Conference Debriefing (47): 60 Jahre Studienvereinigung Kartellrecht

Conference Debriefing (47): 60 Jahre Studienvereinigung Kartellrecht

Das jährliche Treffen der Studienvereinigung Kartellrecht in Bonn war in diesem Jahr aus drei Gründen besonders: Erstens wurde der 60. Geburtstag dieses Anwaltsvereins gefeiert. Zweitens fand vielleicht noch nie eine Tagung in Zeiten statt, in denen Wettbewerb und Kartellrecht so unter Druck stehen. Und drittens war für den Düsseldorfer Kartellrechtsblog D’Kart der ebenso scharfsinnige wie elegant schreibende Reporter Prof. Dr. Thomas Lübbig im Einsatz. Hier ist sein Bericht aus Bonn! ||

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1. Das neue Fünfzig

Am 3. und 4. Dezember 2025 trafen sich Vorstand und Mitgliedschaft der Studienvereinigung Kartellrecht mit den Spitzen des Bundeskartellamts und der Wissenschaft zuerst in Bad Godesberg und am nächsten Tag in Ramersdorf auf der anderen Rheinseite, um die nun erreichte magische Zahl Sechzig geziemend zu feiern. Nein, Sechzig ist nicht das Durchschnittsalter der Mitglieder des Vorstandes, jedenfalls nicht treffgenau. Vielmehr wurde am 15. März 1965 die Vereinigung von vierzehn Rechtsanwälten in Düsseldorf gegründet, so steht es in der Rubrik „Über uns“ auf der Website der Vereinigung. Und sie wächst nahezu täglich auf inzwischen über 1.600 Mitglieder, eine Entwicklung, die durch den assoziativen Beitritt vieler Vertreter der wettbewerbsökonomischen Zunft flankiert worden ist. Karteileichen, so der von einem Vorstandsmitglied verwandte anschauliche Begriff aus der Welt konventionell geführter Registraturen, gebe es nur sehr wenige. Kraftvolles Wachstum im Beratermilieu, Stagnation in der allgemeinen Volkswirtschaft, eine in der Gesamtschau beunruhigende Entwicklung, die dem Aufkommen einer gelösten Stimmung vor den Feiertagen jedoch keinen Abbruch tat.

Albrecht Bach wusste über Anfänge und Expansion der Vereinigung manche Anekdote zu erzählen. Launig nennt man wohl diese viel zu selten zu hörende Art kultivierten und zugleich unterhaltsamen Vortrages. Man sei mit dem Bekenntnis zum offenen und gern auch kontrovers geführten Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis immer gut gefahren, ein Königsweg zwischen akademischer Tagung und kommerziellem Seminar. Der klassische Vortrag, der den Dingen „auf den Grund gehe“, habe sich gegen allerlei moderne Formate durchaus behauptet. Auf die richtige Mischung komme es an. Die Verwendung von Slide Decks sei in jüngerer Zeit zwar nicht mehr verpönt gewesen, habe aber keine große Verbreitung gefunden. Dies war auch während der Arbeitstagung am folgenden Tag zu beobachten, Folien wurden nur sparsam eingesetzt, niemand referierte den Hinterkopf zum Publikum gewandt.

Ingo Brinker berichtete in vornehmem Duktus über die vielen Erfolge der heurigen Tätigkeit des neu gewählten Vorstandes, dessen Vorsitz er versieht: Wachstum nicht nur numerisch, sondern auch in vielfältigen Kontakten zu Schwesterorganisationen im europäischen Ausland. Eine Vielzahl hochkarätiger Veranstaltungen – besonders in den regionalen Foren. Öffentliche Stellungnahmen zu bedeutenden wettbewerbspolitischen Vorhaben, die sich sehen lassen können und gewiss doch auch in Brüssel Beachtung fänden. Nach sechzig Jahren so intensiver und erfolgreicher Arbeit sei es nur billig, an diesem Abend gebührend zu feiern. Die Veranstaltung am darauffolgenden 4. Dezember sei aber eine Arbeitstagung, kein Symposion, kein Tusculum, kein Workshop. Ohne „Arbeit“ geht es nicht, das sind wir wohl Max Weber schuldig.

Bereits an diesem Abend richtete auch Präsident Andreas Mundt ein aufmunterndes Grußwort an die andächtige Versammlung. Die Redner des Abends standen am Pult direkt neben einer Harfe, einem besonders anmutigen Musikinstrument mit hoher symbolischer Kraft. Brinker überlässt nichts dem Zufall.

2. Une soirée redoutable

Die sympathische Neigung des Rheinlandes zum Diminutiv beschert uns das Kom(m)ödchen, eine überörtlich bekannte Kabarettbühne an dem Ort, an dem einem verbreiteten On-Dit zufolge die größte Ballung prominenten kartellrechtlichen Sachverstandes nördlich von Bonn anzutreffen ist. In Bonn hingegen schuf der Volksmund das Redüttchen.

Hier geht es lang.

Unweit der Godesburg versammelte sich die Vereinigung zu ihrem Festakt in der „guten Stube“ der Republik, in nämlicher Redoute (das Redüttchen ist das kleinere Nebengebäude und ehemalige Gärtnerhaus). Die Redoute ist ein legendäres Palais, in dem schon Beethoven und Haydn aufeinandertrafen. Zahllose Staatsgäste wurden hier mit republikanischer Pracht empfangen. Angestammte Bonner erinnerten sich lebhafter Klavierwettbewerbe ihrer jugendlichen Meisterklassen. Aus der wechselvollen Geschichte des Hauses, das in der Nachkriegszeit auch als Offiziersklub verschiedener Siegermächte genutzt wurde, ist folgende interkulturelle Beobachtung überliefert: „The British period was marked by poverty and a strange sad tranquility; the Belgian by a superfluity of food and drink and an ever increasing vivacity; the French by the more selective, unobtrusive delicacy that had now become possible.“ (Bericht eines britischen Offiziers, zitiert auf der Website des Internationalen Clubs La Redoute).

Rheinische Diminutiva: Kom(m)ödchen bei uns, Redüttchen in Bonn.

Die Teilnehmer der Festveranstaltung wirkten von dem Genius Loci wie ergriffen: Hatten just hier, wo wir gerade alkoholfreien Sekt schlürfen, Erfahrungen aus schottischen Internaten austauschen und über die Nachfolge von Olivier Guersent spekulieren, in früheren Zeiten vielleicht Staatssekretär Alfred Müller-Armack und der spätere Bundesminister Hermann Höcherl über den Freiheitsbegriff in der modernen Wettbewerbsverfassung diskutiert? Auch ohne Nostalgie animierte die schöne Atmosphäre in dem ehemaligen kurfürstlichen Ballhaus zumindest die ältere Generation zu der Frage, ob der vom Deutschen Bundestag beschlossene Umzug der Bundesregierung nicht eine Fehlentscheidung war.

Wie auch am Folgetag auf der anderen Rheinseite folgten die Mitglieder der Vereinigung ganz überwiegend einem konventionellen Dress-Code, ohne dass dieser offiziell kommuniziert war. Man sah viel Anthrazit, zum Teil auch Preußisch Blau; bei den Herren verfestigte sich der bereits im letzten Jahr beobachtete Trend zurück zur Krawatte. Altweiße Turnhalbschuhe, gern auch in Kombination mit dunkler Kleidung, vor kurzem geradezu un must für diejenigen, die entweder Modebewusstsein, Jugendlichkeit oder dezente Opposition gegen die alten Bekleidungsregeln der City zeigen wollten, sah man auch am Folgetag in Ramersdorf kaum noch.

Volle und tolle Hütte; ein Panoptikum guter Stoffe in gedeckten Farbtönen, Tannenschmuck im Vordergrund.
Beschwingtes Quartett vor Großem Gewächs: Caroline Scholke, Gerung von Hoff, Max Klasse und Christian Ritz.

3. Mehr als nur Housekeeping

Vereinsrechtlich lief alles wie am Schnürchen. Das jahrelange segensreiche Wirken von Albrecht Bach prägt auch heute noch das rechtsförmliche Handeln des neuen Vorstandes.

Berlin, auch weiterhin kein kartellrechtliches Entleerungsgebiet; Im Gegenteil finden die neuen Regionalverantwortlichen Maren Tamke und Jonas Brueckner.

