SSNIPpets (11) – heute mit steigenden Temperaturen

SSNIPpets (11) – heute mit steigenden Temperaturen

Das Wochenende kommt. Also haben wir wieder in den Nachrichten der letzten Zeit gestöbert, um unseren geneigten Leserinnen und Lesern den Übergang bis zum Grillen zu erleichtern. Rupprecht Podszun, der kürzlich noch bei 37 Grad in Indien unterwegs war, hat inzwischen wieder einen halbwegs kühlen Kopf und beobachtet gleichwohl mit Freude die ansteigenden Temperaturen. Nicht nur auf dem Thermometer. Auch im Kartellrecht läuft einiges heiß… Hier sind die SSNIPpets – small, but significant news, information and pleasantries – our pet project.

 

Facebook-Debatte auf dem Siedepunkt

Facebook: Mit jedem Tag, an dem die mediale Erregung sich in höhere Höhen schraubt, steigt das Verständnis für das Verfahren des Bundeskartellamts. Wenn man heute mit ausländischen Kolleginnen und Kollegen spricht, die vor ein paar Monaten noch empört gefragt hatten, was das denn solle, stößt man neuerdings auf sehr viel Sympathie für dieses Verfahren. Das Amt hatte eben früh einen guten Riecher.

Daran zeigt sich aber auch, wie abhängig wir in der Kartellrechtsanwendung von medialen Trends sind. Natürlich fällt es leichter, eine Wettbewerbsbeschränkung aufzudecken und zu ahnden, wenn das bei Politikern und Presse auf Wohlwollen stößt, als eine „uphill-battle“ gegen die Fußballmafia Fußballbranche, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder das Deutsche Rote Kreuz zu schlagen.

Amazon, Apple, Facebook & Co. haben es auf faszinierende Weise geschafft, ein positives Bild von sich in der Öffentlichkeit zu zeichnen. Zeitweilig war es ja so, dass jemand wie Jeff Bezos nur twittern musste, er werde jetzt den Grill anwerfen, um bei Wirtschaftsredakteuren seitenlange Jubelmeldungen über „Smart Barbecueing“ auszulösen. (Das gibt es ja wirklich! Kann man jetzt nicht einmal mehr beim Grillen sein Smartphone aus der Hand legen?)

Hot stuff zu Coty

Die Kommission hat einen Policy Brief herausgegeben, in dem sich Mitarbeiter der Frage zuwenden: „EU competition rules and marketplace bans: Where do we stand after the Coty judgment?“ Coty hatte ja der Parfümerie Akzente GmbH im Selektivvertriebsvertrag untersagt, auf Amazon Marketplace zu vertreiben, um das Luxusimage der Produkte zu wahren. Der EuGH hatte darin in seiner Entscheidung keinen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV gesehen. Die spannende Frage, ob diese neue Großzügigkeit nur für Luxusprodukte gilt, beantwortet DG Competition überraschend klar und eindeutig: „In DG Competition’s view, marketplace bans therefore do not amount to a hardcore restriction under the VBER irrespective of product category concerned.“ Schau an!

Frischer Wind im Patent-Kartellrecht

Wenn die Europäische Kommission mal ein Thema so richtig für sich gewonnen hat, gibt es ja kein Halten mehr. Aktuell wird alles dem Digital Single Market untergeordnet, so auch: standardessentielle Patente.

Mir fiel das auf, als ich mich kürzlich auf die von Jan Busche und Peter Meier-Beck veranstalteten Düsseldorfer Patentrechtstage vorbereitete. Die Debatte um standardessentielle Patente (SEP), bei Kartellrechtlern vor allem wegen der Huawei-Entscheidung bekannt, hat in der Europäischen Kommission einen neuen Einschlag erhalten: Es geht jetzt nicht mehr um den Ausgleich der Interessen von Patentrechtsinhabern und potenziellen Lizenznehmern; es geht auch nicht mehr um die Bekämpfung von Patenttrollen oder die Reform des Patentrechts als solchem. Die Diskussion um SEP wird jetzt der Digital Single Market Strategy untergeordnet.

Die Kommission hat offenbar erkannt, dass Schutzrechte aufgerufen werden können, um die für das Internet of Things so wichtige Interoperabilität zu durchkreuzen. Wer sich mit anderen smart connecten möchte, sei es beim automatisierten Fahren, in der Gesundheitsversorgung oder beim Grillen, braucht im Zweifel Zugriff auf Patente, die jemand anders innehat. Es würde mich nicht wundern, wenn für das Ziel des Digital Single Markets jetzt regulatorisch durchgegriffen würde. Dann wären das sehr auf Ausgleich bedachte Huawei-Urteil und der BGH-Vorläufer Orange Book Standard für Patentrechtsinhaber nur noch nostalgische Erinnerungen.

