Würzburg Winter School 2021 – Debriefing

Würzburg Winter School 2021 – Debriefing

Mit internationalem Flair gab es „digitales Kartellrecht“ pur als Hauptgang und Würzburger Wein als Nachspeise – Doktorand Florian Heimann erlebte bei der Würzburger Winter School 2021 ein besonderes Doktorandenseminar.

„Do not read it all“. Ein Aufruf weniger zu lesen? Wann bekommt man als Nachwuchswissenschaftler schon einmal solch einen Tipp von einem Hochschullehrer? Dies war nur einer von vielen bemerkenswerten Aspekten eines außergewöhnlichen Doktorandenseminars an der Universität Würzburg. Dort empfingen Florian Bien und Toker Doganoglu ihre Kollegen David Bosco, Eckart Bueren, Frédéric Marty und Rupprecht Podszun sowie eine Reihe von renommierten Kartellrechtspraktikern. Anlass war der viertägige französisch-deutsche Modul Course zu „Digitization and Competition Policy“, organisiert von den Universitäten Würzburg, Aix-Marseille und Nizza. Neunundzwanzig Doktorand:innen diskutierten über die Frage, was an der Aufspaltung von GAFAM dran ist, welche Vorteile das Kartellamt in dem neuen § 19a GWB sieht und was die Kommission bei der Untersuchung des „Internet of Things“ Entscheidendes herausfand. On top gab es Würzburger Sehenswürdigkeiten, guten Wein und News aus Luxemburg.

Zum Programm: hier

Tag 1: „Breaking up“ GAFAM?

Zum ersten Kennenlernen fand man sich zum gemeinsamen Frühstück zusammen. Immerhin sollte die Würzburger Winter School auch dem interkulturellen Austausch zwischen deutschen und französischen Doktorand:innen dienen. Während der Filterkaffee leider (noch!) keine Überzeugungsarbeit leisten konnte, punktete neben dem fachlichen Austausch insbesondere das attraktive Rahmenprogramm in Würzburg! Da gab es auch mal „12 Points for Germany from France“


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Schon bei der Einführung zeigte sich der interdisziplinäre Ansatz der Winter School: Florian Bien und Toker Doganoglu leiteten diese mit einem gemeinsamen Vortrag aus juristischer und ökonomischer Perspektive zum Thema „Why are digital markets different?“ ein. Zur weiteren Einstimmung gab Habilitand Björn Becker einen Kurzüberblick über das wichtigste kartellrechtliche Case Law aus jüngster Zeit und einen Ausblick auf die kommenden Vorträge.

Florian Bien moderiert einen Doktorandenvortrag

Über die US-amerikanischen Erfahrungen im Umgang mit Digitalgiganten sprach Eckart Bueren von der Universität Göttingen. Es ging dabei um das aus den USA kommende „New Brandeis Movement“ als Gegenstück zur Chicago School, um die aktuellsten Regulierungsvorhaben etwa betreffend Gatekeeper, die jenen in Deutschland und der EU sehr ähnlich erscheinen und Massenklagen gegen BigTech. Besonders hervor stach in jüngster Zeit die in den USA angedrohte Zerschlagung von GAFAM, die insbesondere von Massachusetts-Senatorin Elizabeth Warren vehement gefordert wurde und weltweit große Aufmerksamkeit erregte. „Was aber kommt nach Facebook und Google, wenn wir sie zerschlagen?“, fragte Eckart Bueren. Passenderweise im Hörsaal „Peking“ gab er selbst die Antwort: Falls westliche Internetgiganten zerschlagen werden, stoßen schnell andere digitale Player in diese Lücke. Vermutlich solche aus dem asiatischen Raum, deren Standards bzgl. Datenschutz, Verbraucherschutz und Schutz der Privatsphäre (insbesondere auch gegen staatliche Eingriffe) deutlich geringer sind als westliche. A need for Western competition policy?

Show what you got, lovely Würzburg!

Nun zum wirklich wichtigen Teil Rahmenprogramm des Seminars. Nach dem Mittagessen ging es zur Besichtigung der Universität Würzburg, die mit ihrer Gründung im Jahre 1402 die zu den ersten deutschsprachigen Universitäten gehört! Großzügig wurden alle Teilnehmer:innen am ersten Abend zum „Welcome Dinner“ in das Bürgerspital Weinstuben eingeladen (an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Universität Aix-Marseille für die großzügige Einladung!). Ausnahmslos alle Teilnehmer ließen sich von dem geschmackvollen Interior, dem herausragenden Essen und dem wohl schmeckenden Würzburger Wein überzeugen. Nach anonymer Umfrage ein gelungener Abschluss des ersten Tages!