Die Vereinigung wählte ohne Gegenstimmen gleich drei neue Ehrenmitglieder, Astrid Ablasser-Neuhuber (Wien), Hanno Wollmann (Wien) und den schon mehrfach erwähnten Albrecht Bach (Stuttgart). Die österreichische Landesgruppe geht somit aus der Sitzung gestärkt hervor. Zum Ausgleich erfreute Vorstandsmitglied Richard Stäuber aus Zürich das Publikum mit einem überaus lebhaften Bericht aus der Eidgenossenschaft. Die lange und streitanfällige Reform des dortigen Kartellgesetzes beschäftigte die NZZ im maßgeblichen Berichtszeitraum sogar mehr als die anstehenden Importe von Chlorhühnern aus den USA, ein Thema, das auch die deutsche Öffentlichkeit in anderem Zusammenhang vor einigen Jahren in Atem gehalten hatte. Am 4. Dezember um 17:00, also noch am selben Tag, meldete eben jenes traditionsreiche Leitmedium das politische Dénouement der langen Debatte, das sich in Bern im Dialog zwischen National- und Ständerat hat erreichen lassen.

Besondere Aufmerksamkeit genoss die Verkündung der neuen Regionalverantwortlichen, nicht nur in den einzelnen deutschen Provinzen, sondern auch an den Standorten Brüssel und London. Ein ebenso kompetitiver wie sorgfältiger Prozess garantiert den regionalen Foren der Vereinigung auch weiterhin ein spannendes Programm unter der Leitung ausgewiesener und meinungsstarker Experten, die sowohl noch „jung“ als auch „schon eine Weile dabei“ sind. Ein Applaus folgte dem anderen.

BerlinDr. Jonas Brueckner
Dr. Maren Tamke
BrüsselDr. Björn Herbers
Dr. Bastian Müller
FrankfurtDr. Nils Bremer
Dr. Andrea Pomana
HamburgDr. Andrea Preuße
Dr. Philipp Steinhaeuser
LondonMarielena Doeding
Juliane Guderian
MünchenDr. Ilka Oberländer
Dr. Pascal Pitz-Klauser
RheinlandLilie Barski
Kaan Gürer
Kevin M. Wilcock
StuttgartDr. Jochen Bernhard
Dr. Laura Roßmann

4. Am Kartellrecht liegt es nicht

Brüssel blieb während der Bonner Arbeitstagung zugleich nah und fern. Natürlich ging es zentral um Herausforderungen der europäischen Wettbewerbspolitik, die auch als solche klar benannt wurden. Dennoch fand die Diskussion zwar über, aber ohne die Generaldirektion Wettbewerb statt. Ein Mitglied des Vorstandes erläuterte die personelle Zusammensetzung seines Panels nicht ohne Ironie sinngemäß mit der Bemerkung, man habe auf die Einladung eines Vertreters der Kommission verzichtet, um einen ungestörten Ablauf der Diskussion zu fördern.

Die Studienvereinigung ist über die Jahre durchaus ein Stück „normaler“, d.h. europäischer, geworden. Die Zeiten, in denen den Regeln des nationalen Kartellrechts zum Teil ein qualitativer Vorsprung gegenüber dem Recht der Union zugeschrieben wurde, gehören wohl der Vergangenheit an. Auch den Anspruch der Dogmatik als selbständiger und höherer Erkenntnisquelle, die dem Dogmatiker im Verständnis des Rechts tiefere Einsichten ermöglicht, hört man bei der Studienvereinigung sehr viel weniger als früher. Damit erübrigt sich eine häufig künstliche Diskussionsebene, die in Brüssel zuweilen auf Unverständnis gestoßen ist und von der angelsächsischen Rechtspraxis primär als deutsche Marotte wahrgenommen wurde.

