Conference–Debriefing (9): 10. GWB-Novelle – Macht digitaler Plattformen begrenzen

Conference–Debriefing (9): 10. GWB-Novelle – Macht digitaler Plattformen begrenzen

Es gibt einen Buzzzzz in Berlin. Den gibt es immer, aber jetzt gibt es ihn für die 10. GWB-Novelle, die in den Hinterzimmern entsprechend vorwärts getrieben wird. In Berlin traf sich auf Einladung der Grünen Bundestagsfraktion nun eine illustre Runde, um über ein digitales Kartellrecht zu diskutieren. Lucas Gasser, Doktorand bei Professor Rupprecht Podszun, berichtet.


Art der Veranstaltung: Fachgespräch der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen

Ort & Zeit: Regierungsviertel, Berlin-Mitte, 8. Mai 2019

Gastgeber: Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, repräsentiert von Katharina Dröge MdB, Sprecherin für Wettbewerbspolitik, und Tabea Rößner MdB, Sprecherin für Netzpolitik

Teilnehmer:

Auf dem Podium: Andreas Mundt (Präsident des Bundeskartellamts), Jutta Gurkmann (Leiterin des Geschäftsbereich Verbraucherpolitik bei der Verbraucherzentrale Bundesverband), Prof. Dr. Ulrich Schwalbe (Leiter des Fachgebiets Mikroökonomie an der Universität Hohenheim) und Jan Schallaböck (Netzaktivist und Rechtsanwalt bei iRights.Law)

Im Publikum: Verbandsvertreter*innen, Journalist*innen und sonstige Interessierte, z.B. Doktorand*Innen


Worum ging es denn bei den Grünen?

Die Bundestagsfraktion wollte nach eigenem Bekunden Input für ihre Anträge im Laufe des bevorstehenden GWB-Gesetzgebungsverfahrens sammeln. Laut Tabea Rößner besteht nämlich die Sorge, dass die Pläne der Bundesregierung wie schon bei der 9. GWB-Novelle nicht ausreichen, um dem gesetzten Ziel – die Macht der digitalen Giganten zu zähmen – näher zu kommen.

Dies vorausgeschickt, eröffnete Frau Rößner die Diskussion mit einem bunten Strauß an Problemen, die Google und Co. mit sich bringen und die vom Kartellrecht bzw. mit der 10. GWB-Novelle beseitigt oder zumindest gemindert werden sollten. Die Probleme reichen vom erheblichen Einfluss auf den demokratischen Meinungsbildungsprozess und der damit verbundenen Manipulationsmöglichkeit bei Wahlen über die fehlende Möglichkeit der Verbraucher, sich bei ökonomischen Entscheidungen dem Einfluss der großen Plattformen zu entziehen, bis hin zur fehlenden Möglichkeit kleiner Unternehmen, alternative Geschäftsmodelle aufzubauen, ohne „Opfer“ einer Killer-Akquisition zu werden. Mit Verweis auf Kommissarin Vestager, die etwa zur gleichen Zeit nur wenige Kilometer südlich, vor möglicherweise „hipperem“ Publikum, bei der Digitalkonferenz re:publica sprach, forderte Frau Rößner dazu auf, sich dem Thema Datenzugang auch im Rahmen der 10. GWB-Novelle anzunehmen. Als ein weiteres, sehr konkretes Problem wurde noch die fehlende Verhandlungsmacht von Verlagen gegenüber Amazon erwähnt. Das Kartellrecht sei hier hinderlich, denn das Kartellverbot mache es den Verlagen unmöglich, sich bei den mittlerweile geschäftsentscheidenden Verhandlungen gegenüber Amazon zusammenzutun und damit eine hinreichende Gegenmacht aufzubauen.

Wer nach dieser Einleitung dachte, dass die Fülle an Problemen nicht nur den Zeitrahmen des Abends sprengen würde, sondern auch die Möglichkeiten des Kartellrechts, wurde schnell beruhigt. Im Kern sollte es bei der Diskussion einerseits um die Interoperabilität von Diensten sowie um den Zugang zu Daten gehen und andererseits um infrastruktur-ähnliche Regulierung von Plattformen mitsamt Entflechtungsmöglichkeiten.


