Tchibo gegen Aldi-Süd: Kaffeepreise vor Gericht

Tchibo gegen Aldi-Süd: Kaffeepreise vor Gericht

Darf der Lebensmitteleinzelhandel Produkte unter den Herstellungskosten anbieten? Diese Frage wurde Dienstag vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf im Verfahren Tchibo gegen Aldi-Süd diskutiert. Klara Dresselhaus berichtet von der mündlichen Verhandlung.

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Nachdem das Landgericht Düsseldorf die Klage erstinstanzlich abgewiesen hatte, ging der Rechtsstreit vor dem 6. Kartellsenat unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Ulrich Egger am 2.12.2025 in die zweite Runde. Tchibo verlangt von Aldi-Süd die Unterlassung, den selbst hergestellten Kaffee der Eigenmarke „Barissimo“ unter den Produktionskosten zu verkaufen. Tchibo wird – angeführt von Dr. Marc Schweda – durch Hogan Lovells vertreten, für Aldi-Süd stieg die Essener Kanzlei SOH (einst: Schmidt, von der Osten & Huber) in den Ring. In der knapp einstündigen Verhandlung wurde schnell klar: Es geht um Grundsatzfragen. Feststellen lässt sich bereits: Ein Erfolg der Berufung käme jedenfalls überraschend.

Während die steigenden Lebensmittelpreise in aller Munde sind und die Monopolkommission zuletzt vor diesem Hintergrund dem Wettbewerb in der Lebensmittellieferkette ein ganzes Sondergutachten gewidmet hat, ging es am Dienstag um die kartellrechtliche Zulässigkeit von zu niedrigen Preisen. Konkreter: Die Untersagung von Kampfpreisstrategien nach § 20 Abs. 3 GWB. Im Kern geht es um Rabattaktionen, mit denen Aldi-Süd ab Dezember 2023 immer wieder verschiedene Kaffeeprodukte aus eigener Herstellung unterhalb der Herstellungskosten anbot. Dass die Angebote den Wert der Produkte erheblich unterschritten, ist unstreitig gestellt. Im Jahr 2024 betrafen die Rabattaktionen 7 von 52 Kalenderwochen. Tchibo ist der Auffassung, die Geschäftspraxis von Aldi-Süd verstoße gegen § 20 Abs. 3 GWB. Gemäß § 20 Abs. 3 S. 1 GWB dürfen Unternehmen mit gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern überlegener Marktmacht ihre Marktmacht nicht dazu ausnutzen, solche Wettbewerber unbillig zu behindern. Eine solche Behinderung von Wettbewerbern trete durch die Verdrängungswirkung der Niedrigpreisangebote auf.

Feilschen beim Streitwert

Herr Prof. Dr. Egger eröffnet die Verhandlung mit einem Schlagabtausch über den Umfang des klägerischen Interesses. „Wie viel Kaffee wurde denn weniger verkauft? Wie dürfen wir uns das vorstellen?“, hakt der Vorsitzende zu Beginn nach. Wird zunächst noch das Erfordernis eines Umsatzrückgangs für die Beeinträchtigung Tchibos gemäß § 33 Abs. 3 GWB diskutiert, einigen Berufungskläger und Gericht sich darauf, dass jedenfalls für den Streitwert etwaige Umsatzverluste Tchibos zu berücksichtigen seien. Ursprünglich hatte Tchibo einen Streitwert von 150.000 € angegeben, das LG diesen im Urteil auf 300.000 € festgesetzt. Die erstinstanzlich zugrunde gelegten 300.000 € erscheinen dem Gericht aber nicht realistisch. Dies sei „weit entfernt von dem, was der angeführte Schaden sein dürfte“. Während Rechtsanwalt Schweda für die Klägerin betont, dem konkreten Umsatzrückgang Tchibos komme aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Sache kein größeres Gewicht zu, lässt das Gericht nicht locker. „Sind Sie denn mit 5 Mio. einverstanden?“, fragt Herr Prof. Dr. Egger nachdrücklich. Die Tchibo-Anwälte lassen sich aber nicht festnageln. Wenn konkretere Angaben über den Umsatzrückgang erforderlich seien, müsse man diese noch nachreichen. Die Beklagtenseite kann sich insofern – wie in vielen Streitpunkten – weitgehend zurückhalten. Aus ihrer Sicht käme der ursprünglich angegebene Wert von 150.000 € dem Streitwert am nächsten, da es überhaupt keine Umsatzrückgänge Tchibos gegeben habe.

Generalklausel oder Regelbeispiel?