Fieberzustände im Bußgeldrecht

Dann wollen wir den „elephant in the room“ mal satteln. Das Thema „Wurstkartell“ passt ja auch zur einsetzenden Grillsaison. Worum geht es eigentlich? Drei Vorgänge in den Bußgeldverfahren haben zu erhöhtem Puls bei einigen geführt: die Versechsfachung des Bußgelds gegen Rossmann durch das OLG; das Wort von den „frisierten Akten“ im Wurstkartell in einer offenbar spektakulären Sitzung im OLG Düsseldorf, weil in der Akte nicht sämtliche Kontakte mit dem Kronzeugen dokumentiert waren; die Einstellung von Ermittlungsverfahren in den Bereichen Dämmstoffe, Pharmagroßhandel und Landtechnik.

Wenn ich das sortiere, so ist erst einmal klar: Der Vorgang, dass das Amt Verfahren einstellt, ist zwar eher ungewöhnlich. Das sollte aber bei einer Behörde, die zugunsten wie zulasten der Betroffenen ermittelt, eigentlich selbstverständlich sein. Also: ein gutes Zeichen, auch weil es erkennen lässt, dass das Amt lernfähig ist. Das Vorgehen wirft eher die Frage auf, ob Leniency, dieses über Jahre so gehätschelte Lieblingskind der Kartellverfolger, nicht seine besten Zeiten hinter sich hat. In Zukunft würde ich mir wünschen, dass das Amt stärker mit ökonomischen Screenings die problematischen Branchen ermittelt, statt sich auf die Informationen von Unternehmen zu verlassen, die erst einmal ans eigene Wohl und nicht an die Volkswirtschaft denken.

Was das Wurstkartell angeht, so scheint mir manch ein Vorwurf doch reichlich hart. Dem Amt würde ich – in Fußballersprech, und das ist beim Wurstkartell angesichts der Tönnies-Involvierung ja angemessen – sagen: Mund abputzen, weitermachen! Da die Gerichte (gerade auch auf EU-Ebene) aber Verfahrensführung und due process immer stärker in den Blick nehmen, ist eine „Task Force Verfahrensführung“ oder ähnliches sicher nicht unangemessen. Jeder, der höhere Standards anmahnt, sollte aber auch an den Preis denken, den man dafür zahlt.

Was mir am ehesten Sorgen macht, ist die „reformatio in peius“ bei der Geldbuße. Die gerichtliche Kontrolle des Bundeskartellamts darf nicht schwächer werden. Rechtsstaat. Checks and balances. Durch Settlements und Zusagenentscheidungen wird die gerichtliche Kontrolle ohnehin schon ausgehöhlt. Wenn sich die wirtschaftlichen Bedenken gegen gerichtliche Kontrolle noch verstärken, wäre das ein enormer Verlust.

Abkühlung im Kabelstreit

Wir wollen versöhnlich enden. Der Streit um Kabeleinspeiseentgelte ist beigelegt, die Parteien haben sich außergerichtlich geeinigt. Kürzlich hörte ich von einem Chefsyndikus, man wolle sich auch in den kartellrechtlichen Schadensersatzprozessen möglichst rasch vergleichen. Endlose, teure Litigation mit ungewissem Ausgang könne er seinem Vorstand gar nicht vermitteln. Das gibt mir die Gelegenheit, zum Schluss noch einmal an unser kleines Seitenprojekt zu erinnern. Aufmerksame Leserinnen und Leser wissen, dass wir uns in den Wettbewerb der Gerichtsstandorte eingemischt haben und im November ein Papier vorgelegt haben, wie staatliche Gerichte in wirtschaftsrechtlichen Fragen gestärkt werden können. Jetzt hat NRW-Justizminister Peter Biesenbach konkrete Vorschläge unterbreitet. Darin werden viele unserer Gedanken aufgegriffen, die Vorschläge sind – finden wir – sehr vielversprechend. Die Debatte wird aber noch eine Weile weitergehen, und wir sind sehr daran interessiert, weitere Ideen aus der Praxis zu hören, wie die Gerichte sich aufstellen müssen, damit sie im Wettbewerb mit Schiedsgerichten und ausländischen Instanzen attraktiv bleiben oder werden. Get in touch!

Und jetzt: schönes Wochenende – legen Sie Ihr Handy beim Angrillen ruhig mal zur Seite.

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