Ist Interoperabilität der Schlüssel zum Wettbewerb?

Ulrich Schwalbe meint, dass Interoperabilität vor allem für die Senkung von Markteintrittsschwellen eine große Rolle spiele. Denn die stark wirkenden Netzwerkeffekte bei großen Plattformen machten einen Wechsel der Nutzer zu einem neuen und qualitativ vielleicht sogar besseren Dienst unattraktiv. Könnte man aber über den neuen Dienst in ähnlicher Weise mit den Nutzern der alt-eingesessenen Plattform interagieren, würde die Attraktivität eines Wechsels erheblich erhöht. Jutta Gurkmann merkte an, dass die Interoperabilitätsbestimmung für Daten in der DSGVO dieses Problem noch nicht gelöst hat und dass es früher möglich war, über die Grenzen von Plattformen hinweg mit anderen zu interagieren. In diesem Zusammenhang fügte Jan Schallaböck hinzu, dass die gute alte E-Mail ein treffendes Beispiel für eine gelungene Interoperabilität eines Kommunikationsmittels über Systemgrenzen hinweg sei. Allerdings sei auch im E-Mail-Bereich der Einfluss von Google aufgrund der Verbreitung von gmail-Adressen mittlerweile bedenklich. Vom Gängigen abweichende Voreinstellungen zu Spam-Filtern bei gmail erschwerten zunehmend den Austausch über Mailinglisten. (Hier bemühten einige der Jüngeren im Publikum eine bekannte Suchmaschine auf ihren Smartphones, um etwas über die Geschichte von Gruppenchats zu lernen). Zudem sei die Weiterentwicklung von offenen Standards, auf denen die E-Mail-Technologie aufbaue, ins Hintertreffen geraten. Insgesamt müsse aus regulatorischer Sicht jedenfalls mehr Wert auf die Entwicklung offener Standards gelegt werden.


Gut, gut. Und was ist mit Daten?

Um überhaupt über Daten als Wettbewerbsfaktor sprechen zu können, müsse in einem ersten Schritt eine Typisierung der Daten erfolgen, erklärte Schwalbe. Weisen die Daten einen Personenbezug auf? Wurden die Daten abgefragt oder durch Beobachtung erlangt? etc. Dahinter stehe die Frage, welche (schützenswerten?) Investitionen getätigt worden seien, um an eine konkrete Datensammlung zu gelangen. Schallaböck warf ein, dass es nicht-personenbezogene Daten eigentlich gar nicht gäbe. Mit entsprechendem Know-How und einer ausreichenden Breite an Daten könne immer ein Personenbezug hergestellt werden.

Nach diesem Vorgeplänkel wurde es konkreter und die Runde kam zu der Frage nach einem Zugangsanspruch zu Daten. Schwalbe kam dabei auf die Relevanz der Unterscheidung von Daten zurück. Denn nur wenn man wisse, zu welchen Daten eigentlich Zugang begehrt werden sollte, könne man über weitere Schritte der Umsetzung reden. Diese Identifikation stelle eine enorme Hürde dar. Dabei spiele unter anderem eine Rolle, dass personenbezogene Daten schon aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht ohne weiteres offengelegt werden dürften. Dazu merkte Jutta Gurkmann an, dass nicht wenige Datenschätze großer Unternehmen schon unter Missachtung bestehender Datenschutzregelungen erlangt wurden. Jan Schallaböck schlug vor, eine Art übergeordnete Clearing-Stelle für Daten einzurichten. Angelehnt an die Vorschläge des Furman-Reports ist dabei wohl an eine Super-Plattform zu denken, die alle erdenklichen Daten verwaltet und für einen anonymisierten Zugang für alle Unternehmen sorgt. Vor allem im Automobilbereich könnte dies noch eine große Rolle spielen.