Clean, Just and Competitive Transition

Die GD-Wettbewerb hat sich neu sortiert, im Vordergrund der politischen Kommunikation scheinen Themen zu stehen, für die die Europäische Union nach Art. 173 AEUV (Wettbewerbsfähigkeit) allenfalls mit-zuständig ist. Wie zu Zeiten des vorherigen Mandates der Kommission ist auch hier die GD GROW (Kommissar Séjourné) sehr präsent, wie zuletzt wieder bei der Rohstoffversorgung der Union. Viele Augen sind darauf gerichtet, ob die politische Leitung der Kommission für die Nachfolge im Amt des Generaldirektors Wettbewerb eine so kommunikationsstarke und managementerfahrene Persönlichkeit bestellen wird, wie dies auch in einzelnen Mitgliedstaaten, nicht nur in Deutschland, der Fall ist. Hinzukommt die Frage der Freiburger Puristen danach, ob die Diskussion über Kartellrecht als Sättigungsbeilage (Side Dish) der Vergangenheit angehört. Auch der zukünftige Beitrag der Europäischen Wettbewerbspolitik zur Stärkung der sozialen Wohnraumbewirtschaftung gehört zu dieser Diskussion.

Was uns betrifft

Auch in Zeiten von Teamwork – ein Rückzugsraum für Solisten.

In den Vorträgen und in der Diskussion fielen wieder einige beliebt gewordene Redewendungen: Die Zeiten würden nicht einfacher, ja vielleicht sogar schwieriger. Eine konsensfähige Beobachtung. Zu § 19a GWB seien einige „schöne Fälle“ entschieden worden, es gibt demnach auch eine Betrachtungsebene wettbewerbspolitischer Ästhetik, die in der Bewertung des behördlichen Handelns zu beachten ist. Mit dem Kartellschadensersatz sei das „sone Sache“. Im Saal verbreitete sich auch hier freundliche Zustimmung. In vielen Fragen sei man „auf einem guten Weg“. Schließlich war in der Diskussion die Frage der zum Teil allzu arg ad personam geführten Konfliktverteidigung (auch in Verwaltungsverfahren) durchaus präsent. Ein Kollege machte hierzu „zarten, aber eindringlichen“ Widerspruch geltend. Wie gut, dass diese Meinungsverschiedenheit offen angesprochen wurde – ebenso wie das Beschwernis der überlangen Schriftsätze. Viele Aufgaben für die konstruktiven internen Streitforen der Competition Family.

Die Old Economy, fast aktueller denn je

Auch wenn die allerorten manifeste digitale Dimension der Kartellrechtspraxis weiter eine große Rolle spielt, bleiben Kernanliegen der analogen Wirtschaft so aktuell wie früher. Als Beispiele: Fernwärme, Setzteil-Management, Abfallentsorgung und Kraftstoffgroßhandel. Die beiden zuletzt genannten Sektoren stehen im Mittelpunkt der beiden neuen Verfahren nach § 32f GWB. Das bei der gesetzgeberischen Diskussion dieser NCT-Bestimmung von den Kritikern (so auch von dem Chronisten) beschworene Marktdesign aus Bonn ist bisher ausgeblieben. Andreas Mundt ließ zu Recht nicht unerwähnt, dass die Politik zwar zunehmend Gefallen finde am Instrument der Sektoruntersuchung, aber zugleich enttäuscht darüber sei, dass die Verbesserung der Marktsituation nicht schnell genug Wirklichkeit werde. Hier besteht ein Zielkonflikt, der noch weitere Betrachtung verdient.

Die Aufmerksamkeit gilt dem Präsidenten

Die Rede des Präsidenten war wie jedes Jahr rhetorischer Auftakt und Höhepunkt der Veranstaltung. Andreas Mundt war en pleine forme. Eine willkommene Gelegenheit, viele der Analysen, die er neulich beim Forum Recht des BDI und kürzlich auch im Handelsblatt präsentiert hatte, noch einmal mit der in Bonn versammelten Fachöffentlichkeit zu reflektieren.

Instrumentelle Meisterschaft in Bad Godesberg, für Andreas Mundt von jeher Anspruch und Wirklichkeit.

