SSNIPpets (31): Albrecht Leyenheart

SSNIPpets (31): Albrecht Leyenheart

Die Europäische Kommission hat zum ersten Mal eine Präsidentin – mit einer für Kartellrechtler aufregenden Familiengeschichte. Das ist aber nur eine Nachricht unter viel zu vielen in dieser Woche. Es scheint auf die Sommerpause zuzugehen, die Stapel werden abgearbeitet. Rupprecht Podszun hat die Nachrichten gesichtet, hier sind seine SSNIPpets – small but significant news, information and pleasantries – unser pet project!


Daddy Cool

Hans von der Groeben, 1966

Die Europäische Kommission hat eine neue Chefin. Dass Ursula von der Leyen 1958 in Brüssel geboren wurde, hat sie hinlänglich bekannt gemacht. Manchmal schien es ja fast, als sei das ihre wichtigste Qualifikation… Für uns viel spannender ist, warum sie in Brüssel zur Welt kam. Ihr Vater Ernst Albrecht, später Ministerpräsident von Niedersachsen, war damals, im Gründungsjahr der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 28 Jahre alt. Er wurde mit der Gründung der Europäischen Kommission Kabinettschef von Hans von der Groeben, dem ersten Wettbewerbskommissar, und Albrecht blieb das bis 1967, bevor er (als Nachfolger des nicht minder legendären Pieter verLoren van Themaat) zum Generaldirektor für Wettbewerb aufstieg. 1970 wurde er in die Niederungen der niedersächsischen Politik berufen (und arbeitete parallel als stellvertretender Geschäftsführer für Bahlsen – Karrieren gibt’s!). Ab da verliert sich seine Spur in der Wettbewerbsgeschichte etwas. Zuvor allerdings hat er solche hinterlassen – und ist Teil einer Mini-Kontroverse.

Wenn man die (viel zu seltenen) Berichte zur Geschichte des europäischen Kartellrechts durchstöbert, stößt man immer wieder auf Ernst Albrecht. So schreibt etwa die Historikerin Katja Seidel in einem lesenswerten Beitrag über DG IV, wie einst die Wettbewerbsdirektion heißt:

„Together with Commissioner von der Groeben and his cabinet these officials [young and inexperienced, sanguine men working for the Commission] set off to develop a European competition policy. Initially, von der Groeben, VerLoren van Themaat and Ernst Albrecht, von der Groeben’s chef de cabinet, were most influential in formulating the basic ideas of the Commission’s competition policy.“ (in Kaiser/Leucht/Rasmussen, The History of the European Union: Origins of a trans- and supranational polity 1950-72, Routledge 2009, p. 129, 135). 

Ernst Albrecht, 1960

Ökonom Albrecht hatte bei Fritz W. Meyer über Haftung in der Montanunion promoviert. Meyer war Schüler von Eucken und avancierte zu einem berühmten Freiburger Ordoliberalen. Ernst-Joachim Mestmäcker wird auch häufig in diesem Zusammenhang genannt, er beriet DG IV damals. Von der Groeben, Albrecht, Mestmäcker – ein ordoliberales Netzwerk, das die europäische Wettbewerbspolitik prägte, und der Vater der neuen Kommissionspräsidentin mittendrin.

Vielleicht war es auch ganz anders. Es gibt nämlich Stimmen, die den ordoliberalen Gründungsspirit rund um dieses Netzwerk als „widely exaggerated myth“ abtun (so wie diese Autoren behaupten). Es geht um die Deutungshoheit: Ist das europäische Kartellrecht historisch einem ordoliberalen Ansatz verpflichtet? Das könnte immerhin noch in heutige Auslegungsfragen weiterwirken. For the time being schlage ich vor, dass wir ganz pragmatisch mit Blick auf die Ausrichtung der nächsten Kommission die zentrale Rolle von Ernst Albrecht betonen und Frau von der Leyen gelegentlich an ihren Vater, das ordoliberale Erbe und die Bedeutung der Wettbewerbspolitik erinnern.


Apropos Personalien…

Dass Johannes Laitenberger, der aktuelle Nachfolger von Ernst Albrecht, ans Europäische Gericht wechselt, hatten wir ja bereits vermeldet. Aber auch ein anderer prominenter Jurist bleibt uns erhalten: Nils Wahl, dessen Mandat als Generalanwalt bereits geendet hat, sehen wir ab Oktober als Richter am Europäischen Gerichtshof wieder. Alle, die den „more economic approach“ und also Nils Wahl lieben, erhalten eine neue Chance, ihre Ideen durchzusetzen.

Nils Wahl
Nils Wahl bei einem Vortrag in Düsseldorf.

Auch nicht ganz unbekannt auf der europäischen Bühne ist Pierre Régibeau, der von einer ökonomischen Beratungsagentur aus die Seiten wechselt und ab September Chefökonom der Kommission wird. Sein Vorgänger Tommaso Valetti wird vermisst werden, nicht zuletzt wegen seiner unglaublich witzigen Tweets. Und da man seinen Nachfolger gar nicht lustiger begrüßen kann, als es Valetti getan hat, verweisen wir an dieser Stelle einfach auf den entsprechenden Eintrag


Amazon Double

Derweil tut die Kommission das, was man kurz vor dem Ziel eben macht: Sie legt einen kräftigen Endspurt hin. Gegen Amazon wurde ein Verfahren eröffnet wegen der Nutzung von Transaktionsdaten, just nachdem das Bundeskartellamt ein Verfahren – nach „Einlenken“ durch Amazon – eingestellt hatte. In beiden Verfahren geht es um die AGB, die Amazon gegenüber den Händlern stellt, die über Amazon Marketplace verkaufen (und damit auch Wettbewerber von Amazon selbst sind).

Über das Bonner Verfahren wissen wir nur aus dem Fallbericht Bescheid, und da man sich mit Amazon geeinigt hat, fehlt eine richtige rechtliche Grundlage. Das mag für Amazon beruhigend sein, es wird nicht einmal Marktmacht formal festgestellt, geschweige denn sonst etwas, worauf sich Follow-on-Klagen vernünftig stützen ließen. Für Dogmatiker ist das unbefriedigend. Das ist aber wohl der Preis, den man zahlt, wenn man dafür weltweit (!) AGB-Änderungen erwirken kann. „Great work“ nannte Margrethe Vestager das Werk der Kollegen aus der 2. Beschlussabteilung des BKartA auf Twitter.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Verfahren scheint mir zu sein, dass das Bundeskartellamt eher in Richtung Ausbeutungsmissbrauch tendiert (so ausdrücklich im Fallbericht), während die Kommission wohl eher von Verstößen gegen Art. 101 AEUV und Behinderungsmissbräuchen nach Art. 102 AEUV (Marktbeherrschung!) ausgehen wird.

Für Amazon ist es kartellrechtlich gesehen übrigens erst das zweite Aufschlagen in Brüssel nach dem E-Books-Fall von 2017. Keine einzige Fusionskontrolle, nur ein Antitrust-Verfahren. Das wird aber auch Zeit, wird Lina Khan gedacht haben.


Die glorreichen 7

Die eine Akte schließt sich, am selben Tag öffnet sich drei Zugstunden entfernt an anderem Ort die nächste Akte. Erstaunlich. Aber es gab in dieser Woche noch weitere erstaunliche Phänomene, zum Beispiel eine Erklärung der Wettbewerbsbehörden der G7-Staaten zur Rolle des Wettbewerbs im digitalen Zeitalter. Ich kann mich nicht erinnern, so etwas zuvor in meinem Leben gesehen zu haben. Die Erklärung können Sie hier nachlesen. Die politische Einordnung fällt mir schwer. Alles, was da niedergelegt ist, finde ich gut/richtig/sinnvoll/wertvoll/bedenkenswert. Vielleicht muss man als Behörde auch einfach ab und zu solch ein Papier lancieren, damit Minister nicht auf irgendwelche dusseligen Ideen kommen.

