Nationale Industriestrategie 2030 – locker bleiben!

Nationale Industriestrategie 2030 – locker bleiben!

Als Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier seine Nationale Industriestrategie 2030 vorstellte, führte das zu Aufruhr bei Wettbewerbsökonomenund -juristen. Philipp Steinberg, einer der führenden Köpfe im Ministerium, nimmt auf D’Kart heute Stellung.

This is a German translation. Please find the English original by switching languages.


Die Globalisierung ist eine Tatsache, die Europa und alle Länder akzeptieren müssen.

Europa ist ein Global Player und hat keinen Grund, den globalen Wettbewerb zu fürchten.

Wettbewerb ist der Schlüssel zur Innovationsförderung. Und das Kartellrecht ist der Schlüssel zum Schutz des Wettbewerbs.

Das sind nach wie vor unsere Leitprinzipien. Wenn man das bedenkt, glaube ich, dass jeder, der das Ende einer effektiven Fusionskontrolle wegen der in der Nationalen Industriestrategie (NIS) und dem deutsch-französischen Manifest enthaltenen Vorschläge zur Neubewertung des Kartell- und Fusionskontrollrechts befürchtet, sich etwas entspannen kann.

Gleichzeitig können wir die Augen nicht vor den Disruptionen um uns herum verschließen. Die Welt verändert sich. Die digitale Revolution und die Plattformökonomie mit winner-takes-it-all-Märkten, Null-Grenzkosten, Netzwerkeffekten, Pfadabhängigkeiten, technologischer und regulatorischer Unsicherheit erfordern eine Neubewertung der Rolle des Staates – und des Kartellrechts. Wir müssen sicherstellen, dass Plattform-Giganten den wirksamen Wettbewerb und den Marktzugang nicht unterdrücken. Dies ist ein Hauptziel, das wir mit der 10. GWB-Novelle verbinden, in deren Mittelpunkt die Verschärfung der Missbrauchsbestimmungen auch bei nur relativer Marktmacht steht. Im Rahmen der Überarbeitung wollen wir die Instrumente so anpassen, dass Plattformunternehmen, die missbräuchliche Praktiken unterhalb der Schwelle zur Marktbeherrschung (also vor allem bei Abhängigkeit) praktizieren, besser berücksichtigt werden. Wir werden prüfen, ob bestimmte Verhaltensweisen verboten werden sollten und ob eine Regelung für den Zugang zu Daten enthalten sein sollte. Wir wollen auch die Verfahren beschleunigen.


Wir müssen darauf reagieren, dass alle Branchen immer digitaler werden. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass sich die Kartellbehörden in den letzten Jahren mit einer Reihe komplexer Fragen auseinandergesetzt haben – in Bezug auf die Fusionskontrolle, die Verhinderung von Marktmachtmissbrauch und die Bewertung von Kooperationsprojekten. All diese Entscheidungen haben große Aufmerksamkeit erregt und können als Meilensteine für den Schutz des Wettbewerbs angesehen werden.

Wir müssen jedoch weiterhin sicherstellen, dass es gleiche Wettbewerbsbedingungen, ein „level playing field“, gibt. Wir müssen sicherstellen, dass der Wettbewerb auf sich schnell verändernden Märkten weiterhin fair ist. Wir müssen darüber diskutieren, ob unser bestehender Rahmen in der Lage ist, die globale und europäische Dimension des Wettbewerbs für unsere Unternehmen, unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft angemessen zu berücksichtigen.


Die folgenden Überlegungen können als Ausgangspunkt für die Bewältigung der zunehmenden globalen Konzentration und der Rolle des Kartellrechts dienen: Größe ist nur dann gut, wenn sie auf Innovation basiert, und wenn es kontinuierlich Impulse gibt, die den Wettbewerb fördern. Größe ist problematisch, wenn sie genutzt wird, um den Wettbewerb zu verzerren. Die Wettbewerbspolitik muss sicherstellen, dass das Wachstum auf Innovation und – unverzerrtem – Wettbewerb basiert. Wir müssen in der Lage sein, den Missbrauch von Marktmacht weiterhin wirksam zu bekämpfen.

Dies ist der Hintergrund für die NIS und ihren Blick auf europäische und nationale Champions. Meiner Meinung nach sind nationale und europäische Champions Unternehmen, die in der Lage sind, sich im globalen Maßstab erfolgreich zu behaupten. Nationale Champions sind nicht immer große Unternehmen – das gilt insbesondere für Deutschland. Sie sind oft mittelständisch und können dennoch Innovations- oder Marktführer in ihrem Bereich sein.


Champions entstehen oft durch Fusionen. In Fällen, in denen externes Wachstum den Wettbewerb auf einem bestimmten Markt nicht verzerrt, kann es als unproblematisch angesehen werden. Dies wird im Rahmen der Fusionskontrolle genau überwacht. Nichts hindert nationale Champions daran, einen Markt aufgrund internen Wachstums zu dominieren, aber sie unterliegen dann den Überwachungssystemen des Missbrauchsrechts. Sie dürfen ihre Marktposition nicht durch wettbewerbswidriges Verhalten oder Absprachen missbrauchen. Durch die Anwendung dieser Grundsätze sollte es ziemlich einfach sein, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten, wenn wir Marktmacht bewerten und begrenzen.

Das Problem besteht jedoch darin, dass es weder ein globales Wettbewerbsrecht noch eine „Weltkartellbehörde“ gibt, um den uneingeschränkten Wettbewerb auf globaler Ebene wirksam umzusetzen. Und es ist mein Eindruck, dass diese Vision immer weiter in Ferne rückt.


