Conference Debriefing (35): FIW-Symposium Innsbruck

Conference Debriefing (35): FIW-Symposium Innsbruck

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Zitiervorschlag: Haucap, DKartJ 2023, 7-10

Wer nicht Teil der Kartellrechtsfamilie in der DACH-Region ist, wird mit der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck sicher primär die Alpen und den Wintersport verbinden und vielleicht auch an die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion denken, dessen Protagonist, Major Cliff Allister McLane, von Dietmar Schönherr, einem der prominenten Söhne der Stadt Innsbruck verkörpert wurde. Freundinnen und Freunde das Kartellrechts und der Wettbewerbsökonomie hingegen denken sofort an das jährliche Symposion des Forschungsinstituts für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb (kurz: FIW), das vom 22. bis 24. Februar 2023 schon zum 56. Mal stattfand und traditionell an Aschermittwoch startet, wenn auch die nicht völlig unbedeutende Kartellrechtsszene aus dem Rheinland wieder bei Sinnen ist. Prof. Dr. Justus Haucap war vor Ort und berichtet.

Nach zweijähriger Pause (genau, wegen Corona) trafen sich jetzt 120 Rechtswissenschaftler, Ökonomen, Anwälte, Enforcer und Industrievertreter, um im Hotel Grauer Bär über aktuelle Fragen des Kartellrechts zu diskutieren oder zu klagen, je nach Façon.  Wer war denn da oder worum ging es genau? Wer eine nüchterne Übersicht bevorzugt, klicke bitte hier. Wer sich hingegen eine subjektiv gefärbte, stark verzerrte Schilderung antun möchte, kann weiterlesen. Achtung: ich bin auch (noch) Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des FIW – die verzerrte Darstellung ist also garantiert. Doch nun zur Sache, liebe Leserinnen und Leser.

Die Behörden-Chefs

Den informellen Auftakt machte Mittwochabend die hochgeschätzte Interims-Generaldirektorin der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB), Dr. Natalie Harsdorf-Borsch. Beim Empfang auf Einladung der BWB wies sie Andreas Mundt darauf hin, dass die BWB die Sektoruntersuchung zum Großhandel mit Mineralöl in nur drei Monaten abgeschlossen habe. Aber dass man den Gästen einen einschenkt ist als Gastgeberin natürlich in Ordnung. Gut gefallen hat mir auch ihre Anmerkung zu gerichtlichen Fehlurteilen, dass in diesen Fällen das Gericht nun rechtssicher geirrt hätten.

Formell machte Andreas Mundet den Auftakt am Donnerstagmorgen und sprach über „aktuelle Entwicklungen der Kartellrechtspraxis des Bundeskartellamtes“. Der Präsident des Amtes betonte zunächst, dass trotz DMA § 19a GWB seine Bedeutung behalten werde. Für den Bereich der Kartellverfolgung wies Mundt darauf hin, dass weltweit – mit der bemerkenswerten Ausnahme Österreichs – Kronzeugenanträge rückläufig seien. Das Amt verfolge daher bei der Kartellverfolgung nun eine Doppelstrategie. Zum einen gebe es ein intensiveres Screening von Märkten durch das Amt, um die Wahrscheinlichkeit der Kartellaufdeckung zu steigern, zum anderen sprach sich Mundt für eine Privilegierung bis hin zur Freistellung von Kronzeugen bei Schadensersatzansprüchen im Innenverhältnis zu den anderen Kartellanten aus.

Im Bereich der Fusionskontrolle wies der Präsident darauf hin, dass er als „Jurist aus Deutschland“ mit der Interpretation des Artikels 22 der EU-Fusionskontrollverordnung durch die Europäische Kommission durchaus seine Probleme habe. Wie durch den Verweis einer Fusion durch eine nicht zuständige Wettbewerbsbehörde an eine andere nicht zuständige Wettbewerbsbehörde eine Zuständigkeit entstehen könne, erschließe sich ihm bislang nicht. Mundt stellte auch die Frage, wohin das Bundeskartellamt selbst in der Zukunft wolle. Er stehe zwar weiteren Erweiterungen des Bundeskartellamtes – das ist nun nicht wirklich überraschend – aufgeschlossen gegenüber, doch mache er sich durchaus auch Sorge um den „Markenkern“ des Amtes, wenn dem Amt immer weitere Aufgaben übertragen würden.

