Conference Debriefing (4): Was kann und was soll die Missbrauchsaufsicht?

Conference Debriefing (4): Was kann und was soll die Missbrauchsaufsicht?

Einmal im Jahr lädt das Bundeskartellamt nach Bonn ein, um mit dem sog. „Arbeitskreis Kartellrecht“ ein brennendes Thema zu diskutieren. Das Treffen ist traditionell als „Professorentagung“ bekannt, obwohl auch allerlei andere illustre Persönlichkeiten vor Ort sind. Was derzeit brennt: Das Missbrauchsrecht. Rupprecht Podszun berichtet.

 

Konferenzname: Tagung des Arbeitskreises Kartellrecht

Ort: Ein sehr nettes Hotel mit Rheinblick aus dem Tagungssaal, und zwar ein anderes als in den letzten Jahren. Lang lebe der Hotelwettbewerb!

Gastgeber: Das Bundeskartellamt lädt ein. Keine Sponsoren. Traditionell moderiert der Vizepräsident, also Konrad Ost. Andreas Mundt kommt dann immer erst zum abschließenden Empfang in der Villa Hammerschmidt dazu.

Teilnehmer: Die gesamte Community des Kartellrechts. Die gesamte? Nein, ohne Anwältinnen und Anwälte. Wir lieben unsere kartellrechtliche Anwaltschaft ja, aber ohne geht auch mal. Und so saßen, schön nach Alphabet, die Professoren, Richter und Kartellbeamten zusammen, von Juliane Ader (Landeskartellbehörde NRW) bis Daniel Zimmer (Uni Bonn). Traditionell sorgt der meinungsstarke Markus C. Kerber mit einem Wortbeitrag für Aufsehen, während die Richterinnen und Richter von OLG Düsseldorf und BGH eher schweigen und – genießen.

 

Missbrauchsaufsicht ist also das wichtigste Thema? Wegen Intel?

You name it. Florian Bien von der Uni Würzburg analysierte zum Auftakt die EuGH-Entscheidung zu Intel und machte klar: Erforderlich ist eine „Analyse aller Umstände“ – wenn auch nicht zwingend im Rahmen eines as efficient competitor-Tests. Das ist natürlich paradox: Just in dem Moment, in dem die Kommission wieder aktiver werden will in Sachen Missbräuche, siehe Google, entdeckt der EuGH die Ökonomie, die eben jener EuGH jahrelang gebremst hatte, und von der man sich still und heimlich seitens der Kartellbehörden schon wieder etwas verabschieden will.

Mein Mitleid ist der Kommission gewiss, aber hier tagte ja das Bundeskartellamt.

Das Amt hat sich in CTS Eventim ja schon entschieden, wie weit Intel reicht. Nicht so weit, nach Auffassung des Amtes, a. A. Bien, der es für alle Exklusivitätsbindungen für anwendbar hält. Ich persönlich mag die CTS Eventim-Entscheidung übrigens. Zum einen wird das GWB mustergültig einmal für die digitale Ökonomie durchdekliniert. Und zum anderen geht es mir wie bei Intel auch: Wenn das kein Missbrauch ist, was dann?

Bei Missbrauch und Konferenzen im Allgemeinen und bei Professoren im Besonderen denke ich ja zuerst an den Missbrauch der Redezeit durch Überziehung und Geschwafel.

Spar dir deine billige Polemik gegen Professoren, das ist soooo 2005. Diesmal waren jedenfalls alle sehr diszipliniert und durchweg spannend. Auf dem Podium (siehe Titelbild) saß neben Bien und dem immer wieder launig kommentierenden Konrad Ost und seiner Grundsatzabteilungsleiterin Birgit Krueger sowie Gunnar Wolf von der DG COMP eine Riege von Top-Ökonomen: Ulrich Schwalbe, Justus Haucap und Achim Wambach. Haucap allerdings war als Vertreter der Jura-Professorin Heike Schweitzer gekommen.

Warum auch nicht, er ist ja der beste Kartellrechtler der Heinrich-Heine-Universität!

Wer wollte da widersprechen! Er hat jedenfalls die Studie vorgestellt, die wir hier schon besprochen haben. Das ist ja eine Art Blaupause fürs GWB10. Der interessanteste Beitrag zur nächsten Novelle kam aber aus dem Publikum.

Gewiss von dir.

Natürlich nicht. Sondern von dem, den es angeht: Thorsten Käseberg, Referatsleiter im Bundeswirtschaftsministerium. Er hat von Armin Jungbluth quasi den Titel „Mr. GWB“ übernommen. Und er pickte für das versammelte Publikum sieben Punkte heraus, die ihn besonders interessieren. Offenbar sind das die Punkte, bei denen sein Referat eine Anpassung des deutschen Kartellrechts für wahrscheinlicher hält als bei anderen.

Die glorreichen 7! Schieß los!