Die allgemeine Malaise der deutschen und europäischen Volkswirtschaft habe viele Gründe: Mangelnder Bürokratieabbau (eher das Gegenteil trotz der vielen Omnibusgesetze aus Brüssel), die Unternehmensbesteuerung, Mängel der Bildungspolitik, der mühselige Technologietransfer in Europa, die fehlende Kapitalmarktunion und viele andere Defizite, die Mario Draghi klar benannt hatte. Die geringe Begeisterung der Kartellämter, für die Schaffung von European Champions beim Wettbewerb Abstriche zu machen, sei wohl kaum eine maßgebliche Ursache für die Wachstumsschwäche Europas. Resilienz sei vielleicht ein neuer politischer Aspekt, den man in der Fusionskontrolle in ausgewählten Fällen in Erwägung ziehen könne. Innovation Defence, die werde man im Auge behalten, so auch die verbreitete Meinung der anderen Wettbewerbsämter in Europa. Mal sehen, was dazu zukünftig in den Merger Guidelines der Kommission stehen wird. Investitionszusagen (Stichwort: MIBA-Zollern), ein weites Feld, schwer erfolgreich umzusetzen, die Zusagen müssten dann auch „kommen“. In der späteren Diskussion setzte sich die Idee evtl. mit hohen Pönalen bewehrter Investitionszusagen nach amerikanischem Vorbild mental erst einmal fest. Große Sympathie für diese Idee war im Saal allerdings nicht zu spüren. Effizienzgewinne als Defence: Ja, schwierig im Einzelfall und in der Prognose, aber nicht unmöglich, siehe den Fallbericht zum Fusionskontrollverfahren EP-Gruppe/Kraftwerk Lippendorf, Az. B 8 – 83/25 vom 8. Oktober 2025. Jetzt evtl. doch Call-In: Ja vielleicht, wenn ja, dann am besten mit Aufgreifkriterien, die nicht von materiell-qualitativen Bewertungen abhängen.

Am Kartellrecht liege es also nicht, wenn Europa wirtschaftlich deutlich hinter der Lissabon-Agenda vom März 2000 zurückbleibt, die Europa bis 2010 zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt“ machen sollte. Die momentan in England verfolgte Linie (Kartellrecht primär als Wachstumsinstrument), für die sich kürzlich auch der Chronist erwärmt hatte, empfiehlt sich nicht zur sofortigen Nachahmung in Deutschland. Der Europäischen Union kommt erneut eine wichtige Aufgabe zu. Das Amt – so sinngemäß Andreas Mundt – werde sein Scherflein dazu (sprachgeschichtlich wohl ein Stilmittel der Untertreibung) ebenso engagiert beitragen wie bisher. Mit anderen Worten: Ein rundum gut bestelltes Haus.

Panels Eins, Zwei und Drei

Oliver Fleischmann fragt sich: Der Bonner/Wiener Komponist mit Händen in den Hosentaschen, authentisch?

Die ersten beiden Panels, nach Sozietätszugehörigkeit und Dienstherrenschaft divers zusammengesetzt, widmeten sich zwei laufenden Konsultationen der GD-Wettbewerb zur Reform der Merger Guidelines und der Verordnung 1/2003. Derzeit veranstaltet die Generaldirektion noch mehrere andere Konsultationen, will somit in vielen Bereichen wissen, was die Welt von ihrem Verwaltungshandeln denkt. Carsten Grave sprach im Zusammenhang mit dem Rechtscharakter der Leitlinien von Government by Guidelines, ein verfassungsrechtliches Anliegen, das nicht unerwähnt bleiben soll. Im Vorfeld vollzieht sich derzeit schon ein Government bei Consultation, eine in der Staatsrechtslehre noch nicht hinreichend erforschte Variante der Ausübung von Soft Power.

Das erste Panel, besetzt mit Carsten Grave, Johannes C. Lüer, Alexander Rinne und als Kommentator Ulrich Barth vom Bundeskartellamt, diskutierte mit Thorsten Mäger und Martin Klusmann als Moderatoren viele der Fragen, die auch Andreas Mundt bereits vorgestellt hatte. Wie vorhersehbar müssen Innovationseffekte sein, gute, aber auch nachteilige? Das Bonmot von den Prognosen, die besonders dann schwierig sind, wenn sie die Zukunft betreffen, stand unsichtbar im Raum.