Fusionskontrolle außerhalb der Schwellenwerte

Im anschließenden Panel diskutierten die schon erwähnte Natalie Harsdorf-Borsch (BWB), Konrad Ost (Vizepräsident des Bundeskartellamtes) und Birthe Panhans (GD Wettbewerb) unter der Leitung meines Kollegen im FIW-Beirat, Torsten Körber (Uni Köln), über „Fusionskontrolle außerhalb der Schwellenwerte“. Die kommissarische Generaldirektorin der BWB präsentierte – vielleicht noch beeindruckt vom Treffen akademischer Wettbewerbsökonomen in der BWB in der Vorwoche – zahlreiche Zahlen. Seit 2015 habe es 14 Anträge nach Art. 22 FKVO in der EU gegeben. Die BWB sei dabei EU-weit Spitzenreiterin mit vier Erstanträgen (bei insgesamt 14 Anträgen). Zudem habe die BWB sich drei weiteren Anträgen angeschlossen, sei also in die Hälfte aller Fälle involviert gewesen. Das Bundeskartellamt habe drei Erstanträge gestellt, Frankreich und Spanien je 2 und Finnland, Dänemark und Großbritannien jeweils einen. Zudem verwies (passendes Wort in diesem Kontext) Harsdorf-Borsch auf den gemeinsamen Leitfaden von BWB und Bundeskartellamt zu Transaktionswert-Schwellen. Von November 2017 bis Dezember 2022 habe es in Österreich 121 Fusionsvorhaben gegeben, die aufgrund der Transaktionswertschwelle angemeldet wurden. Das sind in jedem Jahr deutlich weniger als 10 Prozent der angemeldeten Fusionen. Knapp die Hälfte entfalle auf digitale Märkte und die Gesundheitsbranche.

Mit Ausnahme von zwei Fällen (Meta/Giphy und eine dann zurückgezogene Transaktion) wurden alle dieser Anmeldungen in Phase I freigegeben. In Bezug auf Artikel 22 FKVO beabsichtige die BWB allerdings an der bisherigen Praxis festzuhalten, nur Fälle nach Artikel 22 FKVO an die Kommission zu verweisen, wenn auch eine nationale Anmeldepflicht in Österreich bestehe. Ganz ähnlich sah das Konrad Ost, der Vizepräsident des Bundeskartellamtes. Birthe Panhans (EU Kommission) hingegen verwies auf die Notwendigkeit, potenzielle Killer-Akquisitionen besser kontrollieren zu können. Sie verwies auf den diesbezüglichen Leitfaden der Kommission und insbesondere Textziffer 19 des Leitfadens, wo Indikatoren aufgezählt werden, die herangezogen werden, um zu beurteilen, ob eine Kille-Akquisition vorliegen könnte. Namentlich nannte Panhans den Transaktionswert als einen Indikator (unter vielen), das innovationsgeschehen sowie den Zugang zu wettbewerbsrelevanten Assets (wie etwa Daten). Bisher sei nur ein Fall von 35 geprüften Fusionsvorhaben intensiver geprüft worden.