Die Würzburger Residenz mit ihrem opulenten Residenzgarten links; das Bürgerspital rechts

Tag 2: Die international Perspektive auf digitale Märkte 

Auch wenn man „kein Chauvinist“ sei, lohne sich ein Blick in das französische Kartellrecht wie David Bosco mit einem Schmunzeln feststellte, weil alle aktuellen Fragen betreffend digitale Plattformen auch dort eine große Rolle spielen, wenngleich die Ergebnisse aber teilweise anders als in anderen Jurisdiktionen ausfallen. Seine Analyse der kartellrechtlichen Entwicklungen in Frankreich zeigte, dass nach den Jahren 2000-2020, in denen Konsumentenwohlfahrt, the more economic approach und soft enforcement durch Zusagenentscheidungen eine große Rolle spielten, die französische Kartellbehörde ihren Kurs hin zu einem hard and fast enforcement auf der Basis eines Per-se-Approaches korrigierte. Beispiel gefällig? Während Booking.com im Jahr 2015 noch mit einer Verpflichtungszusage davon kam, erhielten Google und Apple jüngst Geldbußen in Höhe von 150 Mio. € und 220 Mio. € sowie 1,1 Mrd. €. So, have a look!

Da wurde auch der ein oder andere Experte selbst zum Fan…

Panel mit internationalen Hochkarätern! Es ging um DMA und DSA, das derzeit die kartellrechtlichen Gazetten beherrschende Thema. Seit Macron ankündigte, die digitale Novelle während der französischen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2022 zügig verabschieden zu wollen, laufen die juristischen Wettbüros heiß, ob er dieses ambitionierte Versprechen am Ende wirklich halten können wird. Während die Teilnehmer:innen die europäische Führungsrolle im Umgang mit Digitalplattformen prinzipiell lobten, bemängelten sie hingegen die im DMA-Entwurf weitestgehend fehlenden Regelungen zur Fusionskontrolle. Wenig überraschend wurde insbesondere das Konkurrenzverhältnis von DMA zu nationalen Regelungen kontrovers diskutiert. Als Vorbild für Verbesserungen des DMA könnte den Teilnehmern zufolge gerade die 10. GWB-Novelle dienen. Das Panel war im Sinne der Winter School interdisziplinär besetzt. Mit dabei waren Frédéric Marty (Prof., Ökonom, Nizza), Alessandra Tonazzi (Direktorin, italienische Wettbewerbsbehörde), Simonetta Vezzoso (Prof., Juristin, Trento), Chiara Caccinelli (Ökonomin, Paris) und Alexandre de Streel (Prof., Jurist, Namur).

Tag 3: Gedanken einer deutschen Wettbewerbsbehörde… 

Besonders freuen durften sich die Doktoranden über ein paar Insights aus dem Bundeskartellamt. Christian Stempel und Hannah Standtke (beides Jurist:innen) berichteten über den derzeitigen Stand der Reform der VBER (dt. Vertikal-GVO). Dabei kamen die geplanten Änderungen, beispielsweise bei Paritätsklauseln, Beschränkungen des Online-Handels und der Doppelbepreisung zur Sprache. Im Einklang mit der Ansicht des Kartellamts habe sich hinsichtlich des Blacklisting vertikaler Preisbindungen in der aktuellen Reform nichts geändert. Über etwas anderes war man „nicht ganz so glücklich“: Man werde die Kommission doch dringend bitten, eine neue Überprüfung deutlich früher als erst nach 12 Jahren anzuregen. Word!…

Bei Sebastian Wismer (Ökonom und Ex-Würzburger Doktorand) stand anschließend § 19a GWB im Fokus. Damit sei man jetzt „faster“ als mit den alten Missbrauchsregelungen und besser in der Lage, der Dynamik der digitalen Märkte begegnen zu können. Kern einer heißen Diskussion war die „Aktivierungslösung“ des § 19a im Vergleich mit einer ex-ante-Regulierung, wie sie der DMA vorsieht. Die „deutsche“ Variante führe zu hoher Rechtssicherheit für die Unternehmen, so Wismer. Die Compliance mit dem Regelkatalog müsse von den Unternehmen nicht im Self-Assessment geprüft werden, sondern werde durch eine individuelle Untersagungsentscheidung festgestellt. Diese könne jedoch auch „frühzeitig“ erfolgen, ohne dass es erst eines spezifischen Wettbewerbsverhaltens seitens der Digitalplattformen bedarf. Durch den DMA will man sich nicht im Wirkungsbereich beschnitten wissen und hofft vielmehr auf eine aktive Rolle auch bei dessen Durchsetzung!

Zum Meet & Greet zugeschaltet war Konrad Ost. Der Kartellamtsvize ließ es sich auch nicht nehmen – ganz nebenbei – auf die Vorzüge eines Berufseinstiegs beim Bundeskartellamt hinzuweisen 😉

Florian Bien (und die Teilnehmer) im Austausch mit Konrad Ost

„Do not read it all!“ Das war die Antwort von Rupprecht Podszun von der Universität Düsseldorf auf die große Frage, wie Nachwuchswissenschaftler mit der Fülle an Informationen umgehen sollen, die in reformträchtigen Zeiten wie diesen auf sie einprasseln. Da kann man schon mal den Überblick verlieren und sich erschlagen fühlen von der schieren Masse an neuem Stoff. Es gehe nicht darum, alle Reformen und Details derart zu durchdringen, dass man auch auf entlegenstem Gebiet ein Experte oder eine Expertin würde. Das funktioniere wohl auch gar nicht. Man solle sich vielmehr auf dasjenige konzentrieren, das für die eigene Forschung relevant ist. Häufig lägen auch die Lösungen für die neuartigen Probleme in der Tiefe der unverändert gebliebenen Prinzipien des Kartellrechts.