Im eigentlichen Kern der Verhandlung geht es darum, ob und unter welchen Voraussetzungen der Verkauf selbst produzierter Waren unter Herstellungspreis im Lebensmitteleinzelhandel gegen § 20 Abs. 3 GWB verstößt. Besonders umstritten ist dabei, ob die vorliegende Fallkonstellation mit dem Regelbeispiel des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB vergleichbar ist, wonach ein Verkauf von Lebensmitteln unter Einstandspreis kategorisch als unbillige Behinderung einzuordnen ist. Einstandspreis ist nach § 20 Abs. 3 S. 3 GWB der zwischen dem Unternehmen mit überlegener Marktmacht und seinem Lieferanten vereinbarte Preis für die Beschaffung der Ware oder Leistung. Das Regelbeispiel erfasst also zunächst einmal nur den Erwerb von Produkten von Lieferanten, nicht die eigene Herstellung. Da Aldi den Kaffee selbst produziert, ergibt sich eine Behinderung daher nicht aus einer unmittelbaren Anwendung des Regelbeispiels.

Der Einstieg in diesen Teil der Verhandlung ist bereits auffällig theoretisch – die Beteiligten verweisen gar mehrfach auf die „juristische Methodenlehre“. Im Ausgangspunkt wirft das Gericht die Frage auf, inwiefern die Klägerseite gedenkt, die Wertungen des Regelbeispiels in die Rechtsauslegung zu integrieren. Der Vorsitzende Egger hat Spaß an dieser Auseinandersetzung, man spürt, dass er zugleich Vorsitzender des Justizprüfungsamts am OLG Düsseldorf ist. Das Gericht lässt schnell anklingen, dass es die Voraussetzungen einer Analogie zu § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB nicht als gegeben sehe – es mangele an einer planwidrigen Regelungslücke.

Rechtsanwalt Schweda hingegen betont daraufhin mehrmals, dass eine Behinderung gerade nicht durch eine Analogie zu dem Regelbeispiel gestützt werde – vielmehr sei die Generalklausel des § 20 Abs. 3 S. 1 GWB verletzt. Gleichwohl seien die Wertungen des Regelbeispiels zu berücksichtigen: Der „Unwertgehalt“ der im Raum stehenden Geschäftspraxis sei identisch. Das Gericht hält dem entgegen, eine Anwendung der Generalklausel habe konsequenterweise zur Folge, dass auch deren Voraussetzungen dargelegt werden müssten – insbesondere eine Verdrängungsabsicht von Aldi-Süd. Dies sei jedoch nicht erfolgt. Immer wieder betont Schweda, eine Ungleichbehandlung der Vermarktung eigens erzeugter und vom Lieferanten erworbener Produkte sei nicht gerechtfertigt. Die Geschäftsstrategie sei dieselbe und durch die Möglichkeit der Mischkalkulation im Lebensmitteleinzelhandel geprägt. Diese Ungleichbehandlung aufzufangen sei gerade Aufgabe der Generalklausel.

Die Verhandlung läuft auf diese Dualität hinaus: Entweder die Verletzung wird auf die Generalklausel gestützt – unter Darlegung all ihrer Voraussetzungen – oder auf eine analoge Anwendung des weitergehenden Regelbeispiels. Eine jedenfalls angedeutete Modifikation der Generalklausel im Lichte des Regelbeispiels, in Umgehung der Analogievoraussetzungen, widerspräche der Normsystematik. Kurz schiebt die Klägerseite daraufhin nach, eine Verdrängungsabsicht könne man wohl hilfsweise auch in diesem Falle unterstellen, da diese nicht zu eng in Form eines dolus directus ersten Grades zu verstehen sei.

Was wollte der Gesetzgeber?

Unabhängig von den „technischen“ Auslegungsfragen wird die Vergleichbarkeit des im Raum stehenden Verhaltens mit dem Verkauf unter Einstandspreis diskutiert. Insbesondere der Wille des Gesetzgebers bei der Regelung des Verbots des Verkaufs unter Einstandspreis beschäftigt die Beteiligten für einen großen Teil der Verhandlung. Der Beklagtenvertreter schließt, er habe selten ein Verfahren geführt, „in dem so viel über den Willen des Gesetzgebers diskutiert wurde“. Während die Klägervertreter in erster Linie hervorheben, dass eine Ausklammerung des Verkaufs unter Herstellungskosten auf Grund der betriebswirtschaftlichen Ähnlichkeit nicht gewollt sein könne, betont der beisitzende Richter Stefan Rubel, dass das Phänomen der vertikalen Integration im Einzelhandel schon lange bekannt sei. Dennoch habe der Gesetzgeber den § 20 Abs. 3 GWB nicht entsprechend angepasst.