Die Initiative scheint von Frankreich ausgegangen zu sein, und wenn man ein Beispiel für dusselige Ideen sucht, fällt einem da vielleicht die Verbannung des Wettbewerbsziels aus den Zielbestimmungen des AEUV in eine Fußnote ein. Ein gewisser Nicolas Sarkozy betrieb das einst. Da ist es doch mehr als erfreulich, dass in Chantilly die Finanzminister der G7 jetzt hören durften, welche entscheidende Rolle die Wettbewerbsbehörden bei der Gestaltung der digitalen Wirtschaft spielen können. Wer mehr wissen will, der folge Isabelle da Silva, der sehr umtriebigen französischen Wettbewerbschefin, auf Twitter.

Die Logos der G7-Wettbewerbsbehörden
Die Logos der G7-Wettbewerbsbehörden


Paukenschläge

Die Chronistenpflicht gebietet es, drei Paukenschläge zu vermelden:

Erstens hat die Kommission Vodafone erlaubt, Unitymedia zu übernehmen. Telefónica soll, so die Zusage, Zugang zum Kabelnetz von Vodafone erhalten. In Deutschland, so ein Kernargument der Kommission für eine Freigabe, überlappten sich die Verbreitungsgebiete von Vodafone und Unitymedia nicht. Heilige Marktabgrenzung!

Zweitens hat das Bundeskartellamt Remondis die Übernahme des Dualen Systems DSD untersagt. Ein Fallbericht liegt noch nicht vor, aber dass dieser Mega-Merger der Entsorgungswirtschaft schlechte Chancen hatte, lag auf der Hand. Immerhin war es ja ein Fall aus der Remondis-Einkaufstour, der überhaupt geprüft werden konnte. Im Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts wurde festgestellt, dass einige der Vorhaben wegen der Anschlussklausel oder der zweiten Inlandsumsatzschwelle nicht geprüft werden konnten (S. 85), und es ist der Eindruck entstanden, dass das Kartellamt deswegen gern eine Änderung der Aufgreifschwellen in der 10. GWB-Novelle hätte. Ob umfassender Änderungsbedarf besteht, dürfte sich wohl daran entscheiden, ob die Entsorgungsbranche ein ärgerlicher Einzelfall ist oder ob es flächendeckend Übernahmen gibt, die wichtig sind, aber durch die Maschen der Fusionskontrolle fallen.

Drittens erreicht das Ping-Pong zwischen dem Kartellsenat des BGH und den Kartellsenaten des OLG Düsseldorf einen neuen Höhepunkt: Im Verfahren zum Süßwarenkartell hat der BGH entschieden, die Düsseldorfer Entscheidung aufzuheben und an einen anderen Kartellsenat zurückzuverweisen. Aufgehoben wird – gem. § 357 StPO – sogar für die Beteiligten, die gar keine Revision eingelegt hatten. „Die Beweiswürdigung ist lückenhaft, weil jegliche Angaben dazu fehlen, wie sich die Nebenbetroffenen zu 1 bis 4 in der Hauptverhandlung eingelassen haben“, so das Diktum des Senats in der Sache KRB 10/18. Die Entscheidung hat nicht einmal 12 Seiten, für mehr bestand aus Karlsruher Sicht kein Anlass: Jetzt darf ein anderer Kartellsenat in Düsseldorf die Sache noch einmal von vorn beginnen. Nicht lustig.


Qualcomm

Die Kommission hat übrigens auch noch ein saftiges Bußgeld in dieser Woche verhängt: 242 Mio. Euro gegen Qualcomm wegen Kampfpreisunterbietung bei 3G-Baseband-Chipsätzen. Damit trifft eine der raren Missbrauchs-Geldbußen wieder einen Big-Tech-Konzern.