Ulrich Schwalbe blieb kritisch und zeigte auf, dass der Datenzugangsanspruch auch zu einem Informationsaustausch führen könne. Und einen solchen sehen die Kartellbehörden bekanntlich kritisch. Des Weiteren könne ein Instrument zur Datenteilung – sofern es an die Voraussetzung einer marktbeherrschenden Stellung geknüpft werde – dazu führen, dass nicht nur Newcomer einen Zugang zu den Daten von bereits etablierten großen Plattformen fordern könnten, sondern eben auch umgekehrt. Denn wenn ein Newcomer einen vollkommen neuen Markt erschlösse, wäre er auf diesem Markt eben zunächst auch in einer marktbeherrschenden Position. Demzufolge könnte eine schon lange erfolgreiche Plattform Zugang zu den Daten des marktbeherrschenden Newcomers fordern.

Da Andreas Mundt von Staatssekretären im Wirtschaftsministerium aufgehalten wurde, stieß er erst zu diesem späten Zeitpunkt zur Diskussionsrunde hinzu. Nach knapper Entschuldigung preschte er direkt mit einer Klarstellung vor: „Es geht um Daten, Daten, Daten – nur um Daten.“. Wie er in den letzten Jahren nach eigener Darstellung gelernt habe, sei es vor allem die Breite (variety) an Daten über ein Subjekt, die diese wirtschaftlich wertvoll machten. Und diese Breite an Daten sei es auch, die die Produkte der digitalen Plattformen so effizient und folglich attraktiv für die Nutzer machten. Aus Sicht des Regulierers stehe man deshalb auch vor Grundfragen des Kartellrechts. Man müsse sich nämlich zu einem gewissen Grad zwischen ökonomischer Effizienz und einer normativen Beschränkung aus anderen Gründen entscheiden. Schallaböck merkte diesbezüglich mehrfach an, dass das Ziel des Kartellrechts nicht einseitig auf ökonomische Effizienz ausgerichtet sei. Das Kartellrecht müsse wieder vermehrt gesellschaftspolitische Anliegen miteinbeziehen und vor allem wieder – frei nach Franz Böhm – als geniales Entmachtungsinstrument angesehen werden.

Mundt sieht zusammengefasst zwei Möglichkeiten, die Marktmacht von Datenunternehmen in Gefahr zu bringen: Entweder durch einen Zugangsanspruch zu ihren Daten für Marktneulinge oder durch Einschränkung der Datensammlung und -verknüpfung. Das Bundeskartellamt hat im Facebook-Verfahren bekanntlich letzteren Ansatz verfolgt. Die enormen praktischen und auch dogmatischen Schwierigkeiten, die der Ansatz hinsichtlich eines Datenzugangsanspruchs mit sich bringe, machten diesen womöglich gänzlich unbrauchbar, so Mundt.


Wenn das mit den Daten nichts wird, wird entflochten?

Long story short: vielleicht irgendwann. In Berlin wird aber bekanntlich seit einigen Monaten wieder radikaler gedacht. Wohnungskonzerne könnten enteignet, BMW kollektiviert und digitale Plattformen eben entflochten werden.

Ganz so weit sind wir zwar (noch) lange nicht, aber die Diskussion wird offen wie selten zuvor geführt. Mundt wies pragmatisch darauf hin, dass es de lege lata schon die Möglichkeit der Entflechtung als Antwort auf einen Verstoß gegen das kartellrechtliche Missbrauchsverbot gibt. Und der Entwurf von Wirtschaftsminister a. D. Rainer Brüderle zur verhaltensunabhängigen Entflechtung sei erst vor wenigen Jahren von einer breiten Front an Wissenschaftlern und Praktikern bereits in der Frühphase beerdigt worden.

Mundt konstatierte zum Abschluss dieses Diskussionspunkts, dass Entflechtungsideen, vor allem auf nationaler Ebene, zurzeit als „utopisch“ einzustufen sind.


Ich nehme an, dass dann wenigstens Regulierung winkt.