Rahmenprogramm: In und unter der Würzburger Residenz finden sich große Schätze!

Alle Teilnehmer:innen kamen in den Genuss, die wunderschöne Würzburger Residenz einmal von innen zu besichtigen. Obwohl Führungen nicht angeboten wurden, konnte lehrstuhlintern ein adäquater Ersatz gefunden werden. Abends gab es eine deutsch-französischsprachige Führung durch den eindrucksvollen staatlichen Hofkeller unterhalb der Residenz mit anschließendem Wine-Tasting und obligatorischem Snack.

Eindrucksvolle Skulpturen und ein gigantisches Tiepolo-Fresko innerhalb sowie riesige alte Gewölbekeller unterhalb der Würzburger Residenz. Ein Besuch lohnt sich!

Tag 4: Europäische Grüße

Grüße aus Brüssel brachte Bastian Voell von der Generaldirektion Wettbewerb, der über die Sektor-Untersuchung zum„Internet of things for consumers“ sprach. Was das ist, illustrierte er augenzwinkernd mit dem Beispiel eines Kühlschranks der Zukunft mit Sprachassistenten, der nicht nur eigenständig verbrauchte Lebensmittel nachbestellt, sondern auch den Besitzer auf anstehende Termine hinweist, auf Anfrage Emails laut vorliest und die Karaokeversion von Shallow spielt. Dabei stellte die Kommission fest, dass die entscheidende Rolle in Zukunft wohl weniger den Smart-Home-Geräten selbst, als vielmehr den Sprachassistenten zukommen wird. Die Geräte sind alle mit unterschiedlicher Software ausgestattet. Besitzt man mehrere von unterschiedlichen Herstellern, so benötigt man einen Mittler. Wer kann so etwas? Richtig, der Voice Assistant! Über diesen lassen sich dann die so wichtigen Daten (vor allem im privaten Umfeld) in großen Mengen sammeln. Ein Paradies für BigTech!

Aus Luxemburg grüßte in diesen Tagen auch das EuG mit der Verkündung seines Urteils in Sachen Google Shopping, in dem es die Einschätzung der Kommission zur Missbräuchlichkeit von Self-Preferencing in diesem Fall bestätigte. Frédéric Marty sprach über die ökonomischen Auswirkungen von selbstbevorzugendem Verhalten und kam – wie das EuG – zur Einschätzung, dass Self-Preferencing nicht stets negative Auswirkungen auf den Wettbewerb haben müsse.

Zum Abschluss einige Highlights der vielen hervorragenden Doktorandenvorträge…

Julia Reimer (Ökonomin, Würzburg) stellte ein gemeinsam mit Toker Doganoglu entwickeltes Modell vor, das zeigt, weshalb sich Produktnachahmungen derzeit lohnen und Verbote nicht der beste Weg sind, um Imitationen zu vermeiden.

Anna Chiara Bergomi (Juristin, Mailand) präsentierte ihre Forschung zum Facebook-Fall des BKartA vor, der auf D’Kart sogar eine eigene Rubrik erhalten hat.

Schließlich widmete sich Jeanne Mouton (Ökonomin, Nizza) dem spannenden Thema des Private Enforcement im Social-Media-Bereich und den Vorurteilen der dortigen Nutzer.

Fazit: Der Würzburger Kartellrechtsstandort um die Lehrstühle von Florian Bien und Toker Doganoglu ist um ein spannendes Format reicher. Alle Teilnehmer:innen empfanden die Würzburger Winter School nach eigener Aussage fachlich und persönlich, insbesondere den für Doktorandenseminare seltenen interdisziplinären und interkulturellen Austausch, als sehr bereichernd. Eine Re-Einladung nach Aix-Marseille für März 2022 ist auch schon hereingeflattert.

In Zukunft gerne mehr hiervon!

Florian Heimann ist Akademischer Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl von Prof. Dr. Florian Bien an der Universität Würzburg.

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3 Gedanken zu „Würzburg Winter School 2021 – Debriefing

  1. Leider konnten von den vielen herausragenden Beiträgen aufgrund des Umfangs eines Blogpost nur einige wenige dargestellt werden…

    Es hätte noch viele weitere Highlights gegeben! Ich denke da natürlich an Dr. Ines Bodenstein (Thema: DMA), Fryderyk Hoffmann (Merger Remedies in Digital Markets) und die vieeeleen spannenden Doktorandenvorträge.

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