Erstens: Streichung des KMU-Bezugs in § 20 Abs. 1 GWB. Zweitens: Eigenes Beispiel für einen Missbrauchstatbestand des wettbewerbsschädigenden Tippings. Drittens: Intermediationsmacht als eigene Aufgreifschwelle (statt Marktbeherrschung) für Missbräuche. Viertens: Eigener Tatbestand für Verlustpreisstrategien von Plattformen. Fünftens: Verbot des Aufkaufs von Startups als Teil einer Marktabschottungsstrategie.

Stopppp! Ich hab schon Schnappatmung! Und das waren erst fünf!

Du kannst dir vorstellen, was da im Saal los war.

Volksaufstand?

Nein. Gespannte Stille. Man hörte die Stifte übers Papier resp. das Surface fliegen. Die ersten Aufsätze zu diesen Punkten sind wahrscheinlich schon in Arbeit. Ob die Kolleginnen und Kollegen das verreißen oder feiern, ist noch offen, scheint mir. In den Kaffeepausen wurde zum Teil noch einmal sehr grundsätzlich diskutiert, was Missbrauchskontrolle kann und soll. Befeuert wurde das durch die weiteren Referate von Ulrich Schwalbe und Achim Wambach, die mit gesundem Ökonomenverstand (vulgo: juristentauglich) die digitale Ökonomie sezierten. Wambach stellte klar, dass sich mit der Etablierung der Theorie der mehrseitigen Märkte eine robuste ökonomische Analyse eines in Qualität und Quantität neuen Phänomens herausgebildet hat. Jean Tirole hat also zu Recht den Nobelpreis für seine Arbeiten erhalten, denn merke: Ein wirtschaftliches Phänomen ist erst dann wahr, wenn es auch in eine ökonomische Theorie eingefasst werden kann.

Wenn wir über die Reform des Missbrauchsrechts sprechen, sprechen wir also vor allem über digitale Plattformen?

Im Prinzip ja. Noch genauer: Über Google, Amazon, Facebook und Apple. Gunnar Wolf von der DG COMP stellte passend dazu den Android-Fall vor, von dem Konrad Ost meinte, er sei enthusiastisch oder euphorisch begrüßt worden – den genauen Wortlaut kann ich in meinen Notizen nicht mehr entziffern. Aber vielleicht kommt es auf den genauen Unterschied zwischen Enthusiasmus und Euphorie ja auch gar nicht an. Der Android-Fall hat jedenfalls geradezu alles, was uns derzeit bewegt. Die Beispielsfälle aus dem Kartellamt allerdings waren keine GAFA-Fälle, sondern eben der Ticketing-Fall CTS Eventim sowie die Lufthansa-Preise nach der AirBerlin-Pleite. Allgemein muss man natürlich schon sagen, dass es um verdammt wenige Fälle geht. Komplexe Verfahren wie Google oder Intel ermutigen auch nicht gerade dazu, das Missbrauchsrecht als wichtigste Säule der Wirtschaftsordnung anzusehen. Ost brachte es auf den Punkt: „Selbst wenn der EuGH irgendwann rechtskräftig die Intel-Entscheidung bestätigt, gilt: Operation gelungen, Patient tot“. Die Kartellbehörden machen zwei bis drei Fälle pro Jahr (die dann auch mal Jahre dauern). Im private enforcement: Völlige Fehlanzeige. Wer will als Klägerin schon Marktmacht nachweisen oder gar den AEC-Test antreten? Eine Ordnung der digitalen Ökonomie über Art. 102 AEUV sehe ich vor meinem geistigen Auge deshalb nicht.

Es fehlen ja noch zwei der Gesetzgeberpunkte! Dann ist einer wahrscheinlich, wie man das Verfahren beschleunigen oder erleichtern kann.

Nein. Dieser Punkt schien immer mal wieder auf, wurde aber merkwürdigerweise nicht vertieft. Die zwei übrigen Punkte liegen doch auf der Hand: Braucht es eine Regelung für „essential access to data“? Und brauchen wir eine eigene kartellrechtliche Regelung für Daten in Wertschöpfungsnetzwerken, also wenn mehrere an Daten arbeiten? Es bleibt dabei: Daten – Plattformen – Algorithmen sind der bezaubernde Grundakkord in der neuen Symphonie eines Kartellrechts in GWB-dur…

Au backe. Gab es Alkohol?

Weiß ich gar nicht so genau, aber es gab genug Substanz für einen wissenschaftlichen Rauschzustand. Ausnahmslos interessante Referate, ein Thema, das alle Kartellrechtler bewegt und darüber die große Frage, ob Wettbewerb und Wettbewerbspolitik in ein paar Jahren noch das sind, was sie lange waren – die Triebfeder unseres marktwirtschaftlichen Erfolgs.

 

Kann man mal sagen: „Einen Tod muss man sterben.“ (Ulrich Schwalbe auf die Frage, ob mit schnelleren Eingriffen nicht ein Verlust an Rechtssicherheit einhergehe)

Sollte man eher nicht sagen: „Wir können doch mit den vorhandenen Regeln eigentlich alles machen.“

Blick in die Villa Hammerschmidt
Traditionell empfängt der Bundespräsident, pardon, Bundeskartellamtspräsident zum Abschluss in der Villa Hammerschmidt.

 

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