Wettbewerbspolitik in den nächsten 10 Jahren

Nach der Mittagspause hatte ich meinen Auftritt und durfte über (einige) „Herausforderungen für die Wettbewerbspolitik in den nächsten 10 Jahren“ sprechen, konkret über digitale Märkte, Nachhaltigkeit und Arbeitsmärkte. Im Bereich der digitalen Märkte ist mein Plädoyer, mit einer etwaigen Verschärfung der Fusionskontrolle zu warten, bis wir mehr Klarheit darüber haben, welche Wirkung die nun deutlich verbesserte Missbrauchskontrolle (speziell durch DMA, §§ 19a und 20 GWB) entfaltet. Prinzipiell scheint mir die deutlich aufgerüstete Verhaltenskontrolle besser geeignet zu sein, möglichen Missbrauch von Marktmacht zu unterbinden. Für Wettbewerbsbehörden dürfte es zumindest auf digitalen Märkten kaum möglich sein, Killer-Akquisitionen ex ante oder selbst ex post verlässlich zu identifizieren. Das kontrafaktische Szenario ist dazu viel zu unklar. Besser gelingt dies aufgrund der vergleichsweise langen Forschungspipeline in der Pharmabranche oder der Agrochemie. Aber dort kann dies heute auch ohne Verschärfung der Fusionskontrolle adressiert werden, etwa durch die Einführung des Schwellenwertes für Transaktionswerte in Deutschland und Österreich.

Zudem äußerte ich mich skeptisch dazu, den Wettbewerbsbehörden immer weitere Ziele aufzugeben, wie Nachhaltigkeit oder Arbeitsmarktziele. Letzteres beginnt sich gerade in den USA abzuzeichnen, wo lebhaft diskutiert wird, ob in Fusionskontrollverfahren auch Arbeitsmarktbelange wie etwa die Entlohnung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer berücksichtigt werden sollen.

Die 11. GWB-Novelle

Endlich ging es dann auch ganz direkt um die 11. GWB-Novelle. Jürgen Kühling (Monopolkommission, Uni Regensburg) stritt mit Torsten Körber, der für den kurzfristig verhinderten Stefan Thomas (Tübingen) einsprang, über „Wettbewerbsstörung als neuen Parameter für strukturelle Eingriffe durch die Wettbewerbsaufsicht“. Beiden gemein war das Anliegen, Verbesserungen gegenüber dem aktuellen Referentenentwurf herbeizuführen. Während der Vorsitzende der Monopolkommission die Rolle seiner Kommission gestärkt sehen wollte (und dazu immer wieder lobend das 58. Sondergutachten der Kommission zum damaligen Brüderle-Entwurf lobte – hat mir natürlich hervorragend gefallen 😉) und zudem auf Kompensation pochte, sprach sich Torsten Körber für grundlegendere Änderungen aus, wie etwa die Einführung des aus §11 TKG bekannten „Drei-Kriterien-Tests“ und eine genauere und engere Definition des Begriffs der Wettbewerbsstörung, damit das GWB nicht zu einem Wettbewerbsverwaltungsgesetz werde. Thorsten Käseberg vom BMWK durfte dann das Podium stürmen und sich als dritter Referent zu den beiden Kollegen gesellen. Gegenüber einer verbesserten Kompensation zeigte er sich offen, nicht aber für die Einführung des „Drei-Kriterien-Tests“, der hier konzeptionell aus seiner Sicht nicht passe.

Reisebegleitung des Bundeskanzlers

Eigentlich sollte am Freitagmorgen – nach ausschweifendem Dinner im Kaisersaal des Stiftskellers (siehe Titeloto oben) – Martina Merz, die Vorstandsvorsitzende der thyssenkrupp AG, sprechen. Sie musste sich jedoch kurzfristig von Group General Counsel Sebastian Lochen vertreten lassen, um mit Kanzler Scholz auf Auslandsreise zu gehen. Letzteres passte eigentlich gut zum Thema ihres Vortrags, der vor allem auf die neuen globalen Herausforderungen durch China, aber auch die USA (Stichwort: Inflation Reduction Act) einging. Hier wiederum kann ich ja nicht anders als auf unsere Podcast-Folge mit der hochgeschätzten Kollegin Katharina Erhardt hinzuweisen (wobei allein ihr Nachname allen Freundinnen und Freunden des Wettbewerbs Anreiz zum Reinhören sein müsste!)