Der Fall ist noch aus anderer Sicht interessant: 2010 hatte Qualcomm-Konkurrent Icera Beschwerde bei der Kommission eingelegt. Seither prüfte die Kommission, holte Auskünfte ein, überlegte, 2015 gab es ein Statement of Objections. (Moment – der Fall zieht sich also schon länger hin als Google Shopping!) Als die Kommission 2017 weitere Informationen von Qualcomm haben wollte, ließ man die Frist verstreichen, die Kommission erließ eine förmliche Entscheidung, gegen die sich Qualcomm wehrte. Das Unternehmen rief das EuG an. Wenn man das Urteil des Gerichts dazu liest, ahnt man: Irgendwann hatte man bei Qualcomm die Schnauze voll den Eindruck, dass es auch einmal genug sein müsse mit immer neuen Auskünften.

Ein Irrtum, so das Europäische Gericht in Fall T-371/17. Die recht lange Auseinandersetzung mit den zahlreichen Argumenten von Qualcomm (zunächst im Eilverfahren, dann in der Hauptsache) lässt sich auf den Nenner bringen: Was an Auskünften notwendig ist, ist auch verhältnismäßig, Aufwand hin oder her. Und notwendig ist in einem komplexen Missbrauchsverfahren, das auch noch ökonomischen Anforderungen genügen soll, natürlich einiges. Qualcomm gibt nicht auf (jetzt macht es ja eh keinen Unterschied mehr!), die Auskunftssache ist beim EuGH anhängig. (Offenbar waren die Einbußen durch die Kampfpreise nicht so hoch, dass man sich nicht noch teure Rechtsstreitigkeiten leisten könnte.)

Berichterstatter beim EuG war übrigens Eugène Buttigieg. Wenn Ihnen der außergewöhnliche Nachname dunkel bekannt vorkommt, sind Sie wahrscheinlich auch vernarrt in die US-Präsidentschaftsdebatten. Genau: Pete Buttigieg ist einer dieser Democratic hopefuls, die Donald Trump herausfordern möchten, er ist der charismatische Bürgermeister von South Bend. Petes Papa kommt aus Malta, Eugène auch. Auf Gozo, der zweitgrößten maltekischen Insel, ist der Nachname Buttigieg der sechsthäufigste, entspricht also etwa „Weber“ in Deutschland (Wir hoffen für Pete Buttigieg, dass ihm in seiner Karriere erspart bleibt, was Manfred Weber erdulden musste.) Buttigieg kommt aus dem Arabischen und bedeutet wohl Geflügelhalter. Wenn Sie jetzt noch wissen wollen, wie man’s ausspricht: So. (Und jetzt sagen Sie nicht, Sie hätten in diesen SSNIPpets nichts gelernt.)


Finale, oh-oh

Leroy Sané (CC BY-SA 4.0 Wikimedia.org, User Granada)

Wir mögen den Fußballer Leroy Sané erstens, weil er Deutschland 2018 zum gefühlten Weltmeistertitel geführt hätte, wenn er nur aufgestellt worden wäre, und zweitens, weil er in modischer Hinsicht immer wieder zu überzeugen weiß. Derzeit ist Leroy Sané (bei Fußballern sind wir auf first-name-basis!) heiße Ware auf dem Transfermarkt, der Wettbewerb um ihn brennt, und wir können dafür von dieser Stelle aus nur diesen gut abgehangenen Düsseldorfer Rat geben.

Jetzt gab es aber noch eine weitere Wettbewerbsauseinandersetzung, in deren Mittelpunkt der Ex-Schalker stand: Leroy kam mit einem roten Kapuzenpulli mit Nike-Logo ins „Vereinsheim“ seines derzeitigen Arbeitgebers Manchester City. Das wurde gefilmt und veröffentlicht. Großer Fehler! ManCity ist bei Nike-Rivale Puma unter Vertrag. Große Aufregung! Was macht man da heutzutage? Man löscht das Video, bearbeitet die Aufnahme, stellt das Video wieder ein, jetzt ohne Logo (oder sehen Sie noch die Retousche?), und ein Hinweis auf die Bearbeitung ist natürlich auch nicht enthalten. So geht knallharter Wettbewerb in the digital age.


Schönes Wochenende!

3 Gedanken zu „SSNIPpets (31): Albrecht Leyenheart

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