RPM: Hat das Bundeskartellamt Recht?

RPM: Hat das Bundeskartellamt Recht?

Die Preisbindung der zweiten Hand, oder – um es etwas internationaler zu formulieren – „resale price maintenance“ (RPM) ist wieder auf der Agenda. Das Bundeskartellamt hat dieses Jahr eine überarbeitete Fassung der berühmten Handreichung veröffentlicht, die Europäische Kommission hat in der Sektoruntersuchung e-commerce den Fokus darauf gelegt und Verfahren eingeleitet, die britische Competition & Markets Authority hat 2016 Guidance gegeben. Die Frage, was Hersteller und Händler in Sachen Preise gemeinsam machen dürfen, wird dabei recht einheitlich beantwortet: nicht viel. Streitig ist vor allem, wann die Preisbindung beginnt. Dass sie verboten ist, daran gibt es keinen Zweifel.

Zweifel am Verbot der Preisbindung

Mit ansteigendem Verfolgungsdruck und immer einfacheren Preismaßnahmen im Internet wird aber langsam auch ein Grummeln vernehmlich: Manche Anwälte und Unternehmensvertreter verstehen die harte Linie von Amt und Kommission, die auf eine Gleichstellung des Onlinehandels gerichtet ist, nicht mehr. Tatsächlich kann man sich ja gelegentlich mal fragen, ob es wirtschaftspolitisch eigentlich so erstrebenswert ist, den brick-and-mortar-Geschäften das Leben im Preiskampf mit Internethändlern schwer zu machen.

Im Forum Unternehmensrecht an der Heinrich-Heine-Universität haben wir die Frage Thomas Cheng vorgelegt: Muss RPM eigentlich ein Hardcore-Verstoß sein? Thomas ist Kartellrechtsprofessor an der University of Hong Kong und Mitglied der Hong Kong Competition Commission. Er präsentierte in der von Rupprecht Podszun moderierten Veranstaltung sein Paper „A Consumer Behaviour Approach to Resale Price Maintenance“.

Chicago und Bonn

Bewegt man sich vom Bundeskartellamt immer weiter in östliche Richtung liegt Hong Kong ungefähr auf der Hälfte des Weges in die Vereinigten Staaten. Diese geographische Allegorie passt zu Chengs Position zur kartellrechtlichen Einschätzung des RPM. Während das Bundeskartellamt ökonomischen Rechtfertigungsversuchen des RPM kaum einen Zentimeter entgegen kommt – es handelt sich um eine Preisabsprache und damit um eine Kernbeschränkung –, wird in den USA unter Einfluss der Chicago-School ein liberalerer Ansatz gelebt. RPM ist dort nach der 2007-Entscheidung Leegin des Supreme Court nicht mehr per se kartellrechtswidrig (wie seit der Dr. Miles-Rechtsprechung von 1911).

In einigen Konstellationen wird RPM ökonomisch vor allem mit der Vermeidung von Trittbrettfahrerverhalten gerechtfertigt. Der Klassiker: Im Ladengeschäft wird aufwändig präsentiert, probiert, beraten – geshoppt wird dann online zu einem günstigeren Preis. RPM würde das Ausnutzen solcher Preisvorteile unmöglich machen. Cheng – von einem angelsächsischen Verständnis geprägt, er studierte in Harvard, Yale und Oxford – hat sich in seiner Forschung kritisch mit dieser Argumentationslinie auseinandergesetzt. Im Ergebnis steht er dem restriktiven Ansatz des Bundeskartellamts wesentlich näher als zu erwarten war. Der Unterschied: er lässt die ökonomischen Argumente zu. Aber die überzeugen ihn eben nicht (ähnlich wie auch die Kollegen vom DICE).

Chengs Kernthese

Ein „one size fits all“-approach bei RPM ist zu simpel. Dafür sind Handelsunternehmen wie Käufergruppen zu divers. Käufer entscheiden sich beispielsweise zuerst, was für ein Produkt sie von welcher Marke kaufen wollen, und suchen dann einen geeigneten Verkäufer. Oder sie suchen sich zuerst einen Verkäufer aus und entscheiden sich dann vor Ort zwischen unterschiedlichen Marken. Dabei spielen in der Regel generelle Preiserwartungen eine größere Rolle als konkrete Preise. Bei manchen Produkten, so Cheng, spielen zudem Impulskäufe eine überragende Rolle: Wird etwa, um ein dem Vortragstag angemessenes Beispiel zu wählen, ein Verbraucher angesichts drückender Hitze beim Anblick eines Kühlregals voller Erfrischungsgetränke von der spontanen Erkenntnis übermannt, dass er jetzt – und zwar genau jetzt – eine Cola trinken möchte, bleibt für Preisvergleiche keine Zeit.

Auf der Marktgegenseite entspricht der Diversität des Konsumentenverhaltens die Diversität der Verkaufsmodelle. Es gibt spezialisierte Geschäfte, die nur Produkte einer Marke vertreiben, oder solche mit breit angelegter Produktpalette verschiedener Marken. Vor dem Hintergrund einer differenzierten Betrachtung des Kundenverhaltens könne die Vermeidung von Trittbrettfahrerverhalten RPM kaum je rechtfertigen, das gelte insbesondere für allgemeine Verkaufsanstrengungen.

Weiterdenken

Jurist Cheng hatte für seine Thesen das ökonomische Material ausgewertet. Zum Glück waren unsere Kollegen vom DICE da, sodass in der Diskussion noch einmal nachgelegt wurde.

Drei Überlegungen: Erstens spielt es für die Beurteilung von RPM möglicherweise eine stärkere Rolle als bislang erforscht, wie unterschiedlich Verbraucher reagieren. Studien zum Verbraucherverhalten, die Cheng zitierte, bezogen sich vor allem auf die USA, und damit auf ein Land, das den Handel kaum anders reguliert (immer wieder erbaulich zu sehen, wie Gäste aus dem Ausland schauen, wenn sie feststellen, dass es in Deutschland strenge Regeln zu Ladenöffnungszeiten gibt).

Zweitens:  Was macht die Digitalisierung aus unserer klassischen Preisfixierung? Was ändert sich, wenn Preisvergleiche im Internet einfach und dauerhaft verfügbar sind? Wenn Preise personalisiert oder dynamisiert werden?

Drittens: Gibt es nicht zumindest bei Luxusprodukten eine Rechtfertigung für RPM? Die Frage liegt beim EuGH. Cheng neigte zu einem Ja. Das wäre also ein Anwendungsfall, in dem nach Art. 101 Abs. 3 AEUV – entgegen Pierre Fabre – wohl eine Preisbindung einmal gerechtfertigt sein könnte.

Es war aber auch sehr heiß an diesem Abend, und Deutschland hat, wie der Gast aus Hongkong ermattet feststellte, keine Klimaanlagen. Vielleicht war die Konzession also auch der Aussicht geschuldet, bei raschem Bejahen bald ein eisgekühltes Getränk trinken zu können – koste es, was es wolle.

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