Kartellschadensersatz beim BGH

Schweifen wir nicht ab. Weiter ging es mit Wolfgang Kirchhoff, bekanntermaßen Vorsitzender Richter am BGH, der zur aktuellen Rechtsprechung des Kartellsenats ausführte. Konkret ging es um zwei Urteile zum Kartellschadensersatz (Urteil vom 28.6.2022, KZR 46/20 – Stahl-Strahlmittel und Urteil vom 29.11.2022, KZR 42/20 – Schlecker) sowie einen Beschluss vom 27.9.2022 (KZB 75/21 – Kartellrecht im Schiedsverfahren). Im Urteil Stahl-Strahlmittel geht es um die Frage, ob einer Käuferin ein Kartellschaden entstanden sein kann, wenn sie nicht direkt bei Kartellanten gekauft hat, sondern bei einem Tochterunternehmen eines Kartellbeteiligten. Wie Kirchhoff erklärte, ist es aufgrund möglicher Preisschirmeffekte ausreichend, dass Waren erworben wurden, die Gegenstand der Kartellabsprache waren – allemal, wenn die Verkäuferin Tochter eines Kartellbeteiligten war. Der Umstand, dass die gezahlten Preise und Preisbestandteile (Schrottzuschlag, Energieaufschlag) unter den Kartellpreisen lagen, reiche nicht aus, einen kartellbedingten Preiseffekt auszuschließen, denn ohne Kartell hätten sich ggf. noch bessere Preise aushandeln lassen.

Im Fall Schlecker führte Kirchhoff aus, dass „bei Weitergabe geheimer Informationen eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass Marktverhalten der Kartellbeteiligten nicht dem hypothetischen Marktverhalten entspricht“. Weiter: „Betreffen die geheimen Informationen Preissetzungsverhalten, liegen die nach Informationsaustausch erzielten Preise sehr wahrscheinlich im Schnitt über denjenigen, die sich sonst gebildet hätten.“ Für Ökonomen besonders relevante Mitteilung: „Methodische Fehler und fehlerhafte Tatsachenermittlung in Parteigutachten rechtfertigen nicht ohne Weiteres, Antrag auf Einholung einer solchen Regressionsanalyse abzulehnen oder von deren Einholung von Amts wegen abzusehen“. Anders als Christian Lindner es wohl sagen würde gilt also für Kartellgeschädigte: Schlechte Gutachten sind wohl immer noch besser als gar kein Gutachten.

In der Frage der kartellrechtlichen Kontrolle von Schiedssprüchen schließlich machte Kirchhoff unmissverständlich klar, dass – trotz teilweise geäußerter Kritik – es keine Rechtsordnung hinnehmen könne, wenn Verstöße gegen ihre grundlegendsten Normen (und dazu zählt er insbesondere §§ 19, 20, 21 GWB) durch ihre eigenen Gerichte bestätigt würden. Daher sei eine Überprüfung von Schiedssprüchen in der Sache erforderlich.

Georg Böttcher (Siemens), Frank Montag (Freshfields), Andrea Lohse (Uni Bochum), Andreas Fuchs (Uni Osnabrück), Konrad Ost (Bundeskartellamt) (v.l.n.r.).

Das Ende fand das Innsbrucker Symposion mit Berichten aus drei Arbeitsgruppen des FIW zum Wettbewerbspolitischen Leitbild (Berichterstatter Justus Herrlinger, DLA Piper UK), zu Kriterien für Wettbewerbsbeschränkungen (Berichterstatter Georg Böttcher, Siemens AG) und Nachhaltigkeit und Kartellrecht (Berichterstatter Georg Götz, Justus-Liebig-Universität Gießen). Dazu aber mehr demnächst auf den Internetseiten des FIW direkt.

Prof. Dr. Justus Haucap ist Direktor des Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Das Foto zeigt unseren Autor am VIP-Tisch: Linke Seite (von vorn nach hinten): Konrad Ost, Horst Satzky, Wolfgang Kirchhoff, Jürgen Kühling, Sebastian Lochen. Rechte Seite (von vorn nach hinten): Iris Plöger, Arndt Kirchhoff, Justus Haucap, Wolfgang Kopf, Torsten Körber.

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