„Das Problem mit dem Kartellrecht ist, dass es erst hilft, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“, meinte Schwalbe und brachte den Vorschlag des Furman-Reports bezüglich einer neuen Regulierungsbehörde für digitale Angelegenheiten (digital markets unit) auch für Deutschland ins Spiel. Diese Regulierungsbehörde solle eine schnelle ex ante Kontrolle der Plattformen übernehmen und dazu mit genialen Data Scientists und nicht weniger begabten Ökonomen und Juristen ausgestattet werden. Von Seiten des Bundeskartellamtspräsidenten gab es den Hinweis, dass insbesondere diese begehrten Data Scientists in der Regel Gehaltsvorstellungen mitbringen, die jede Besoldungsstufe des öffentlichen Diensts sprengen und deshalb schwer zu halten sind. Er spreche aus eigener Erfahrung. Und überhaupt: auch bei einer ex ante Regulierung durch eine Spezialbehörde müsse ein Adressatenkreis der Regulierung identifiziert werden. Und da wäre man dann wieder bei den bekannten kartellrechtlichen Problemen der Marktabgrenzung und der Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung. Alternative, taugliche Konzepte zur Adressatenidentifikation seien ihm schlicht nicht bekannt. So sei das in letzter Zeit häufig als zu langsam kritisierte Kartellrecht sehr wahrscheinlich deutlich schneller als das Aufsetzen einer sinnvollen Regulierung. Schwalbe schlug dann vor, auf eine Marktabgrenzung zu verzichten oder diese nur nachgelagert, zur Plausibilisierung, durchzuführen. Dieser Vorschlag sei, entgegnete Mundt, bereits fünfzig Jahre alt.


Viele Probleme, viele Ideen und doch keine Lösungen?

In knapp zwei Stunden Diskussion wurden viele Probleme der Plattformökonomie angerissen und noch mehr Probleme bei möglichen Lösungsvorschlägen zu Tage gefördert. Frau Dröge entlockte Herrn Mundt am Ende noch einen Vorschlag, den er interessant und tauglich finde und sich deshalb auch für die 10. GWB-Novelle wünsche. Es geht dabei um die Verhinderung des sog. platform envelopment. Viele Plattformen verfolgen eine Ausbreitungsstrategie, im Rahmen derer sie mit der Stärke, die sie aus einem Plattformmarkt ziehen, in einen anderen Plattformmarkt eintreten und die Funktionalitäten der beiden Plattformmärkte folglich kombinieren. Also etwa „deep pockets“ voller Daten. Dieses Verhalten führt zu weiteren Netzwerkeffekten zugunsten der sich ausbreitenden Plattform und folglich in kurzer Zeit zu hohen Marktanteilen auf beiden Märkten. Wie eine Norm ausgestaltet werden müsste, die ein solches Vorgehen verhindern könnte, konnte leider nicht mehr diskutiert werden. Aber die Diskussionen werden weitergehen. Ganz sicher.

Lucas Gasser ist Doktorand bei Professor Rupprecht Podszun und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht (Professor Tobias Lettl) an der Universität Potsdam.

2 thoughts on “Conference–Debriefing (9): 10. GWB-Novelle – Macht digitaler Plattformen begrenzen

  1. Liebes DICE Team,
    Danke, dass Ihr dieses Thema “endlich” pro-aktiv aufgreift – es ist bitter nötig
    Freue mich von Euch fundierte Einschätzungen früh lesen zu dürfen..
    Danke und Viele Grüße aus dem kochenden Ruhrpott – Metropole Ruhr
    GlückAUF Zukunft
    Andreas

    1. Lieber Andreas N,
      danke für die Nachricht. Nur zur Klarstellung: Hier bloggen die Düsseldorfer Juristen vom Institut für Kartellrecht der Heinrich-Heine-Universität. Unsere Freundinnen und Freunde vom DICE bloggen auch ab und zu hier, sind aber in einer anderen Fakultät angesiedelt und tragen auch nicht die Verantwortung für diesen Blog. Ist aber sicher auch wichtig, dass wir das aufgreifen. 🙂
      Beste Grüße und danke fürs Interesse!
      Das D’Kart-Team

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