Die Klägerseite betont wiederum, dass die Tendenz zur Eigenproduktion durch Lebensmitteleinzelhändler bei der letzten Änderung des Regelbeispiels 2007 noch keine derart große Rolle spielte. Egger stellt fest: „Wir können nicht in den Kopf des Gesetzgebers sehen“. Beide Seiten zitieren für ihre Position auch das Gutachten der Monopolkommission: Während die Beklagtenseite betont, dass sich die Monopolkommission gegenüber § 20 Abs. 3 GWB ablehnend geäußert hat, führt die Beklagtenseite an, dass zugleich eine Ungleichbehandlung der Fallkonstellationen kritisiert wurde. Beides trifft zu, wie ein Blick in Rn. 357 des Gutachtens zeigt.

Insgesamt zeigte sich der Senat, wie schon die Kammer des Düsseldorfer Landgerichts, kritisch gegenüber dem Vergleich des Vertriebs unter Herstellungskosten mit dem Verkauf unter Einstandspreis. Neben etwaigen gesetzgeberischen Erwägungen seien die Unterschiede in den Wertschöpfungsketten zu berücksichtigen, die in der Konstellation der Eigenproduktion durch die Händler komplexer ausgestaltet ist. Darüber hinaus wird in der Verhandlung vermehrt thematisiert, dass die Feststellung, ob ein Produkt unter Produktionskosten verkauft wird, mit noch größeren Nachweisschwierigkeiten verbunden ist als beim Verkauf unter Einstandspreis. Kaffee ist ein sogenanntes Eckprodukt, das Verbraucherinnen und Verbraucher besonders gern vergleichen. Für das Anlocken in den Supermarkt ist es gut geeignet, gerade wenn die Kaffeepreise – wie derzeit – wegen schlechter Ernten und anderer Faktoren den Puls so hochjagen wie ein starker Espresso. Im hiesigen Fall hatte Tchibo umfassende chemische Analysen durchgeführt, um die Herstellungsqualität des betroffenen Kaffees darzulegen. Für den Laien-Barista hatte das Verfahren also auch einen lehrreichen, wenngleich kurzen, Exkurs über die Vorzüge verschiedener Bohnenarten zu bieten. Streitig war der Verkauf unter Herstellungskosten in diesem Fall jedoch nicht, weshalb sich an diesem Aspekt nicht substanziell abgearbeitet wurde. Mit Blick auf ähnlich gelagerte Fälle könnte ein Erfolg Tchibos vor dem OLG jedoch zu einer Welle weiterer komplexer Verfahren führen.

Tchibo als mittelgroßes Unternehmen?

Letzter Streitpunkt des Tages war die Einordnung Tchibos als mittleres Unternehmen im Sinne des § 20 Abs. 3 GWB. Bei etwa 3 Mia. € weltweitem Jahresumsatz könne das jedenfalls mal in Frage gestellt werden. Dieser Aspekt war vom LG noch offengelassen worden. Vorsitzender Richter Egger beschreibt den § 20 GWB in diesem Kontext als „den § 19 GWB zum Schutz der kleinen Leute“.

Die Klägerseite betont insofern, dass es nicht auf die absolute Unternehmensgröße ankommen könne. Entscheidend sei das relative Verhältnis zu Aldi-Süd. Hierbei sei nicht auf die Position auf dem Kaffeemarkt abzustellen, sondern die Machtstellung im Einzelfall zu berücksichtigen. Eine „statische Sichtweise“ sei verfehlt. Insbesondere sei die Möglichkeit der Quersubventionierung durch Aldi-Süd zu berücksichtigen. Die Einzelhändler haben einen erheblich größeren Spielraum, kurzfristige Verlustgeschäfte durch den Gewinn mit anderen Waren auszugleichen.

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Kritische Haltung des Gerichts

Insgesamt scheint ein Erfolg der Berufung Tchibos unwahrscheinlich. Das Gericht hat angedeutet, dass es das Vorliegen gleich mehrerer Tatbestandsmerkmale als fraglich erachtet. Dies räumte Tchibo selbst bereits ein. Arnd Liedtke, Unternehmenssprecher von Tchibo, äußerte sich in einer Pressemitteilung: „Wir bedauern, dass das OLG zu dieser Auffassung neigt. Das Gericht würde damit eine Chance verpassen, einer strukturellen Fehlentwicklung im deutschen Lebensmittelhandel Einhalt zu gebieten.“ In der Verhandlung klang zudem die politische Dimension des Verfahrens an, wobei seitens der Klägervertreter eine allgemein kritische rechtspolitische Grundhaltung zum Verbot des § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB zur Sprache kam. Die Berufungskläger hoben in diesem Kontext mehrfach die grundsätzliche Bedeutung des Verfahrens hervor. Auch die Beklagtenseite griff diesen Aspekt auf: Da sei „richterliche Zurückhaltung geboten“. Insofern bleibt abzuwarten, ob das Verfahren – ungeachtet des Ausgangs in Düsseldorf – noch vor dem BGH fortgesetzt wird. Das Urteil soll am 13.01.2026 verkündet werden.

Klara Dresselhaus ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

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