Heute finden wir eine große Zahl nationaler und europäischer Vorschriften mit einigen widersprüchlichen Bestimmungen für Aktivitäten auf Märkten vor, und wir sehen staatliche Eingriffe in diese Märkte. Und es gibt unfairen Wettbewerb durch staatliche und staatlich subventionierte Akteure. Insbesondere wollen wir darüber diskutieren, wie wir staatlich kontrollierte Unternehmen im Rahmen der Fusionskontrolle besser berücksichtigen können.

Denn wir glauben, dass staatliche Eingriffe – in Form von staatlicher Leitung des Unternehmens oder Subventionen – Auswirkungen auf die Marktstellung von Unternehmen haben.


Einige unserer europäischen Vorschriften zur Fusionskontrolle stammen aus den 1990er Jahren. Wir wollen prüfen, wie die Leitlinien der Europäischen Kommission und möglicherweise auch die Fusionskontrollverordnung so überarbeitet werden können, dass tatsächlich und potenziell wettbewerbsverzerrende Faktoren besser berücksichtigt werden. Dies könnte zu einer Flexibilisierung der Beurteilung der relevanten Märkte im Rahmen der europäischen Fusionskontrolle führen.

Im deutschen Fusionskontrollrecht haben wir nun die Möglichkeit, Fusionen zu prüfen, die die klassischen Umsatzschwellen nicht erreichen, die aber einen hohen Transaktionswert haben – zum Beispiel aufgrund der Daten, die sie besitzen – wie bei der Übernahme von WhatsApp durch Facebook. Es wäre sehr sinnvoll, eine ähnliche Regelung auf EU-Ebene einzuführen. Darüber sollten wir eine breite und offene Diskussion führen.


Wie bereits erwähnt, müssen nationale oder europäische Champions nicht unbedingt Riesen sein. Um jedoch auf den Weltmärkten erfolgreich konkurrieren zu können, könnte es hilfreich sein, die Kräfte zu bündeln. Wir wollen dies erleichtern. Eine realistische Möglichkeit wäre es, den auf ausländischen Märkten zusammenarbeitenden europäischen Unternehmen (die z.B. gemeinsame Marketingaktivitäten durchführen) mehr wettbewerbsrechtliche Sicherheit zu geben und damit diese Formen der Zusammenarbeit zu erleichtern. Ich möchte dies als „Competition Law Important Project of Common European Interest“, IPCEI, bezeichnen – nach dem Vorbild des Beihilferechts, wo es die IPCEI gibt, die den Staaten die Möglichkeit geben, Aktivitäten mit einem europäischen Mehrwert zu subventionieren.

Wir wollen keinen Mechanismus schaffen, mit dem der Rat die Fusionskontroll-Entscheidungen der Kommission aushebeln kann. Das deutsch-französische Manifest enthält diesen Vorschlag nicht; es fordert nur eine Prüfung dieser Möglichkeit. Während jedoch überzeugend argumentiert werden kann, dass die Ministererlaubnis in Deutschland ein kluges Instrument ist, um die Entscheidungen des Bundeskartellamtes zu entpolitisieren, wäre dieses Ziel in Europa viel schwieriger zu erreichen. Hier besteht die Tendenz, Deals einzugehen, bei denen wettbewerbliche und gemeinwohlorientierte Überlegungen aus dem Bereich der Fusionskontrolle durch völlig fremde Überlegungen außer Kraft gesetzt werden könnten.


Unser Wettbewerbsrecht – das auf dem Prinzip des unverfälschten Wettbewerbs basiert – hat sich bewährt und innovativen europäischen Unternehmen erheblich geholfen, Weltmarktführer zu werden. Dieser Druck auf die Unternehmen, innovativ zu sein, muss aufrechterhalten werden. Aber der Regulierungsrahmen muss den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden.

Industriepolitische Überlegungen müssen vor allem in anderen Politikbereichen berücksichtigt werden. Wir müssen protektionistische Wirtschaftspolitiken und solche mit expansivem staatlichen Engagement adressieren, indem wir

  • unsere Handelsschutzinstrumente und Instrumente zur Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen konsequenter anwenden,
  • uns weiterhin für die Einbeziehung der sozialen Marktwirtschaftsstandards in Freihandelsabkommen, multilaterale Organisationen und andere Formen der internationalen Zusammenarbeit einsetzen,
  • unsere Arbeit fortsetzen, ein Beschaffungsinstrument zu entwickeln, das auf die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen abzielt.

An diesen Zielen werden wir engagiert arbeiten.


Die Frage ist nicht, ob „Industriepolitik“ notwendig ist. Es steht auch außer Frage, dass das Wettbewerbsrecht weiterentwickelt werden muss. Wir müssen nur darüber diskutieren, wie dies geschehen soll, um den wirtschaftlichen Herausforderungen der Plattformökonomie und des Systemwettbewerbs gerecht zu werden. Die Reaktionen auf die NIS von Minister Peter Altmaier haben gezeigt, dass es ein weit verbreitetes Gefühl gibt, dass Handlungsbedarf durchaus besteht. Es gibt jedoch Meinungsverschiedenheiten über den besten Weg, um die Ziele zu erreichen. Ich bin zuversichtlich, dass wir sie nach spannenden Diskussionen finden werden.

Dr Philipp Steinberg is Under Secretary for the Directorate-General I (Economic Policy) at the German Federal Ministry for Economic Affairs and Energy.

Philipp Steinberg ist Abteilungsleiter Wirtschaftspolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. In seine Verantwortung fallen u.a. Kartell- und Vergaberecht, Strukturpolitik und und regionale Wirtschaftspolitik, wirtschaftspolitische Analyse und Grundsatzfragen der Wirtschaftspolitik.

5 Gedanken zu „Nationale Industriestrategie 2030 – locker bleiben!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert