, Auslegungsschwierigkeit „künstlich herbeizufabulieren“. Lasst uns das tun, wofür (wir) Jurist:innen ausgebildet wurden: Gesetze auslegen. 

Maske verriet am Ende noch, dass Microsoft (wohl) Gatekeeper aufgrund von mindestens zwei zentralen Plattformdiensten wird: Neben dem Windows-Betriebssystem – quelle surprise! – reiße auch Bing die Schwellen. Er nahm es mit Humor: „Bing – that search engine that you should be using but only use to find Google.“

Let’s wrap it up

Der Platz und die Geduld der Leser:innen sind zu knapp bemessen, als dass wir hier jede der spannenden Diskussionen en detail nacherzählen könnten, daher wechseln wir jetzt in den Urteilsstil: 

Miguel Pérez (AB InBev), Aleksandra Boutin (Positive Competition, Ex-Kommission) und Carlos Vérgez (CMS) diskutierten unter Moderation von Malgorzata Urbanska (CMS) intensiv über die neuen Kommissions-Richtlinien zu vertikalen Beschränkungen. Dabei standen weniger die tatsächlichen Inhalte in der Kritik, sondern mehr, dass die Richtlinien nicht die gravierenden Änderungen im Markt und im Case Law widerspiegeln würden.

In drei „focus sessions“ ging es um private enforcement, die Foreign Subsidies Regulation und die Investitionskontrolle. In der letzten saß u.a. Kai Neuhaus (CMS), der den ganzen Tag über humoristisch-eloquent durch die Veranstaltung führte. Bei der privaten Kartellrechtsdurchsetzung – diskutiert mit Christian Kersting (HHU) – sorgte Avantika Chowdhury (Oxera) für ein denkwürdiges Zitat: „As an economist I have an issue with [legal] presumptions – it is just arbitrary“. 

Das war eine Steilvorlage für das letzte Panel, in dem es zwischen Ökonominnen und Juristen hoch her ging: Diskutiert wurde der neue Aufschlag der EU-Kommission zu Art. 102 AEUV, zu dem es nun endlich Leitlinien geben soll (nachdem dieses Vorhaben einst gescheitert war und nur die sogenannten Enforcement Priorities übriggeblieben waren). Damien Gerard (Belgische Wettbewerbsbehörde), der aus einer Towercast-Hearing zum Panel hetzte, Simone Kohnz (ECA Economics) und Co-Gastgeber Rupprecht Podszun (HHU) stritten um die Deutungshoheit über das Kartellrecht: Welche Rolle soll die Ökonomie in der Einzelfall-Betrachtung von Missbrauchsfällen haben? Mit dem gewieften Moderator Brian Sher (CMS) wurde es noch einmal richtig emotional – to be continued. (Die Position von Podszun und Tristan Rohner zur Art. 102-Konsultation lässt sich übrigens hier nachlesen.) 

Das krönende Finale fand in einer beeindruckenden Location statt: In (!) dem BELvue Museum unmittelbar am/im Königspalast gab es bei phänomenalem Blick Sekt Champagnerempfang und Dinner. Dabei sprach Mr. DMA himself Andreas Schwab (der auch beim DMA Lunch Talk am 23.5.2023 dabei sein wird) über das Verhältnis von Regulierung und Wettbewerb in der Union. Was danach auf dem Plux passierte, bleibt auf dem Plux. Wir freuen uns auf die nächste Aufzugfahrt in Brüssel!

Prof. Podszun (r.) und sein Team, darunter Philipp Bongartz und Alexander Kirk (3. u. 4. v. l.).

Alexander Kirk und Philipp Bongartz sind Wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Sie haben auch am Kommentar zum Digital Markets Act mitgearbeitet. Die Fotos stammen von CMS und den Autoren. Nicht vergessen: 23.5.2023, 12.15 Uhr Brussels time: DMA Lunch Talk, online über https://tinyurl.com/DMALunch!

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