Dem zweiten Panel, besetzt mit Kaan Gürer, Christian Horstkotte und als Kommentator Gunnar Kallfaß vom Bundeskartellamt sowie Marc Besen und Christian Steinle als Moderatoren, ging es um die großen Pain Points des Verfahrens, u.a. um Hold Orders, digitale Durchsuchungen aus der Ferne, Akteneinsicht (ein Dauerbrenner) und Confidentiality Rings. Schließlich auch um einstweilige Anordnungen. Hier hatte man den Eindruck, dass die Arbeitsgruppe der Vereinigung mehr Begeisterung für diese gesteigerte Form der Eingriffsverwaltung aufbringt als die Verwaltungen selbst. Auch dies ein spannender Überblick über Sach- und Streitstand.

Kumuliert mehr als 60 Jahre prominenter kartellrechtlicher Expertise: Karin Gollan, Armin Jungbluth und Horst Satzky.

Das dritte Panel zu Fragen des Preisbindungsverbotes im Horizontalverhältnis und in atypischen Drei-Personen-Konstellationen wird für manche Gäste ein willkommener Blast from the Past gewesen sein. Während sich viele Mitglieder der Vereinigung unter dem Eindruck der Brüsseler Moderne daran gewöhnt haben, die wichtigsten Fragestellungen primär als Funktionen von Enforcement Priorities und den neuesten Schadenstheorien zu bewerten, ging es bei Anne C. Wegner und Markus Brösamle unter der Diskussionsleitung von Kathrin Westermann tatsächlich um klassische Instrumente der hiesigen Juristerei. Relevant ist nicht nur, was in dem möglicherweise unglücklich aus einer Fremdsprache übersetzten zweiten Satz einer bestimmten Randnummer steht und wie dieser in der Vorgängerversion des Dokumentes formuliert war, sondern auch, was „die Literatur“ dazu zu sagen hat! Ein Vortragsduett der Art, wie es nach der Rede von Albrecht Bach früher bei der Studienvereinigung der Regelfall war. Aus dem Publikum kamen denn auch trotz vorgerückter Stunde viele interessierte Fragen, die die ohnehin schon subtile Diskussion um einzelne Fallgruppen des Vertikalkartellrechts noch einmal weiter auffächerten.  

5. Die Streitkultur, nicht mehr ganz so wie früher

Ingo Brinker und Christian Koenig im Zwiegespräch über Wettbewerb zwischen Freiheit und den Imperativen der Staatsrechtswissenschaft.

Brinker und Mundt waren die einzigen Redner, denen das heute so beliebte Panelformat erspart blieb. Immerhinque: Der Vorstand hatte sich nicht dazu hinreißen lassen, die Speaker der einzelnen Panels in einem Halbrund auf Sesseln sitzend zu platzieren wie in vielen Sendungen des Rundfunks. Ein wenig Frontalität alten Stils blieb den Beiträgen daher erhalten. Ein guter Kompromiss mit dem Zeitgeist. Der Umgangston ist freundlicher als in alten Zeiten bei den Tagungen der Vereinigung. Damals pflegte oder tolerierte man noch die Devise fortiter in re et fortiter in modo: „Herr Kollege, Ihre unvertretbaren Thesen, leider ein Plural, veranlassen, nein, sie nötigen mich zu deutlichem Widerspruch.“ Heute überwiegt der paraliptische Gesprächsauftakt: „Hi Waltraud/Klaus-Dieter, voll nicer Vortrag, echt gelungen, ich will Dir gar nicht logische Inkonsequenz vorwerfen, hätte aber noch mal ne Frage: …“. [In beiden Fällen kein wörtliches Zitat.]

Was bei der Tagung erneut auffiel: Trotz der beachtlichen Präsenz wettbewerbsökonomischen Sachverstandes im Saal spielte der nicht mehr ganz so taufrische more economic approach kaum noch eine Rolle. Die Frage, welche Type 1 oder Type 2 Errors man durch diese oder jene Lösung einer kartellrechtlichen Fragestellung vermeiden könne, drängte sich nicht in den Vordergrund. Nicht jeder wird das bedauert haben.

Prof. Dr. Thomas Lübbig ist Rechtsanwalt und Of Counsel bei Freshfields.


Besondere Lesetipps der Woche:

  • Klara Dresselhaus über die Verhandlung im Fall Tchibo gegen ALDI Süd am OLG Düsseldorf. Hier ist der Link.
  • Der „Disszember“ – unser D’Kart-Adventskalender 2025 mit der täglichen Überraschung Kartellrecht bis Weihnachten! Hier ist der Link.

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